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Vorwurf der WokenessZwischen den Stühlen

Uli Hannemann
Kommentar von Uli Hannemann

Fynn Kliemann schimpft angriffslustig über die „woke Szene“. Damit ist er nicht allein. Aber was meint er eigentlich?

Traurig, weil nicht alle seine Entschuldigung akzeptieren? Influencer Fynn Kliemann Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

I m Streit mit Springer-Chef Mathias Döpfner, der einen „transskeptischen“ (im Sinne von „wahrheitsskeptischen“) Artikel in der Welt überraschend klar verurteilt, hat Bild-Redakteurin Judith Sevinç Basad bei ihrem Herzensblatt gekündigt. Die Bild-Zeitung ist ihr nun zu links, so wie es ja auch Menschen gibt, denen Wasser zu trocken ist. Man verweigere ihr, wofür sie „seit Jahren mit vollem Idealismus kämpfe: vor den Gefahren des woken Aktivismus zu warnen“.

Das „Woke“, so legt der Kontext nah, ist per se ein Übel, das mit offenem Visier und heißem Herzen bekämpft werden muss. So beklagt auch der Influencer Fynn Kliemann, dass ein „Teil der linken, woken Szene“ seine Entschuldigung für Unregelmäßigkeiten bei einem Maskendeal nicht ausreichend akzeptiere, während der Frankfurter Fußballprofi Martin Hinteregger, wegen eines rechtsextremen Unterstützers des von ihm organisierten Fußballturniers in die Kritik geraten, von einer „medialen Hetzjagd“ spricht: Wokigall, ick hör dir trapsen.

Doch was ist eigentlich dieses „Woke“, von dem nun alle reden? Der Puls der Zeit schlägt oft sehr leise. Deshalb hat auch der Autor dieser Zeilen das Wort eine Spur zu lange strapaziert. Dabei war es da schon vergiftet als höhnischer Kampfbegriff von liberal bis rechts, eine negative Bedeutungsentwicklung ähnlich der des „Gutmenschen“. Dabei bedeutet „woke“ laut Duden nur: „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung.“

Lieber bloke als woke

Doch die Kritisierenden sehen sich offenbar lieber als verschnarchte Schlechtmenschen. Mit der Attitüde 15-jähriger Bushäuschenentglaser lehnen sie Rücksicht und („aaahh, nicht das Wort!“) „Achtsamkeit“ als irgendwie weich, wessihaft, verlogen, unmaskulin etc. ab. Man fühlt sich einfach wohler bei den Coolen in der Raucherecke. Bewusstsein ist doch für Langweiler, lieber bloke als woke.

Ich hätte es eher merken müssen; spätestens, als der Klang des Wortes auch in meinem Kopf anfing, in leicht ironischem Unterton zu schwingen, denn für mein Alter bin ich zwar, was korrekte Sprache betrifft, noch ansatzweise gutwillig unterwegs, und doch fühle ich mich oft wie zwischen den Stühlen sitzend: Hier die alternden Peers mit ihrer durchschaubaren männlichen Grundgekränktheit, bei denen ich mir oft wünschte, dass sie sich über wichtige Themen, von denen sie sich persönlich weniger betroffen fühlen, quantitativ und qualitativ ähnlich echauffieren könnten wie zum Beispiel über Gendersprache.

Oder dort die Leute von FFF Hannover, die wie schlecht entnazifizierte Lateinlehrer in den 1960er-Jahren einer Frau mit Dreadlocks empfehlen, sich erst mal die Haare zu schneiden, bevor sie wieder zum Unterricht erscheinen darf.

Ein Traum von Marschmusik

Es gibt noch viele Beispiele mehr. Doch die anzuführen bringt nichts, weil die Grenze zwischen (vermeintlichem) Auswuchs und berechtigter Sensibilität sowieso jede für sich selbst ziehen muss. Und da spielt so viel eine Rolle: Geschmack, Sozialisation, Alter, Blödheit. Eine pauschale Verdammung diskriminierungskritischer und emanzipativer Denkweisen und Diskurse aufgrund als absurd empfundener Extrempositionen ist dennoch hochmütiger und bequemer Scheiß.

„Eine der extremen Auswüchse (des Kulturkampfs; d. A.) wird ‚Woke‘ genannt“, schreibt Esther Bockwyt in ihrem Gastkommentar „Woke-Kultur – eine zwanghafte Einengung“ in der rechtskonservativen NZZ. Demnach gibt es also keine Auswüchse „woker“ Denkweisen, sondern das „Woke“ an sich ist bereits der Auswuchs. Bald spielt sicher wieder überall Marschmusik.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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14 Kommentare

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  • Was dieser Typ darunter versteht und was das Problem an der Woke-Jugend ist, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.







