Wahl in Kanada: Weiter links
Die Wähler wollten Trudeau abmahnen, aber zugleich sicherstellen, dass ihr Land auf fortschrittlichem Kurs bleibt und nicht nach rechts abdriftet.
E r wankte, aber er fiel nicht: Anders als von vielen vorhergesagt hat sich Justin Trudeau noch einmal über die Ziellinie gerettet. Der kanadische Premierminister kann im Amt bleiben – trotz diverser Skandale, offenkundiger charakterlicher Schwächen, einiger Glaubwürdigkeitsprobleme, gebrochener Wahlkampfversprechen und geschrumpfter persönlicher Zustimmungswerte.
Doch die kanadischen Wähler sind traditionell milde. Über 80 Jahre ist es her, dass sie einen mit Mehrheit regierenden Premier nach nur einer Amtsperiode in die Opposition geschickt haben. Und so haben sie auch Trudeau am Montag eine zweite Chance gegeben – allerdings mit Warnruf. Im Parlament hat er zukünftig keine eigene Mehrheit mehr und ist gezwungen, mit kleinen Parteien zu kooperieren.
Die Botschaft der Wähler ist klar: Sie wollten Trudeau abmahnen, aber nicht abstrafen. Damit wollten sie sicherstellen, dass ihr Land auf fortschrittlichem Kurs bleibt und nicht dem Beispiel anderer Länder nach rechts oder rechts außen folgt. Eher das Gegenteil wird zukünftig der Fall sein. Alle drei potenziellen Partner Trudeaus im Parlament in Ottawa sind im Zweifel weiter links verortet als der Premier.
Die Konservativen unter Oppositionschef Andrew Scheer gewannen in absoluten Zahlen zwar die meisten Stimmen, einen Durchbruch aber schafften sie nicht. Die neue rechtspopulistische People’s Party, die mit Angst vor Überfremdung auf Stimmenfang gegangen war, stieß kaum auf Resonanz. Tatsächlich haben zwei Drittel der Kanadier am Montag für Parteien links der Mitte gestimmt.
Auf der Weltbühne wird Kanada damit einstweilen seinem moderaten Kurs treu bleiben als Gegenpol zu Populisten à la Trump, Orbán, Bolsonaro & Co. Als ein Land, das seine Grenzen für Zuwanderer und Flüchtlinge offenhält, das der internationalen Zusammenarbeit verpflichtet ist und das den Klimaschutz und Menschenrechte ernst nimmt. In Zeiten wie diesen ist das ein ermutigendes Zeichen.
Wie lange sich Trudeaus geschwächte Regierung im Amt halten kann, steht auf einem anderen Blatt. In Kanada enden Minderheiten-Konstellationen meist vor Ablauf der vollen Legislaturperiode. Gut möglich also, dass die Wähler schon in zwei bis drei Jahren wieder an die Wahlurnen müssen oder sogar früher. Bis dahin hat Justin Trudeau Zeit, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter