Ökonom über Umweltreferendum in Ecuador: „Ein deutliches Zeichen des Aufbruchs“

Ecuadors Bevölkerung stimmt ab, ob das Erdöl im Yasuní-Park im Boden bleiben soll. Der Volksentscheid hat Symbolwirkung, sagt der Ökonom Alberto Acosta.

Person von hintern zu sehen läuft durch saftiges Grün

Die “Gebärmutter der Welt“: Der Yasuní- Nationalpark ist einer der artenreichsten Orte global Foto: Stevens Tomas/imago

taz: Herr Acosta, an diesen Sonntag stimmten die Menschen in Ecuador in einem Referendum daüber ab, ob im Nationalpark Yasuní Öl abgebaut werden darf. Die Ölkonzerne drillen dort aber schon seit Jahren. Warum gibt es erst jetzt eine Volksbefragung dazu?

Alberto Acosta: Vor zehn Jahren, als die Regierung die Ölkonzessionen vergab, protestierten Umweltschützerïnnen und sammelten Unterschriften, um eine Volksabstimmung darüber einzufordern. Aber weder die damalige linke Regierung von Rafael Correa noch die folgenden beiden rechten Präsidenten haben dem Anliegen Folge geleistet. Bis das Verfassungsgericht im Mai 2023 angeordnet hat, dass die Regierung die Volksbefragung anberaumen muss.

Alberto Acosta Jahrgang 1948, ist Ökonom und ehemaliger Minister für Energie und Bergbau. Er war Vorsitzender der verfassunggebenden Versammlung, die umfassende Umweltrechte verankerte.

Welche Bedeutung hat dieser Volksentscheid?

Wenn diese Abstimmung Erfolg hat, wäre es ein deutlicheres Zeichen des Aufbruchs als das leere Geschwätz auf den Klimagipfeln. Zum einen wird dadurch dem Recht der Bevölkerung auf Mitbestimmung Genüge getan. Zum anderen geht es um den Schutz eines ökologisch wichtigen Teils Amazoniens. Dort leben unkontaktierte indigene Völker, und es gibt eine riesige Biodiversität und ein enormes Süßwasserreservoir.

Zum Dritten geht es darum, auf die Förderung fossiler Brennstoffe zu verzichten und so Kohlenstoffdioxid (CO₂) einzusparen, um den Klimawandel zu verlangsamen. Zum Vierten wären die Firmen gezwungen, ihre dort aufgebauten Förderanlagen abzubauen und die von ihnen angerichteten Schäden wiedergutzumachen.

Die Artenvielfalt im Yasuní-Park ist unglaublich groß. Wie konnte dort so viel verschiedenes Leben bewahrt werden?

In der Eiszeit war der Yasuní eine der wenigen Regionen, die nicht mit Eis bedeckt waren. Das Leben ging dort weiter. Deshalb sprechen manche auch von der „Gebärmutter der Welt“ oder der „Arche Noah“. Dort leben mehr Arten als in jeder anderen Ecke der Welt. Auf einem Hektar finden sich mehr Pflanzenarten als in ganz Nordamerika und mehr Käfer als in ganz Europa. Dort gibt es mehr als 2.000 verschiedene Bäume und Sträucher, 121 Reptil-, 204 Säugetier-, 210 Vogel-, 150 Amphibien- und 250 Fischarten.

Diese Biodiversität hat auch einen wissenschaftlichen Wert, oder?

Es ist ein gigantisches Genreservoir, das für wissenschaftliche und medizinische Zwecke sehr interessant ist, sofern die Erforschung im gegenseitigen Respekt mit den dortigen Völkern erfolgt. Da muss man sehr aufpassen, dass sich das nicht Biopiraten oder transnationale Firmen unter den Nagel reißen.

Zum Thema Wirtschaft: Ecuador hat sehr unter der Pandemie gelitten, die Armut ist gestiegen, und in den letzten Monaten hat die Kriminalität stark zugenommen. Der Staat braucht dringend Geld. Wie lässt sich da rechtfertigen, das Öl im Boden zu lassen?

Dem ecuadorianischen Staat könnten 200 bis 400 Millionen US-Dollar im Jahr entgehen. Der Haushalt Ecuadors fürs laufende Jahr beträgt 31,1 Milliarden US-Dollar. Wir sprechen also von einem Prozent des Staatshaushalts! Außerdem muss man die dortigen Reserven erst einmal richtig beziffern. Das, was am Anfang versprochen wurde, ist illusorisch. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass dort viel weniger Öl liegt als gedacht.

