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Wagenknecht-Ansprache in WettbergenSahra geht in Frieden

Große Politik in einer kleinen Kirche: Ein Neujahrsgottesdienst mit Sahra Wagenknecht regt viele auf. Dabei erzählt sie nur, was sie immer sagt.

Trifft bei Vielen einen Nerv: Sahra Wagenknecht spricht beim Neujahrsgottesdienst in der Wettbergener Kirche Foto: Ilona Hottmann

Hannover taz | Die Johannes-der-Täufer-Kirche in Wettbergen, einem Stadtteil am Rande Hannovers, stammt aus dem Jahr 1697 und ist hübsch aber eher schlicht. Keine, die sonst große Massen anzieht. Sie ist auch eher klein. Das war dann am Donnerstagabend doch ein Problem. Denn zum Neujahrsgottesdienst hatte man sich einen Stargast eingeladen: Sahra Wagenknecht.

Die Folge: Viel Gekabbel um die rund 300 Sitzplätze in der Kirche und dem benachbartem Gemeindesaal, ein solider Shitstorm, großes Medieninteresse, ein genervter Kirchenkreis und 25 wütende Demonstranten auf dem Vorplatz, die Plakate hochhielten, auf denen zum Beispiel stand: „Putin-Propaganda – Pastor Harms lädt ein“.

Nun ist Pastor Friedhelm Harms einer, der gern einmal durchblicken lässt, wie sehr er unter dem wachsenden Bedeutungsverlust seiner Kirche leidet. Aber diese Art von Aufmerksamkeit wurde ihm dann doch ein bisschen zu viel.

Die Tradition, sich zu den Neujahrsgottesdiensten möglichst Prominente und öfter auch umstrittene Redner einzuladen, hat er von seinem Vorgänger geerbt. Gerd Schröder, Christian Wulff und Gergor Gysi waren schon hier, und auch der Sohn des von der RAF ermordeten Generalstaatsanwalts Siegfried Buback sowie der Nahost-Experte und Islamkritiker Ahmad Mansour.

Bekanntes, garniert mit Bibelzitaten

An Wagenknecht, sagt er, habe ihn vor allem ihre Position zum Krieg in der Ukraine interessiert. Als er sie im vergangenen Herbst einlud, war aber natürlich noch nicht absehbar, dass diese Neujahrsansprache kurz nach der Gründung ihrer eigenen Partei stattfinden würde.

Was die bekennende Atheistin Wagenknecht dazu bewogen haben mag, die Einladung anzunehmen, bleibt unklar. „Etwas sehr Besonderes“ sei das, sagt sie in ihrer Rede. Die befasst sich mit zwei Aspekten: einerseits dem Russland-Ukraine-Krieg und andrerseits mit dem, was sie als wachsende gesellschaftliche Spaltung beschreibt.

Wagenknecht sagt dabei nichts, was man sie nicht schon hunderte Male in Talkshows und Reden hätte sagen hören, aber sie sagt es ein bisschen sanfter, milder, pastoraler und macht sich die Mühe, die Bibel, Margot Kässmann und den Papst zu zitieren, wo sie normalerweise Philosophen und politische Denker heranzieht.

Sie plädiert also einmal mehr für sofortige Friedensverhandlungen mit Russland, beklagt den sich verengenden Meinungskorridor und dass die wahren sozialen Probleme im Land nicht adressiert würden, weil man sich lieber damit beschäftige, auf Bürgergeldempfängern herum zu hacken.

Krieg, Frieden und der Meinungskorridor

Dafür bekam sie schon beim Einzug in die Kirche Applaus und auch die kleine Fragerunde im Gemeindehaus im Anschluss an den Gottesdienst ist von großem Wohlwollen geprägt.

Die einzigen kritischen Fragen beziehen sich darauf, ob der Parteiname nicht doch ein bisschen weniger egozentrisch hätte ausfallen können. Das habe ganz praktische Gründe, sagt Wagenknecht und der Name müsse ja auch nicht immer so bleiben.

