Präsidentschaftskandidat getötet: Im Kampf gegen Korruption gefallen

Zu Ecuador gehören heute Bandenkriminalität und Korruption. Der Mord an Fernando Villavicencio markiert einen Tiefpunkt.

Ein Mann umgeben von anderen Personen schwenkt eine Fahne

Kurz vor seiner Ermordung: Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio in Quito Foto: Karen Toro/reuters

BERLIN taz | Der Mord an Fernando Villavicencio trägt die Handschrift von Profikillern. Mit drei Schüssen in den Kopf wurde der 59-jährige Präsidentschaftskandidat im Anschluss an eine Wahlkampfveranstaltung in einer Schule im Norden Quitos, der Hauptstadt Ecuadors, am Mittwoch gegen 18.20 Uhr förmlich hingerichtet.

Villavicencio war einer von acht Präsidentschaftskandidaten, die bei den Wahlen für das höchste Staatsamt am 20. August kandidieren. Und er war zugleich derjenige, der sich besonders vehement gegen die omnipräsente Korruption ausgesprochen hatte. Villavicencio, Journalist mit Schwerpunkt Antikorruption und Abgeordneter, war der Kandidat der Bewegung Construye („Aufbau“) und lag den letzten Umfragen zufolge auf dem vierten beziehungsweise fünften Platz unter den acht Kandidat:innen.

Laut Angaben seines Onkels Galo Valencia habe Villavicencio erst letzte Woche Morddrohungen von der Drogenbande Los Choneros erhalten, die wiederum eng mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell kooperiert. Das ist die erste heiße Spur, auf die auch Präsident Guillermo Lasso sogleich aufsprang, der die organisierte Kriminalität für die Tat verantwortlich machte: Das organisierte Verbrechen sei zu weit gegangen. Sie würden „die volle Härte des Gesetzes zu spüren“ bekommen, bekräftigte der seit Mai 2021 regierende ehemalige Bankier – unter dessen Ägide sich die Sicherheitslage genauso wie die ökonomische Situation extrem verschlechtert haben.

Das ehemals als Insel der Sicherheit in der Region geltende Ecuador ist zu einem der gefährlichsten Staaten Lateinamerikas mutiert. Noch 2017 lag die Mordquote in Ecuador bei einem Jahresschnitt von 5 pro 100.000 Einwohner. Seitdem kennt die Mordquote nur eine Richtung: Sie steigt. „Auf ein Niveau von 25 Gewaltopfern pro 100.000 Einwohner im letzten Jahr“, sagt Fernando Carrión, Sozialwissenschaftler an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften in Ecuador. „In diesem Jahr könnte diese Quote weiter steigen – auf bis zu 35 Morde. Ecuador gehört heute zu den gefährlichsten Ländern der Region“, prognostizierte Carrión bereits im April dieses Jahres.

Carrión: Folge struktureller Ursachen in der Justiz

Damals hatte Präsident Guillermo Lasso das Tragen von Waffen in Ecuador mit dem Verweis auf die steigende Kriminalität im Land legalisiert. Für Carrión ein gravierender Fehler. Er hält es für wesentlich klüger, die Zahl der zirkulierenden Waffen zu senken. Doch das Gegenteil ist der Fall und – meinen viele – nur ein Beispiel für die Inkompetenz der Regierung Lasso, die das Land in chaotische Verhältnisse geführt hat. Ein Beleg dafür sind auch die Gefängnisaufstände, die Massaker und Morde hinter Gittern. Die führten zu mindestens 450 Toten in den letzten 30 Monaten. Zuletzt starben bei einem Gefängnisaufstand Ende Juli in der größten Stadt des Landes, Guayaquil, je nach Quelle zwischen dreißig und fünfzig Menschen.

Für Carrión ist das eine Folge struktureller Ursachen in der Justiz und den Sicherheitsorganen. In Ecuador sei ab 2018 auf ein Konzept des minimalen Staates umgestellt, die staatlichen Strukturen zurückgestutzt worden. „2018 gab es ein Sicherheitsministerium, ein Justizministerium, das für die Haftanstalten verantwortlich war, ein Innenministerium und ein Sekretariat der Politik. Dann wurde all dies zusammengeführt in das Regierungsministerium und man reduzierte den Etat für die Sicherheit. Damals begann der Anstieg der Kriminalität in Ecuador“, analysiert Carrión.

Doch das ist nur ein Faktor. Der zweite Faktor ist die Dynamik des Drogensektors in der Region, der die Schwäche der ecuadorianischen Institutionen erkannt und ausgenutzt hat. Ecuador liegt eingeklemmt zwischen Peru und Kolumbien, den beiden größten Kokainproduzenten der Welt. Laut Carrión habe Kolumbien im letzten Jahr die Erträge um 25 Prozent gesteigert, Peru die Produktion sogar verdoppelt. „Nun werden etwa 800 Tonnen Kokain pro Jahr über Ecuador in alle Welt weiter geschmuggelt und 25 Kartelle kämpfen um Routen und lokale Märkte.“ Verheerend wirkt sich dabei aus, dass die Kartelle nicht wie früher in US-Dollar zahlen, sondern in Kokain. Das führt dazu, dass Konsum und Kleinhandel in Ecuador omnipräsent sind und mit einem Anstieg der Kriminalität einhergehen.

Doch damit nicht genug, denn die omnipräsente Korruption sorgt dafür, dass die Drogenkartelle auch in den Institutionen Fuß fassen. Präsident Lasso ist Teil des Problems. Der Vorwurf: mutmaßliche Veruntreuung im Zusammenhang mit Öltransportverträgen im staatlichen Ölkonzern Flopec. Zudem soll Lassos Schwager Danilo Carrera nicht nur ein Korruptionssystem für die Vergabe von Posten im öffentlichen Dienst, sondern laut einer Recherche der Internetzeitung La Posta auch Verbindungen zur albanischen Mafia unterhalten haben.

Lasso kam dem Amtsenthebungsverfahren zuvor

Aus diesen Gründen lief im Mai das Amtsenthebungsverfahren gegen Lasso an, dem er kurzerhand mit der Auflösung des Parlaments und der Verkündung von Neuwahlen zuvorkam. Präsidentschaftskandidat Villavicencio kannte sich in diesem Korruptionssumpf aus. Er hatte mehrere Anzeigen wegen Korruption im Erdölsektor, unter anderem gegen Ex-Präsident Rafael Correa eingereicht und erhielt laut seinem Wahlkampfberater vor dem Attentat mindestens drei Todesdrohungen. Die habe er den Behörden gemeldet.

Denkbar ist demnach, dass der Journalist aus ganz anderen Motiven, als denen der organisierten Kriminalität erschossen wurde. Seine Schwester Patricia Villavicencio machte die Regierung mitverantwortlich, unter anderem, weil sie ihrem Bruder nicht ausreichend geschützt habe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.