    Die Woke-Jugend verurteilt jeden Rassismus, Sexismus und jede Homophobie aufs Äußerste, hat aber kein Problem damit in Dubai Urlaub zu machen wo Rassismus, Sexismus und Homophobie an der Tagesordnung sind.



    Natürlich wird sich dort vegan ernährt, da ist die Woke-bewegung konsequent-Guten Flug und bloß kein Spielverderber sein.

    Die Woke-Jugend ist auch bereit jeder Millardärin Empathie zu schenken, wenn sie als Frau diskriminiert wurde. Die Putzfrau in Dubai ist halt egal, der männliche Taxifahrer sowieso.

    Die Woke-bewegung findet ausserdem Online-dating ganz toll und unproblematisch. Sich öffentlich zweidimensional mit allen sexuellen Vorlieben im Netz zu präsentieren- was kann schon schiefgehen?



    Narzisstische Selbstreklame auf Instagram ist auch überhaupt nicht schwierig und wer das anders sieht ein alter Sack. Erzählt mir mehr von euren Darmproblemen auf Tiktok-hey, das private wurde schließlich abgeschafft!

    Der 68er Vergleich kann schon hinkommen. Die waren stellenweise genauso verlogen und selten mal aus proletarischem Hause

    • @Alfonso Albertus:

      Ja klar die "Woke-Jugend" macht Urlaub in Dubai, treibt sich notgeil auf Datingseiten rum und sind alle nazistische Heuchler. Was für ein Bullshit.

      • @Andreas J:

        Wenn Sie meinen....Das sind eben meine Erfahrungen mit der Woke-Jugend bzw Bewegung.



        Ich hatte in letzter Zeit relativ viel persönlichen Kontakt zu Personen, die in dieses Schema passen.

        Notgeilheit oder sexuelle Lust stören mich übrigens nicht daran, das haben Sie falsch verstanden. Es geht um das völlig abhanden gekommen Bewusstsein für a) die Gefahren des gläsernen Menschen und b) das anpreisen auf dem "Single-markt" über Dating-seiten. Alles wird bereitwillig zum Produkt gemacht, man spielt das Spiel bereitwillig mit.

        Die Dubai-Story ist keine Erfindung, sondern eine persönliches Erlebnis mit einer jungen Bekannten. Vegan, moralisch immer vorne mit dabei und dan auf Dubai den Bonzen markieren.

        Das "alle" so sind behauptet ich nicht, aber in der Masse sind gewisse Verhaltensweisen zu erkennen.

        • @Alfonso Albertus:

          Ich glaube trotzdem, dass ihr Bild verzerrt ist und nicht der typische Mensch dieser Bewegung so ist. Wichtiger scheint mir die Nutzung von Twitter, eine enge Vernetzung, wobei immer nur Informationen aus der eigenen Blase zur Kenntnis genommen werden ( volksverpetzer, Böhmermann, jung und naiv) und ein hohes Maß an Bestrafungswillen und Missachtung rechtsstaatlicher Institutionen und Prinzipien….oft auch noch gepaart mit wirtschaftlich solider Ausstattung und daher Missachtung derjenigen, die für den broterwerb Kompromisse eingehen müssen.

  • Also ich finde:



    Kliemann ist offensichtlich ein Betrüger und soll endlich die Kappe halten.



    Und: Hannemann ist ein kritischer Geist mit unterhaltsamen Kommentaren, dem ich auch hier wieder zustimmen muss.



    Aber:



    Ist die wokeness nicht ein Auswuchs jugendlichen Idealismus´, den es schon immer in Wellen gab und der regelmäßig den älteren Mitbürgern (wie Hannemann und mir) auf den Senkel geht? Haben die Alt-68er nicht auch für uns Post-68er gekämpft. Sind die Wokies von heute nicht die Alt-22er von übermorgen?

  • Kliemann, woke Szene, Influenzer????

    Influenzer sind üble Werbefuzzies, die den Leuten, oft Jugendliche, irgendeinen Scheiß verkaufen wollen und rühmen sich noch dabei, dass sie reich geworden sind.



    Was ist aus dieser Gesellschaft geworden?

  • Was Kliemann unter "woke(ness)" versteht, weiß ich nicht. Was ich weiß, ist, dass darunter im akademischen Kontext und Diskurs eine neue linksradikale "Erweckungsbewegung" bzw. Ideologie verstanden wird, die man treffend als postmoderne kritische Theorie bezeichnen kann, weil es sich dabei um eine Verschmelzung der postmodernen Theorie (Lyotard, Derrida, Foucault u.a.) mit der kritischen Theorie der neomarxistischen Frankfurter Schule (Horkheimer, Marcuse, Adorno u.a.) handelt.

    • @Oliver S.:

      Ich denke er versteht darunter eine gewisse Szene auf Twitter, die von shitstorm zu shitstorm eilt, um Leute zu strafen, die sich nicht moralisch korrekt verhalten haben oder Kontakt mit jemanden haben, der sich nicht moralisch….usw…

  • Da wird nur gegen das geschossen, was Rechtsextreme gerne wären. Sie erzählen ständig, nur sie wüssten die Wahrheit, deswegen sind Leute halt der Feind, die auch sagen, sie hätten was kapiert, daraus aber andere Schlüsse ziehen (z.B. dass Rechtsextreme dummes Gesocks sind). Ein eigentlich starkes Narrativ wird entweder versucht zu übernehmen (red pill) oder schlechtzumachen (woke).

    Dass dagegen Leute, die versuchen, das richtige zu tun, auch manchmal Fehler machen und auch manchmal Entscheidungen treffen, die im Rückblick zynisch wirken, und dass das auch normal ist, wird nicht zugelassen. Stattdessen werden sie als Heuchler verunglimpft — so muss man sich selbst nicht mit dem eigenen Zynismus auseinandersetzen.

  • Danke Ulli Hannemann, wie so oft und hier speziell: tiefe Verneigung für endgültige thematische Durchdringung. Auch ich streue Asche auf mein ähnlich altes Haupt. Was selbstredend Nichts daran ändert, dass einem der rigorose und oft zum Fremdschämen selbstgerechte Moralismus mancher, die sich selbst als "woke" bezeichnen, gehörig auf die Ketten gehen kann. V.a. wenn der ganze Furor sich daunenweich in eine Erbschaft in spe gebettet erweist. "It's class, stupid" murmelt es da im Oberstübchen sanft und nachhaltig.

  • Was mich an dieser ganzen vermeintlichen Wokeness stört ist nicht der Einsatz gegen verschiedene Formen der Diskriminierung. Was stört ist der Furor, das Jakobinerhafte, mit dem manche Aktivisten voran gehen. Diese mit dem Absolutheitsanspruch garnierte Schwarz-Weiß-Denken ist schwer zu ertragen; das " moralische" abkanzeln jedweden Einwandes. Hüte Dich vor denen, die Anspruch auf die alleinige Wahrheit erheben. Jeder Liberale weiß nämlich, dass es die nicht gibt.

    • @Fran Zose:

      Auf den Punkt….Jakobiner trifft es wirklich gut. Als wollte man am liebsten alles Schlechte geradezu ausmerzen, womit man dann aber selbst zum Unmenschen würde, weil jeder Mensch fehlerhaft ist.

      Im Radio sagte mal ein Psychologe, es sei eine sehr moralische Bewegung, der aber anders als den meisten Religionen das Element der Gnade fehle.

    • @Fran Zose:

      Unsere postfaktische Welt leidet eher daran, dass nicht genug um die Wahrheit gerungen wird.

      Der Begriff "Wahrheit" ist von vorneherein ein starkes Konzept. Wenn ich glaube, dass ich richtig liege, meint das natürlich, dass ich auch glaube, dass andere auf dem Holzweg sind. Wäre dem nicht so, dann hätte all das Ringen um Argumente ja wenig Sinn. Alles wäre irgendwie beliebig.

      Das beste Beispiel ist wohl der Glaube an die Existenz Gottes: die ist entweder ein Fakt oder nicht. Wenn sie ein Fakt ist, dann gilt diese Wahrheit auch für alle, die es nicht glauben (wollen). Sie begründen mit ihrem Unglauben keine zweite Wahrheit, sondern haben schlicht nicht recht.

      • @Winnetaz:

        Nun, ich gebe Ihnen insofern recht, dass das Ringen um die „Wahrheit“ ein Motor der Entwicklung ist und daher richtig und wichtig ist. Und genau hier liegt in meinen Augen das Problem der Aktivisten der Wokebewegung (wenn nicht aller Aktivisten): Sie haben kein Interesse an einem Ringen um „Wahrheit“, sie sondern reklamieren sie in ungeheurer Selbstüberschätzung für sich und Kanzeln davon ausgehend alle anderen ab. Um bei Ihrem Religionsbeispiel zu bleiben: Sie führen Dich auf wie die Heilige Inquisition. Was für dagegen brauchen wäre Agnostiker.