Es ist offensichtlich, dass auch viele Gemeindemitglieder von Friedensfragen umgetrieben werden, vom Unbehagen an den Waffenlieferungen, der Dauer, den Kosten und dem Eskalationspotential dieses Krieges.

Deshalb hören sie es gern, wenn Wagenknecht zum wiederholten Mal behauptet, der Frieden wäre bei den Istanbul-Verhandlungen im Frühjahr 2022 praktisch schon zum Greifen nah gewesen, Russland zum Rückzug bereit, die Ukraine hätte lediglich ihre Neutralität erklären müssen.

Es gäbe an dieser Stelle eine Menge einzuwenden: Es gab bedeutende Verhandlungsteilnehmer, die das ganz anders eingeschätzt haben, den ungeklärte Status von Donbas und Krim, das Ringen um Sicherheitsgarantien für die Ukraine auf westlicher Seite, den fortgesetzte Beschuss Mariupols, das Massaker von Butscha.

Wagenknecht trifft einen Nerv

Aber wer hat schon noch all diese Details parat, wer möchte sich überhaupt damit befassen mit diesem zähen Ringen und ewigen Vor und Zurück in den Verhandlungen. Im Gemeindesaal der Johannes-der-Täufer-Kirche offensichtlich niemand.

Stattdessen bekommt Wagenknecht noch einmal die Frage: „Kann man mit Putin nicht reden?“, damit sie noch einmal wiederholen kann, was sie schon in ihrer Rede gesagt hat: Doch, klar, man muss es einfach nur mal tun. In ihren Augen ist es ja ausschließlich der Westen, der einseitig auf militärische Lösungen setzt und Diplomatie verweigert.

Und zwar, weil man entweder das neue Waffenversuchsfeld nicht aufgeben möchte oder weil man sich von Wut- und Rachegefühlen und einer „abstrakten Moral“ leiten lässt. Sie plädiert dagegen nicht nur für mehr Diplomatie, sondern auch mehr Sachlichkeit. So einfach ist die Welt, wenn Dr. Sahra Wagenknecht sie erklärt.

Nur eine junge Frau fragt kritisch nach, ob man das denn Diplomatie und okay nennen könne, wenn Russland die Ukraine erpresst, auf eine Nato-Mitgliedschaft zu verzichten. Aber auch das pariert die talkshow-gestählte Sahra Wagenknecht natürlich schnell. Sie wolle sich Russlands Ziele ja nicht zu eigen machen und natürlich sei der Krieg ein Verbrechen, aber man hätte die russischen Sicherheitsinteressen eben berücksichtigen müssen.

Zum ersten Mal Minderheit

Und es gibt ein weiteres Themenfeld, bei dem die Rednerin offensichtlich einen Nerv trifft. Das sind die Klagen über den enger werdenden Meinungskorridor, die Dinge, die man nicht mehr sagen dürfe, den unsäglichen Ton in vielen Auseinandersetzungen.

Es wird oft darauf hingewiesen, was für ein Widerspruch das ist, wenn solche Klagen ausgerechnet von einer Person kommen, die in Talkshows und im Parlament sitzt, Marktplätze und Veranstaltungssäle (sogar von Kirchen) füllt und tausende Bücher verkauft.

Aber dieser offensichtliche Widerspruch verfängt auch hier, bei diesem Publikum in Wettbergen, nicht so richtig. Möglicherweise, weil es eigentlich um etwas anderes geht. Möglicherweise geht es gar nicht darum, dass Dinge, die man sagt, tatsächlich üble Konsequenzen haben.

Sondern eher darum, dass man zum ersten Mal im Leben die Erfahrung macht, eine Minderheitenmeinung zu vertreten und auf heftigen Widerspruch zu stoßen. „Frau Wagenknecht, Sie haben ja täglich mit Gegenwind zu tun. Woher nehmen Sie die Kraft?“, fragt ein älterer Herr. Aus dem großen Zuspruch, den sie ja auch täglich erfahre, antwortet Sahra Wagenknecht freundlich.

