Vor dem Unabhängigkeitsreferendum: Schottland schockt Europa
Der Kurs des Pfunds sinkt, weil die Abspaltung Schottlands vom Königreich wahrscheinlicher wird. Es geht um Macht, Schulden, die EU und den Euro.
BERLIN taz | Noch ist es nur eine Umfrage. Am 18. September stimmen die Schotten darüber ab, ob sie sich vom Vereinigten Königreich abspalten wollen. Erstmals gab es dafür eine Mehrheit, doch allein das reicht, um das Pfund und die EU-Kommission unter Druck zu setzen.
Das Pfund fiel zum Dollar auf den tiefsten Stand in diesem Jahr, auch zum Euro gab es nach. Noch vor Kurzem spotteten die Briten über die Eurokrise – nun stecken sie selbst im Schlamassel. Die Devisenhändler stellen sich schon jetzt die Frage, wie es nach einem „No“ zu UK weitergeht. Bekommt Schottland dann den Euro? Was wird aus den schottischen Banken, können sie weiter in Pfund Geschäfte abwickeln? Bleibt London auf den britischen Staatsschulden sitzen?
Wenn die Schotten in Euro zahlen und die Engländer die Zeche zahlen müssen, würde das Vereinigte Königreich nicht nur zu einem Kleinbritannien schrumpfen; auch die Londoner City, Europas größter Finanzplatz, würde an Macht verlieren. Frankfurt wäre gestärkt.
Aber auch in Brüssel macht man sich Sorgen. Auf den Zerfall eines Mitgliedslands ist die EU nicht vorbereitet. Ein unabhängiges Schottland könnte Schule machen – in Spanien (Baskenland, Katalonien), Frankreich (Korsika) oder Belgien (Flandern). Zudem stemmt sich die EU gerade mit aller Kraft und neuen Wirtschaftssanktionen gegen den Zerfall der Ukraine.
Schottland soll nicht EU sein
Dass sich nun 51 Prozent der Schotten für die Unabhängigkeit aussprechen macht sogar die Sprecherin von Noch-Kommissionschef José Manuel Barroso sprachlos. „Wir respektieren den laufenden demokratischen Prozess und wollen das nicht weiter kommentieren“, sagte sie. Was das Votum für die EU und den Euro bedeutet, ließ sie offen.
Dabei hat sich Barroso längst festgelegt. In einem Brief an das britische House of Lords vertrat er schon 2012 die Auffassung, dass Schottland nach der Unabhängigkeit nicht mehr Teil der EU wäre. Mehr noch: Die EU-Verträge würden in dem frisch gebackenen Land ihre Gültigkeit verlieren. Die neue schottische Regierung müsste erst wieder die EU-Mitgliedschaft beantragen – und alle müssten zustimmen.
Dies würde nicht nur eine monate- oder gar jahrelange Hängepartie auslösen, der britische Guardian geht von bis zu fünf Jahren aus. Wenn sich Barrosos Auffassung durchsetzt, hätte der britische Premier David Cameron sogar ein Vetorecht. Er könnte Schottland also den EU-Beitritt verweigern und damit auch den Zugang zum Euro. Denn nur EU-Mitglieder können die Gemeinschaftswährung einführen.
Doch wie man an der aktuellen Reaktion der Märkte sieht, könnte der Schuss nach hinten losgehen und auch England, Nordirland und Wales schwächen. In London versucht man es daher erst einmal mit einem improvisierten Schmusekurs. Der britische Schatzkanzler George Osborne will den Schotten mehr Unabhängigkeit innerhalb des Vereinigten Königreichs gewähren. Geplant sind zusätzliche Kompetenzen in der Steuer-, Haushalts- und Sozialpolitik.
Leser*innenkommentare
BigRed
Das heisst, die beste Chance eines unabhängigen Schottlands, vor dem Fluch des Euros bewahrt zu werden, wäre der britische Premier?
Das ist doch mal witzig!
Christian
Naja, der Vergleich mit der Ukraine hinkt aber schon gewaltig. Immerhin ist das Referendum in Großbritannien von der Zentralregierung eingesetzt. Das ist der einzige zweifelsfrei legale Weg für eine Sezession. Ich kann mich ja auch nicht mit meinem Häuserblock zusammensetzen und für unsere Unabhängigkeit von Deutschland stimmen. Wenn Berlin ein Gesetz erließe, das meinem Häuserblock so eine Abstimmung erlaubt, ist das eine andere Kiste.
the real günni
mir erschliesst sich die logik barrosos nicht. demzufolge muesste dann auch grossbritannien aus der EU fallen, weil es dann nicht mehr grossbritannien sein wird.
hingegen war schottland als teil der union auch teil der EU, wieso sich dieser status aendern sollte, will mir nicht einleuchten. entweder sind alle teile drin, oder alle draussen.
was definiert die mitgliedschaft - die menschen? oder das gefuege aus gesetzen?
4845 (Profil gelöscht)
Gast
Für ein vereintes, demokratisches Europa in Form einer Konföderation ist ein unabhängiges Schottland ebenso notwendig wie eine unabhängiges Wales und ein wiedervereintes Irland. Das schottische Unabhängigkeitsstreben entspringt der zwingenden Logik einer europäischen Vereinigung freier Völker.
Age Krüger
Das sehe ich genauso.
Imo kann es nicht genügend Regionalisierungen geben. Insofern ist zu fragen, ob Nordiren mit den restlichen Iren überhaupt eine Gemeinschaft bilden wollen angesichts der unterschiedlichen Religionen alleine schon.
Würde mich freuen, wenn dieses Bewusstsein auch in der BRD mehr Anklang finden würde. Nicht Bayern und Niedersachsen, nicht Ost- und Westdeutsche, sondern eher West- und Ostfriesen sind ein Volk,
4845 (Profil gelöscht)
Gast
In Nordriland tobt kein religiöser Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, sondern ein sozialer Konflikt, ausgelöst durch hunderte Jahre englischer Besatzung die bis heute die Unterdrückung der Iren nutzt.
Aber ich gebe Ihnen in einem Punkt Recht: eine irische Widervereinigung könnte neue Konflikte schaffen. Daher wäre die Schaffung einer neuen gesamt-nordirischen Identiät und somit eines unabhängigen Nordirlands möglicherweise die bessere Option.
Rainer B.
An den Finanzplätzen in London und Frankfurt wird doch seit längerem nur noch Luft gepumpt. Die Inselbewohner sind insgesamt so geil auf Europa, wie Ina Müller auf alte Männer in Ihrem Schlafzimmer. Den Schotten kann das ganze Bohei doch relativ gleichgültig sein. Die Unabhängigkeit befreit sie nur von manchem Ballast. Ich würde aber erstmal die Abstimmung abwarten. Die Umfragen haben keinen großen Aussagewert und knapp wird's allemal werden.
Stupor Mundi
Ja, aber wenn England 2017, auch durch ein Referendum, selbst aus der EU austritt, dann ist der Weg für die Schotten als neues/altes Mitglied wieder frei. Dann würde Schottland einfach den Platz Großbrittaniens in Brüssel einnehmen und Cameron hätte als Nicht-Mitglied auch kein Vetorecht mehr. Weshalb wird diese, sehr wahrscheinliche Option, hier nicht offen erörtert? Etwa weil nicht sein kann was nicht sein darf? Das wäre trauriger Journalismus!