Trotzdem bleibt eine Lücke im Haushalt. Wie könnte der Staat die anders stopfen?

Unser Staat gewährt den Reichen Steuernachlässe, die die Einnahmen aus dem Erdöl bei Weitem übertreffen. Diese sollte er stopfen. Außerdem haben wir ein riesiges Problem mit der Steuerhinterziehung. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (Cepal) schätzt sie auf 7 Milliarden US-Dollar im Jahr. Allein die 25 größten Säumigen schulden dem Staat 734 Millionen US-Dollar.

Es geht also bei dem Plebiszit nicht nur um ökologische Gerechtigkeit und Naturschutz, sondern auch um soziale Gerechtigkeit. Denn wenn wir gegen den Ölabbau stimmen, zwingen wir den Staat, andere Wege zu gehen. Dieses Plebiszit könnte ein erster Schritt sein hin zu einer anderen post-extraktivistischen Wirtschaftsordnung und einer gerechteren Gesellschaft.

Sie selbst hatten im Jahr 2009 als Energie- und Erdölminister den Vorschlag gemacht, das Erdöl des Yasuní im Boden zu lassen, wenn die internationale Gemeinschaft Ecuador dafür finanziell kompensiert. Das hat sich nicht umsetzen lassen.

Das stimmt. Ich bin allerdings nicht der Autor, sondern nur das Sprachrohr dieser Idee. Sie ist aus vielen gesellschaftlichen Prozessen entstanden. Leider ist daraus nichts geworden. Nicht so sehr, weil uns die Welt im Stich gelassen hätte, sondern eher, weil es Präsident Correa an einer glaubwürdigen, langfristigen Strategie mangelte. Aber die Jugend fand den Vorschlag gut, griff ihn auf und sammelte Unterschriften für ein Plebiszit.

Nun ist das Thema der internationalen Kompensation vom Tisch, weil die aktuelle Regierung daran kein Interesse mehr hat. Ist das richtig?

Ja, aber wir stehen vor der Herausforderung, ein neues Konzept zu entwerfen, um die internationale Gemeinschaft in dieses Projekt einzubinden. Und natürlich haben wir ein Interesse an internationalen Klimaschutzgeldern.

Ich kann mir vorstellen, dass die Erdölkonzerne besorgt sind über die Signalwirkung eines solchen Plebiszits.

Ihre Kampagne gegen das Referendum ist sehr schmutzig. Ich spreche von einer „heiligen extraktivistischen Allianz“ zwischen Öl- und Bergbaukonzernen, der rechten Regierung von Präsident Guillermo Lasso, Industrie- und Handelskammern und liberalen Ökonomen. Die Botschaft, die sie vermitteln, bezeichne ich als Wirtschaftsterrorismus. Sie sagen, dass unser Land am Abgrund steht, wenn die Bevölkerung die Erdölförderung verbietet. Sie behaupten, dass dann die Dollarisierung endet und eine riesige Wirtschaftskrise und hohe Arbeitslosigkeit kommen.

Und wie reagieren die Befürworter*innen?

Die Aktivist*innen, vor allem junge Leute, kontern sehr kreativ in sozialen Netzwerken, und ich reise durchs Land und kläre über den Inhalt und die Reichweite des Referendums auf. Wir versuchen alle Kräfte zu mobilisieren, denn wir sehen uns einer mächtigen Hydra gegenüber.

Welche Folgen hat dieses Plebiszit? Besteht die Gefahr, dass es als Papiertiger endet?

Die Bergbau- und Ölkonzerne wissen: Wenn dieses Plebiszit Erfolg hat, wird es für sie schwieriger, neue Vorkommen zu erschließen. Denn am 20. August geht es nicht nur um das Öl am Amazonas, sondern gleichzeitig bei einer zweiten, parallelen Befragung im Hauptstadtbezirk darum, ob im sogenannten Chocó Andino der Bergbau verboten werden soll.

Wenn beide Plebiszite zugunsten des Umweltschutzes ausgehen, hat das Signalwirkung. Es werden dann weitere Befragungen folgen. Wenn wir verlieren, ist das für die Bergbau- und Ölkonzerne der Freibrief, weitere Regionen des Landes auszubeuten. Dann steht uns eine Lawine an neuen Konzessionen bevor.

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