Wahl und Referenden in Ecuador: Vielleicht ein Weckruf
Ecuador versinkt in Korruption und Kriminalität. Die Präsidentschaftswahlen und zwei Referenden könnten aber zu einem Wendepunkt werden.
D as Wort vom „gescheiterten Staat“ hat derzeit in Ecuador Hochkonjunktur. Präsidentschaftskandidat Yaku Pérez, der zu einer Allianz der Wahlkandidat:innen gegen organisierte Kriminalität und Korruption im Andenken an den von Killern quasi exekutierten Fernando Villavicencio aufrief, nahm es genauso in den Mund wie die ehemalige Parlamentspräsidentin Gabriela Rivadeneira.
Binnen sieben Jahren ist das ehemals sichere Ecuador in eine Krise geglitten, für die oberflächlich betrachtet zwei Regierungen verantwortlich sind: die von Lenín Moreno (2017–2021) und die noch amtierende von Guillermo Lasso (2021–2023). Sie haben eine konservative Wende vollzogen, die zutiefst neoliberale Leitlinie von „der Markt werde es schon richten“ etabliert.
Dabei schaute den beiden Präsidenten – gegen die wegen Korruption ermittelt wird – der Internationale Währungsfonds (IWF) über die Schulter. Die Regierung Moreno ermunterte die in Washington ansässige Finanzinstitution noch zum Spardiktat, beim ehemaligen Banker Guillermo Lasso musste sie das schon gar nicht mehr tun. Konkrete Folge ist, dass die sozialen Institutionen des Landes quasi geschliffen wurden.
Die soziale Infrastruktur des Landes ist binnen sieben Jahren ausradiert worden und das trägt dazu bei, dass eine perspektivlose von Narconovelas wie „Narcos“ oder „Breaking Bad“ geprägte Jugend sich den Drogenkartellen zuwendet, die das vermeintlich leichtere Leben bieten. Je nach Quelle treiben mittlerweile zwischen neu und fünfundzwanzig Drogenkartelle vor allem an der Pazifikküste ihr Unwesen.
Neoliberale Politik öffnete Kartellen Tür und Tor
Guayaquil, Ecuadors ökonomische Drehscheibe, zählt zu den 25 gefährlichsten Städten der Welt. Express-Entführungen und Auftragsmorde gehören nicht nur dort, sondern auch im weiter nördlich gelegenen Esmeraldas zum traurigen Alltag. Verantwortlich dafür ist die Politik, die mit dem Rotstift das Justizministerium und jenes zur Koordination der Sicherheitspolitik einsparte, Justizaufgaben an die Polizei übertrug und das Personal in den 36 Haftanstalten des Landes auf die Hälfte der UN-Empfehlungen reduzierte.
All diese neoliberalen Sparmaßnahmen haben entscheidend dazu beigetragen, dass in Ecuador ab 2018 den Kartellen Tür und Tor offen standen. Hinzu kommt, dass die großen Banden „Los Choneros“ und „Los Lobos“ zahlreiche Polizisten, Gefängniswärter und eben auch Politiker auf ihren Lohnlisten zu stehen haben.
In Ecuador alles andere als eine Überraschung, denn Korruption gehört zum politischen Establishment, wie die langjährigen Recherchen Villavicencios belegen: Der Mann, den das siebenköpfige kolumbianische Killerkommando am 9. August de facto hinrichtete, hatte sich mit der wirtschaftspolitischen Elite angelegt, war ihnen immer wieder mit auf harten Fakten basierenden Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft auf die Füße getreten.
Ein Mann, seine Partei und der Erdölsektor des Landes standen dabei im Fokus der Recherchen von Villavicencio und seinem Freund Christian Zurita, der für die Partei Construye anstelle seines ermordeten Freundes nun für die Präsidentschaft kandidiert: Ex-Präsident Rafael Correa.
Nase voll von den korrupten Eliten?
Einen Tag vor seinem Tod erstattete Villavicencio Anzeige gegen eine Riege von Mitarbeitern Correas, die den Staat um rund 9 Milliarden US-Dollar durch die Neuvergabe von Förderverträgen im Erdölsektor gebracht haben sollen. Das ist alles andere als eine Ausnahme in Ecuador, sondern hat System.
Das belegen zahlreiche Skandale genauso wie die bereits geltende achtjährige Haftstrafe gegen Correa wegen Korruption. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Fakt ist auch, dass die Elite keine Steuern zahlt, während das Land in Armut, Perspektivlosigkeit und organisierter Kriminalität zu versinken droht. Das belegt eine Cepal-Studie der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik, die angibt, dass dem ecuadorianischen Staat 2021 rund 7 Milliarden US-Dollar flöten gingen.
All das sind die Zutaten, durch die Ecuador in Rekordtempo vom zweitsichersten Land Lateinamerikas zum unsichersten mutierte, so die bereits erwähnte ehemalige Parlamentspräsidentin Gabriela Rivadeneira.
Weckruf für all jene, die die Nase voll haben
Der brutale Mord an Fernando Villavicencio, der zwar die Handschrift der Kartelle trägt, an dem aber die wirtschaftspolitische Elite des Landes ebenfalls Interesse hatte, könnte im besten Fall allerdings auch ein Weckruf für all jene werden, die die Nase voll haben von „ihrer“ korrupten Elite.
Ein Votum für einen Kandidaten wie Christian Zurita, Investigativ-Journalist mit Schwerpunkt Korruption, oder den indigenen Juristen und Umweltaktivisten Yaku Pérez sind glaubwürdige Optionen. Doch bei den Präsidentschaftswahlen, die nur eine:n Staatschef:in für den Übergang wählen, also nur für die 18 Monate bis die Regierungsperiode des diskreditieren Guillermo Lasso formal zu Ende geht, stehen auch zwei Volksabstimmungen auf der Agenda.
In der einen entscheiden die 13,5 Millionen Wahlberechtigen darüber, ob im Bloque 43 im Yasuní-Nationalpark weiter Öl gefördert werden darf. In der anderen Volksabstimmung entscheiden die Bewohner des Großraums Quito darüber, ob im Biosphärenreservat Chocó Andino Kupfer, Industriemetalle, Gold und andere Metalle gefördert werden dürfen oder eben nicht.
Beide Referenden sind wegweisend für das zukünftige ökonomische Modell des Landes: Eine doppelte Absage an das tradierte, auf Rohstoffförderung ausgerichtete Wirtschaftsmodell des Landes hätte weitreichende Folgen. Die Initiator:innen der Referenden, die Umweltaktivist:innen von Acción Ecológica und YASunidos, werben dafür, dass zukünftig grundlegende Politentscheidungen per Referendum basisdemokratisch getroffen werden sollten. Die progressive Verfassung des Landes gibt das her. Nun entscheiden die Wähler:innen: über die Zukunft eines Landes, dass im Chaos zu versinken droht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien