Wahl der EU-Kommissionspräsidentin: Zensursula wird EUrsula
Nach viel Kontroverse wurde über Ursula von der Leyen als neue EU-Kommissionspräsidentin abgestimmt. Die Mehrheit erzielte sie nur knapp.
Der Wahl waren stundenlange hektische Beratungen vorausgegangen. Vor allem die Sozialdemokraten rangen um eine gemeinsame Haltung – die sie am Ende aber nicht fanden. So scherten die meisten deutschen Sozialdemokraten aus und stimmten mit Nein. Auch Grüne und Linke verweigerten von der Leyen ihre Stimme. Am Vormittag hatte von der Leyen mit viel Inbrunst für sich und ihr Programm geworben. Sozialer, grüner und weiblicher soll die EU werden, versprach die 60-Jährige.
Besonders ausgeprägt war das Liebeswerben um die Grünen. So versprach von der Leyen eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050. Den Sozialdemokraten kam die ehemalige Arbeitsministerin mit Mindestlöhnen und einer Arbeitslosen-Rückversicherung entgegen, wie sie Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) seit Langem vergeblich fordert. Zudem versprach sie, den Stabilitätspakt für den Euro so flexibel wie möglich auszulegen, Investitionen massiv zu fördern und eine europäische Klimabank aufzubauen.
Und dann war da noch die feministische Offensive: Sollte sie zur Kommissionspräsidentin gewählt werden, so werde sie auf Parität zwischen Frauen und Männern in ihrem Team bestehen, betonte von der Leyen. Zur Not werde sie jene EU-Länder, die nur Männer nach Brüssel schicken wollen, auffordern, eine Frau nachzunominieren.
Noch einer drauf
Vergleichsweise wenige „Zückerchen“ gab es für Konservative und Liberale. Die Europäische Volkspartei, in der auch CDU und CSU mitarbeiten, lockt von der Leyen mit dem Versprechen, das Spitzenkandidaten-System zu erhalten und „sichtbarer“ zu machen. Zudem soll das Europaparlament ein Initiativrecht erhalten, wie dies der gescheiterte Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) gefordert hatte. Den Liberalen sagte sie einen zweijährigen Bürgerdialog zu, der in einer großen EU-Reform münden soll. Die Idee geht auf Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zurück; sie könnte sogar in Vertragsänderungen münden.
Und dann war da noch das – im EU-Parlament ungewohnte – Bekenntnis zur Nato und zur transatlantischen Allianz. „Wir wollen transatlantisch bleiben, aber europäischer werden“, betonte die Noch-Verteidigungsministerin. Das dürfte besonders den Osteuropäern gefallen. Für Polen und Balten ist von der Leyen vor allem die Frau, die die Bundeswehr ganz weit nach Osten verlegt hat und den „russischen Bären“ im Zaum hält.
Doch die Kandidatin legte noch einen drauf – und beschwor ihren Vater Ernst Albrecht, der in den 60er Jahren als hoher EU-Beamter in Brüssel diente. „Ich bin Europäerin gewesen, bevor ich gelernt habe, dass ich Deutsche und Niedersächsin bin“, erklärt sie unter Verweis auf ihren Geburtsort Brüssel. „Wer Europa spalten will, der findet in mir eine erbitterte Gegnerin.“ Dafür erntet sie viel Beifall, quer durch alle Fraktionen. Doch ob sich das auch in Ja-Stimmen bei der Wahl am Abend umsetzen würde, blieb zunächst unklar.
Immerhin: Konservative und Liberale sicherten ihr Unterstützung zu. „Dies ist der Tag des Aufbruchs – wir wollen gemeinsam mit von der Leyen anpacken und gestalten“, sagte Weber, der die EVP-Fraktion führt. „Wir sind bereit, Sie zu unterstützen, wenn Sie die Erneuerung Europas versprechen können“, erklärte auch der Fraktionschef der Liberalen, Dacian Cioloș. Auch die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager signalisierte Zustimmung.
Konfrontationskurs
Von einem „klaren Fortschritt“ gegenüber den ersten Anhörungen sprach Philippe Lamberts von den Grünen. Dennoch wollte die Öko-Partei gegen die Kandidatin stimmen. Die Rede habe eine „grüne Überschrift, aber wenig grünen Inhalt“, kritisierte der Europaabgeordnete Sven Giegold. Zum Artensterben habe sie nichts gesagt.
Auch die Linken blieben bei ihrem Nein. Von der Leyen stehe für eine „Militarisierung der Außenpolitik“, sagte Martin Schirdewan (Die Linke). Die EU brauche keine Verteidigungsunion, sondern Abrüstung.
Auf Konfrontationskurs ging Jörg Meuthen von der AfD. Er warf von der Leyen eine „sozialistische Anbiederungs-Performance“ vor. Die Kandidatin reagierte souverän: „Wenn ich Ihnen zugehört habe, dann bin ich ja geradezu erleichtert, dass ich von ihnen keine Stimme bekomme.“ Es war das bisher deutlichste Signal, dass die CDU-Politikerin nicht mit den Stimmen der Nationalisten und EU-Gegner gewählt werden wollte.
Passiert ist es trotzdem. So haben die Abgeordneten der Fidesz-Partei von Ungarns „illilberalem“ Regierungschef Viktor Orban geschlossen für von der Leyen gestimmt. Etliche Stimmen dürfte sie auch von der rechtsradikalen Lega in Italien bekommen haben.
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