Wahl in Tunesien: Endlich im Fernsehen

Kurz vor der Präsidentschaftswahl in Tunesien erlebt das Land seine erste TV-Debatte. Für die arabische Welt ist das ein Novum.

Mann in Tunis hängt ein Wahlplakat auf, es zeigt Nabil Karoui

Als Favorit gilt Medienmogul Nabil Karoui, der momentan im Gefängnis sitzt Foto: dpa

TUNIS taz | Der Taxifahrer Haithem Oussaifi, 26 Jahre, steht auf einer Ausfallstraße in der Innenstadt von Tunis und blickt auf ein Spalier von Wahlplakaten. 26 Kandidatinnen und Kandidaten sind darauf zu sehen, die sich um das Amt des neuen Präsidenten in Tunesien bewerben. „Alles Diebe“, sagt Oussaifi. Wie viele unter 40-Jährige will er nicht wählen. „Ich kenne kaum einen der Kandidaten“, sagt er. „Der Staat, das sind für mich korrupte Polizisten oder Beamte, die einem das Leben schwer machen.“

Mitte Juli war Beji Caid Essebsi, das bis dahin zweitälteste Staatsoberhaupt der Welt, gestorben. Der 92-Jährige hatte das als Vorzeigeland des Arabischen Frühlings geltende Tunesien haarscharf vor einem Bürgerkrieg bewahrt. Nun hat das Land aber ein Problem: Die junge Generation fühlt sich von den Politikern längst nicht mehr repräsentiert. Umfragen zufolge haben 70 Prozent der Tunesier keinen Bezug zu einer der politischen Parteien, bei den Lokalwahlen im Frühjahr gaben nur 20 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.

Acht Jahre nach der Revolution wird der Alltag der meisten Tunesier noch immer von Korruption und Vetternwirtschaft bestimmt. Eine Debattenkultur fehlt dem Land, vor allem die jüngere Generation klagt das an.

Einer, der das ändern will, ist Belabbes Benkredda. Er ist Gründer der Munathara-Initiative, eines Projekts, das das Verhältnis von Bürgern und Staat zu verbessern versucht. Dass junge Tunesier Politik und Staat ablehnen, überrascht ihn nicht. „Politiker in der arabischen Welt mussten sich bisher vor den Bürgern kaum rechtfertigen. Während die Eliten machen konnten, was sie wollen, hatte der Bürger keine Fragen zu stellen.“

Belabbes Benkredda. Gründer der Munathara-Initiative

„Die Eliten konnten lange machen, was sie wollen, der Bürger hatte keine Fragen zu stellen“

Seit 2012 organisiert Benkredda mit seinem Team Debatten und Diskussionsveranstaltungen. „Wir bieten an, was nach dem Arabischen Frühling fehlte: ein öffentlicher Dialog mit Akzeptanz anderer Meinungen.“

Ende vergangenen Jahres stellte das Munathara-Team der tunesischen Wahlbehörde ISIE ein Konzept für eine TV-Wahldebatte vor. Fünf TV-Sender wollten sie von einer Liveübertragung überzeugen, das war ihr anfängliches Ziel. „Die drei Debatten wurden aber schließlich von fast allen privaten und öffentlichen Sendern und 22 Radiosendern übertragen, auch die größten libyschen und algerischen Sender haben übertragen“, sagt Benkredda. Sonst verfeindete Medien und Wahlbehörden waren plötzlich von einem gemeinsamen Debattenkonzept überzeugt.

Seit Samstag füllten sich die Cafés in Tunesien zum Public Viewing. Es wirkte fast, als wäre wieder Fußball-WM. Erstmals stellten sich die Kandidatinnen und Kandidaten Fragen in einer landesweit ausgestrahlten TV-Debatte. Fragen an die Kandidaten wurden per Los ausgewählt. Für ihre Antworten hatte jeder Bewerber und jede Bewerberin 90 Sekunden Zeit. Am Ende jedes Themenblocks gewährte man ihnen weitere 90 Sekunden, die die Kandidatinnen und Kandidaten für ihre Wahlversprechen nutzen könnten. Sich dem Wähler in dieser Form zu stellen ist für Tunesien eine Art Kulturrevolution.

Bellabes Benkredda im Porträt

Bellabes Benkredda, Initiator der ersten TV-Debatten in Tunesien vor der Präsidentenwahl Foto: Mirco Keilberth

Auch in den arabischen Nachbarländern sorgte die Debatte für Aufsehen. Das mag auch oder vor allem an einigen der Kandidatinnen und Kandidaten selbst liegen. Der offen homosexuelle Mounir Baatour wurde zwar aus unbekannten Gründen von der Wahlbehörde ausgeschlossen. Doch hat dies eine Öffentlichkeit für das Thema LGBTI-Rechte geschaffen. Noch immer wird Homosexualität in Tunesien unter Strafe gestellt. Mit Abdelfattah Mourou sind außerdem die moderaten Islamisten der Ehnnahda-Partei erstmals ins Rennen gegangen.

Eine Stichwahl ist wahrscheinlich

Nur einer fehlte in der Debatte: Ausgerechnet der Medienmogul Nanil Karoui, der Ende August wegen angeblicher Steuerhinterziehung spektakulär verhaftet wurde, blieb der TV-Debatte fern. Karoui liegt in Umfragen derzeit weit vor der Konkurrenz.

„In ähnlichen Situationen wurden in Peru und Brasilien Kandidaten per Telefon zugeschaltet oder für Stunden aus der Haft, es hätte also Möglichkeiten gegeben, für Karoui eine Lösung zu finden“, sagt Benkredda. Doch auf die Einladung reagierte sein Wahlkampfstab nicht. Später dann, am vergangenen Mittwoch, gab Karoui schließlich ein 30-minütiges detailliertes Interview – direkt aus seiner Gefängniszelle – und gab sich als politischer Gefangener „des Systems“.

Es gilt als sicher, dass es nach der Wahl am Sonntag zu einem zweiten Durchgang, einer Stichwahl, kommen wird. Die beiden besten Kandidaten, Karoui gilt als Favorit, müssten dann ein weiteres Mal im November gegeneinander antreten. Benkredda plant für das Finale bereits einen zweiten Debattenabend. Natürlich nur, falls Karoui mitmacht.

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