Vor der Wahl der neuen CDU-ChefIn: Kandidatin Annegret Sowohl-als-auch
Annegret Kramp-Karrenbauer ist Merkels Kandidatin. Die Saarländerin gilt als Vermittlerin. Das könnte sie um ihren Traumjob bringen.
Eine Woche später wählte ein Parteitag die Saarländerin mit fast schon Honecker’schen 98,87 Prozent zur 14. Generalsekretärin der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. „Ich kann, ich will und ich werde“, rief sie den Delegierten zu. Die waren dankbar, dass sich eine erfahrene Ministerpräsidentin bereitfand, ihre Saarbrücker Staatskanzlei gegen das Berliner Konrad-Adenauer-Haus zu tauschen. Die Partei und ihre Dauervorsitzende Angela Merkel waren nach monatelangen nervenaufreibenden Koalitionsverhandlungen und unionsinternen Reibereien einfach nur noch erschöpft.
Mit Kramp-Karrenbauers Gang nach Berlin hatte sich bewahrheitet, was viele vermutet hatten: Die Saarländerin ist Merkels Wunschnachfolgerin, und zwar sowohl für die Parteizentrale als auch fürs Kanzleramt.
Dem immer etwas neben der Spur liegenden CDU-Humor hat Annegret Kramp-Karrenbauer seither zu verdanken, dass ihr Name landauf, landab nicht nur auf „AKK“ verkürzt wird, sondern dass sie auch noch „Annegreat“ scherzhaft genannt wird. Kaum ein Spitzname könnte falscher sein, wenn es darum geht, diese zurückhaltende Fleißpolitikerin zu beschreiben.
Keine Frau der schrillen Töne
Mittlerweile – ein Dreivierteljahr später und wenige Tage vor dem Parteitag in Hamburg – ist Annegret Kramp-Karrenbauers Karriere als Generalsekretärin schon wieder Geschichte; offiziell ist sie nur noch „amtierend“. Ihrem anfänglichen Diktum, es gehe in der Tagespolitik nicht um die „schrillsten und schärfsten Forderungen“, ist sie auch im zurückliegenden Schaulaufen der KandidatInnen für den Parteivorsitz treu geblieben. Genau das könnte für sie nun zum Problem werden.
Denn die Wählerinnen und Wähler mochten zwar den unaufgeregten und entscheidendes Klein-Klein aussparenden Politikstil von Merkel. Aber zugleich ist da der Wunsch, politisches Handeln endlich wieder besser erklärt zu bekommen. In ihren 18 Jahren als Parteivorsitzende hat Merkel ihre Beweggründe kaum dargelegt.
Solange es um Abstraktes wie den Stabilitätspakt oder Fernes wie Auslandseinsätze der Bundeswehr ging, war man es zufrieden. Seit aber die Rechtspopulisten immer selbstgewisser agieren, wünschen sich viele eine deutliche Ansage der Demokratie. Fraglich, ob Kramp-Karrenbauer diese Ansage zu geben in der Lage ist. Der schrille Ton ist ihre Sache jedenfalls nicht.
Seit Angela Merkel am 29. Oktober angekündigt hat, beim Parteitag nicht erneut für das Amt der Vorsitzenden zu kandidieren, ist Kramp-Karrenbauer eine der drei aussichtsreichen NachfolgekandidatInnen. Gemeinsam mit dem Partei-Youngster Jens Spahn und dem wiederauferstandenen früheren Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ist sie in den zurückliegenden Wochen durch die Lande und die Medien getourt, um sich der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Dreiergespann hat für volle Hallen und Küchentischgespräche im ganzen Land gesorgt.
Auch Kramp-Karrenbauer gibt dem Affen Zucker
Während Merz das Versprechen auf ein gesellschaftliches Rollback verkörpert, stellt Kramp-Karrenbauer ihre Vermittlerinnenrolle nach vorn. Sie steht nicht für Entweder-oder, sondern für Sowohl-als-auch. Flüchtlingspolitisch unterstützt sie zwar Angela Merkel, stellt aber beim Kandidatenwettlauf den mit der SPD vereinbarten Doppelpass zur Disposition. Frauenpolitisch verficht sie zwar die Quote, vergleicht aber für eine flotte Pointe Schwangerschaftsabbrüche mit routinemäßigen Blinddarmoperationen. Und ohne Not gibt das Präsidiumsmitglied der Frauen-Union dem rechten Affen Zucker, wenn sie beim Auftritt in Berlin flachst, ein neuer Feiertag am 8. März wäre zwar schön. „Aber ehrlich gesagt: Die meisten Frauen würden sich viel lieber wünschen, dass sie abends sicher durch die Straßen gehen können.“ Mit schönen Grüßen an die AfD-Wähler.
Ein Dreivierteljahr im Konrad-Adenauer-Haus, eine aufwendige Zuhör-Tour der Generalsekretärin und die Roadshow als Kandidatin für das höchste Parteiamt haben nicht gereicht, um für ein wirklich klares Profil zu sorgen. Das ist um so erstaunlicher, als die 56-Jährige seit Ewigkeiten im harten Politikgeschäft ist.