Und dann ist die Sprechstunde auch fast schon zu Ende. Die Politikerin muss dringend zum Zug, schafft es kaum noch alle Selfie- und Signierwünsche zu bedienen. Draußen sind die wütenden Demonstranten längst verschwunden. Niemand buht mehr.

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13 Kommentare

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  • "Dabei erzählt sie nur, was sie immer sagt."



    Der frische Wind in der Politik eben.

  • "Sondern eher darum, dass man zum ersten Mal im Leben die Erfahrung macht, eine Minderheitenmeinung zu vertreten und auf heftigen Widerspruch zu stoßen." Eine geniale Überlegung, danke!

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Sie ( Wagenknecht ) wolle sich Russlands Ziele ja nicht zu eigen machen und natürlich sei der Krieg ein Verbrechen, aber man hätte die russischen Sicherheitsinteressen eben berücksichtigen müssen.""

    ===

    1..Ukrainische Sicherheitsinteressen sind demnach für die links-nationale Populistin nicht existent?

    2.. In der Filmrecherche mit Markus Feldenkirch/ Spiegel erklärt Wagenknecht, das Sie über die innenpolitische Repression in Russland informiert ist und nicht in die Russische Förderation reisen würde.

    Wagenknecht lehnt sogar Reisen in die russische Förderation ab - mutet aber den Ukrainern zu -- unter brutaler Repression der Russen in der Ukraine dauerhaft leben zu "sollen" ?

    Wer ist Wagenknecht einem europäischen Land so ein Schicksal öffentlich als Propaganda einer links-nationalen populistischen Partei zuzumuten?

    Wagenknechts Verhalten ist asozial.

    3.. Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen der unverhohlenen Sympathie Rechtrsradikaler zu Russland - und Wagenknechts Aussagen zur Russischen Förderation?

    Gibt es da überhaupt einen Unterschied?

    4.. Eine links-nationalistische populistische Partei wie die BSW die Tatsachen verdreht & populistisch umdeutet ist das letzte was die Bunderepublik & das Europäische Parlament derzeit benötigt.

    5.. Neben der CDU nimmt BSW - und Wagenknecht selbst inklusive führende Mitarbeiter -- nicht an den Demos gegen die affd und gegen die rechtsradikalen Alpträume diskutiert auf der Wannseekonferenz 2.0 in Potsdam -- nicht teil.

    Zufall oder Absicht?

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Soweit ich mich erinnere, waren die rechtsradikalen früher nie besonders russlandfreundlich, aber ggf. auf Grund der Autokratieaffinität der Rechten auf dem rechten Auge blind, und somit russlandunkritisch.



      Aber eine besondere Nähe zu Russland habe ich in früheren Zeiten nicht wahrgenommen.



      Heute hingegen scheint sich das m.E. tatsächlich auf Grund der AFD und Pegida seltsamer Weise geändert zu haben.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      "Wagenknechts Verhalten ist asozial."

      FUNFACT: Vor 2 Tagen beschloss die Koalition - unter dem propagandistischen Dauerfeuer der CDU/CSU und AfD mit tatkräftiger Mithilfe der FDP einknickend, und gegen den Widerstand von Grünen, Linkspartei und Gewerkschaften - die Sanktionierung "arbeitsunwilliger" Bürger*innen.

      Nun schmeißen Sie mal die Suchmaschine Ihres Vertrauens an, und fragen sie nach: wagenknecht sanktionen

      Und um den Spaß vollkommen zu machen, direkt noch nach: wagenknecht bürgergeld sanktionen.

      Bislang kein Piep von SW zu der Drangsalierung der Ärmsten der Armen.



      Aber dabei sehr viel zu "Sanktionen", die dringend abgeschafft werden müssten.

      Damit meint sie aber die internationalen Sanktionen gegen russische Kriegsverbrecher, Kriegsgewinnler, Mafiosi, und andere Putinfaschisten und oligarchische Kapitalisten.

      Fazit: es bleibt dabei, dass die Internationale für Sahra Wagenknecht umgeschrieben werden muss: "Aufs Maul, Verdammte dieser Erde!"

      -----------

      "Zufall oder Absicht?"

      Beides. Wagenknecht hat ganz andere Kanäle, nämlich über die Hintermänner von Leuten wie Mörig. Den hatte sie ja gar nicht auf dem Schirm; mit so kleinen Fischen gibt sie sich nicht ab.



      Aber allein schon wie sie mit Roger Köppel rumschwänzelt, sagt alles.

  • Natürlich ist Wagenknecht eine Populistin, aber sie sensibilisiert zumindestens für wichtige Themen.

    Es ist zwar falsch zu behaupten, dass der Frieden im Rahmen der Istanbuler zum Greifen nahe war. Aber selbstverständlich hat es eine realistische Chance gegeben.



    Selenski war (nach allem was man weiß zum damligen Zeitpunkt sehr an einem Frieden und Diplomatie interessiert und auch bereit zu großen Zugeständnissen).



    Das ohne Sicherheitsgarantien für die Ukraine kein Frieden möglich ist, sollte eigentlich jedem klar sein. Schade,



    dass die damalige öffentliche Meinung so "kriegseuphorisch" war. Ansonsten hätten sich vielleicht auch westliche Spitzenpolitiker in die Verhandlungen mit eingeschaltet und versucht eine Lösung bzgl Sicherheitsgarantien zu finden.

    Und bevor hier Missverständnise entstehen. Natürlich trägt Russland die volle Verantwortung für den Angriffskrieg, aber den Menschen wäre trotzdem mehr mit einer schnellen diplomatischen Lösung geholfen gewesen.

    • @Alexander Schulz:

      Es gab eine Chance in Istanbul? Aber nicht von Putins Seite. Bis heute bombardiert er immer wieder klar zivile Ziele. Das sieht nicht nach Kompeomisswilligkeit aus, nachdem er ja schon die Krim annektiert hat.

    • @Alexander Schulz:

      "Natürlich ist Wagenknecht eine Populistin, aber sie sensibilisiert zumindestens für wichtige Themen."



      Das macht die AfD auch, sogar deutlich erfolgreicher. Gut find ich das trotzdem nicht.



      "...aber den Menschen wäre trotzdem mehr mit einer schnellen diplomatischen Lösung geholfen gewesen."



      Nur mit einer dauerhaft stabilen Lösung. Und die darf bezweifelt werden.

      "Sicherheitsgarantien für die Ukraine"



      Wie könnten die eigentlich aussehen?



      - Mitglied in der NATO ist ja angeblich ein No-go.



      - Versprechen Russlands gab es bereits in den 90ern, gebracht haben sie nix.



      Was bleibt? Chinesisches Protektorat? Na danke.

    • @Alexander Schulz:

      Ist es tatsächlich so, dass zum damaligen Zeitpunkt Sicherheitsgarantien möglich gewesen wären?



      Nach meiner Erinnerung ist dies gerade eins der wichtigsten Themen, das den kriegerischen Konflikt endgültig und tatsächlich beenden können, dafür wären Sicherheitsgarantien unabdingbar gewesen, ohne diese hätte der Konflikt jederzeit wieder aufflammen können und hätte Russland der Vorteil verschafft, sich besser reorganisieren und nachrüsten zu können.



      Sicherheitsgarantien hatte m.Erinnerung nach Russland abgelehnt. Daher konnte der Konflikt nicht beendet werden, da er Waffenstillstand allerhöchstens kurzfristig gewesen wäre, und der Ukraine bei einem Wiederaufflammen strategische Nachteile gebracht hätte.

  • Wie kann man nur so tief sinken wie die Wagenknecht.

    • @Andreas J:

      Immerhin hat sie es geschafft, das sie den Artikel über die lesen. ;)

    • @Andreas J:

      Zu viel Apéro mit Schweizer Privatbankiers.