Vorschläge für bessere Schulen: Mehr Führerschein wagen
Der Bürgerrat Bildung und Lernen hat Vorschläge, um den Leistungsdruck an Schulen zu mindern. Die Ministerien reagieren zurückhaltend.
Dreieinhalb Jahre hat der Bürgerrat Bildung und Lernen über der Frage gebrütet, wie sich das deutsche Bildungssystem verbessern lässt. Nun nähert sich dieser Prozess dem Ende. Am Wochenende haben sich hundert bundesweit per Los ausgewählte Bürgerrät:innen zur letzten von insgesamt sieben Sitzungen in Leipzig getroffen.
Mit dabei waren auch 17 Schüler:innen im Alter von 10 bis 17 Jahren. Gemeinsam haben sie den Handlungsbedarf für drei Bereiche diskutiert: frühkindliche Bildung, Schulen und berufliche Bildung. Die konkreten Empfehlungen müssen jetzt noch ausformuliert werden. Mit einem Ergebnis ist laut der gemeinnützigen Montag Stiftung Denkwerkstatt, die den Bürgerrat im Jahr 2021 ins Leben gerufen hat, bis Anfang des neuen Jahres zu rechnen.
Fest steht aber schon jetzt, dass sich viele Empfehlungen nach dem Input der Betroffenen richten. „Mehrere Forderungen beziehen sich auf Themen, die die Schülerinnen und Schüler eingebracht haben“, sagt Gerhard Wolff von der Montag Stiftung Denkwerkstatt, „also auf Leistungsdruck, Notenvergabe oder Feedbackkultur“. Eine konkrete Forderung sei etwa, den Zeitpunkt von Klausuren zu flexibilisieren.
Demnach soll jede:r Schüler:in die Arbeiten dann schreiben, wenn er oder sie den Stoff durchdrungen hat – und wenn nicht schon vier andere Prüfungen in der Woche anstehen. „Das Vorbild ist hier die Führerscheinprüfung“, so Wolff. „Man tritt an, wenn man sich fit fühlt.“ Weiter wünschten sich Schüler:innen mehr individuelles Feedback statt bloßer Noten von eins bis sechs. Auch das würde nach der Einschätzung des Bürgerrates viel Druck nehmen.
Jeden Tag Leistungsnachweise
Davon ist auch Sebastian Liess überzeugt. Der 16-jährige Gymnasiast aus Bayern muss dabei nur an seine aktuelle Woche denken. Am Montag musste er eine Präsentation in Deutsch zu Kommunikationsmodellen halten. Am Dienstag stellte er ein selbst gedrehtes Lernvideo in Physik vor. Am Mittwoch muss er noch einen eigenen Podcast in Wirtschaft und Recht präsentieren. Am Donnerstag und Freitag stehen Klausuren in Informatik und Englisch an.
„Wir haben einfach zu viele Prüfungen“, sagt der Schüler im Gespräch mit der taz. Ginge es nach ihm, würden Noten bis zur 9. Klasse komplett abgeschafft, danach um regelmäßiges Lernfeedback ergänzt. Er selbst habe nur eine Lehrerin, die zum Halbjahreszeugnis individuelle Gespräche führt. „Es muss sich hier dringend etwas ändern“, sagt er. Der ständige Leistungsdruck mache Jugendliche krank. Darüber hinaus wünschten sich die Schüler:innen im Bürgerrat Bildung und Lernen mehr Mitsprache bei Lehrplänen und generell mehr „lebensnahen“ Unterricht.
Ministerien und Lehrerverbände reagieren zurückhaltend auf die Bürgerratsideen. Beispiel Noten: Die Länder teilen auf taz-Anfrage mit, dass alternative Formen der Notengebung wie Lernentwicklungsbericht, Kompetenzraster oder Lerntagebuch längst fester Bestandteil im Unterricht seien. Auch dürften Klassenarbeiten bereits durch gleichwertige Leistungen ersetzt werden. Die Frage ist also eher: Warum setzen nicht mehr Schulen auf solch alternative Verfahren?
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, erklärt das unter anderem mit fehlenden Ressourcen. „Wir haben an den Schulen das komplette Instrumentarium für individuelles Feedback“, sagt Düll der taz. Zum Teil werde das auch genutzt, das sehe er auch an seiner Schule. Das Problem sei aber oft die Zeit.
Hindernis fehlende Zeit
„Wenn Sie in der Klasse 30 Schüler:innen haben und sieben oder acht verschiedene Klassen unterrichten, können Sie sich vorstellen, dass dann sehr wahrscheinlich etwas anderes hinten runterfallen muss.“ Ähnlich sei es bei der „Führerscheinidee“: Er könne den Wunsch nach individuellen Prüfungsterminen nachvollziehen, so Düll. Das zu organisieren, hält er angesichts der Überlastung von Lehrkräften für nicht realistisch.
Im kommenden Jahr möchte der Bürgerrat Bildung und Lernen seine Empfehlungen an Schulleitungen, Fachverwaltungen sowie der Kultusministerkonferenz (KMK) übergeben. Auch wenn die Politik keine der Forderungen übernimmt, hat sich für Schüler Sebastian Liess der Einsatz gelohnt. „Dass Erwachsene uns Schüler so ernst nehmen, ist eine tolle Erfahrung.“ Eine Erfahrung, die er an seiner Schule bislang so noch nicht gemacht hat.
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