Bevor Annegret Kramp-Karrenbauer von Angela Merkel nach Berlin gebeten wurde, war sie sieben Jahre lang Ministerpräsidentin des klammen Saarlands und dort auch CDU-Landesvorsitzende. Zuvor war sie unter Ministerpräsident Peter Müller elf Jahre lang Ministerin gewesen. Inneres, Bildung, Soziales – „das Annegret“, wie sie im Saarland sagen, konnte scheinbar alles. 2012, da war sie erst wenige Monate Regierungschefin, zerlegte sie dann die nervige Koalition mit der FDP. Angela Merkel, die mit den Liberalen in Berlin zur selben Zeit ein regierungspolitisches Jammertal durchschritt, soll sie deshalb am Telefon angeschrien haben.
Eine Karriere im Saarland
Aber die SaarländerInnen mochten Kramp-Karrenbauers Politik. Sie sanierte dann lieber zusammen mit der SPD den Landeshaushalt und handelte pünktlich zum Landtagswahlkampf beim damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine Sonderzahlung fürs Saarland aus: jährlich 500 Millionen ab 2020. Als schließlich Ende März 2017 der Landtag gewählt wurde, legte sie mitten im gerade hochkochenden Martin-Schulz-Hype einen Sieg gegen ihre SPD-Mitbewerberin Anke Rehlinger hin. Im Konrad-Adenauer-Haus waren sie platt vor Glück.
Begleitet man Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland, erlebt man eine trotz der hitzigen Zeiten überraschend beliebte Politikerin. Das mag auch daher rühren, dass sie in dem kleinen Bundesland fest verwurzelt ist und nahbar auftritt. Geboren 1962 in Völklingen und aufgewachsen im nahen Püttlingen, hat die Lehrerstochter den Niedergang der Stahlindustrie an der Saar hautnah miterlebt. Obwohl sie zuerst Hebamme werden wollte, studierte sie in Saarbrücken und Trier Jura und Politik. 2000 holte Peter Müller sie in sein Kabinett. Ihr Mann, ein Bergbauingenieur, hat für ihre Politikkarriere seinen Job reduziert; die beiden hatten schon früh vereinbart, dass für die drei gemeinsamen Kinder kürzer tritt, wer weniger verdient. Das ist nun seit Langem Herr Karrenbauer.
Ginge es nach den Wünschen der Mehrheit im Lande, hieße Angela Merkels Nachfolgerin als Parteivorsitzende AKK. Geht es um Sympathie, Glaubwürdigkeit und Bodenständigkeit, liegt sie sehr weit vor Friedrich Merz. Dem Sauerländer mit der Bescheidwisser-Attitüde trauen laut einer aktuellen Forsa-Umfrage viel weniger Menschen zu, etwas davon zu verstehen, wo den BürgerInnen der Schuh drückt, sie halten ihn jedoch für führungsstärker und weitaus wirtschaftskompetenter als AKK. Sagenhafte 31 Prozent empfinden den 64-jährigen Lobbyisten gar als „unangenehm“. Das muss man erst mal hinbekommen als auferstandener Messias der Konservativen. Kramp-Karrenbauer hingegen mögen nur acht Prozent der Befragten nicht.
Die Delegierten-Auswahl macht Sorgen
Egal, wie beliebt oder unbeliebt die KandidatInnen sind, ein CDU-Parteitag ist kein Wunschkonzert. Am Freitag geht es in Hamburg vor allem um die Interessen der 1.001 Delegierten. Und das sind eben keine arbeitslosen Ostdeutschen oder alleinerziehenden Mütter, sondern – überwiegend männliche – Minister, Bundestagsabgeordnete und Bürgermeister. Die haben zwar wenig Lust auf grundstürzende Veränderungen in ihrer Partei; aber ein bisschen was ändern sollte sich schon.
Annegret Kramp-Karrenbauer stünde als neue Vorsitzende in der Merkel-Tradition. Das muss kein Nachteil sein, denn ein Vorsitzender Merz brächte die parteiinterne Tektonik derart ins Rutschen, dass die MandatsträgerInnen um Einfluss und Posten fürchten müssten. Beim KandidatInnen-Auftritt letzte Woche in Düsseldorf standen Tausende ZuhörerInnen quasi kopf wegen Merz.
Für Kramp-Karrenbauer war im Landesverband Nordrhein-Westfalen kein Blumentopf zu holen. Sie schlug sich dennoch wacker. Im Rausgehen sagte ein älterer Mann dann: „Sie is’’ne gude Generalsekretärin, das sollde sie auch bleiben.“ Für Annegret Kramp-Karrenbauer ist das keine Option. Selbst wenn sie in Hamburg den Parteivorsitz verpasst – eine Generalsekretärin von Merz’Gnaden ist nicht vorstellbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles