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Vor dem Start des 9-Euro-TicketsViele ungeklärte Fragen

Das 9-Euro-Ticket soll in den Sommermonaten der Verkehrswende einen Schub geben. Ob das gut geht, scheint einen Monat vorher alles andere als sicher.

Das 9-Euro-Ticket wird eine Herausforderung: Volle Bahnsteige gibt es schon jetzt Foto: dpa

Berlin taz | Ab 1. Juni sollen Reisende mit dem 9-Euro-Ticket für drei Monate umweltschonend durch die Republik fahren können. Rund einen Monat vor dem Start zeichnen sich aber eklatante Probleme ab, die in der kurzen verbleibenden Zeit kaum noch lösbar erscheinen. Auf einer Pressekonferenz der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bekundeten am Dienstagmittag Ge­werk­schaf­te­r*in­nen zwar einstimmig, die Maßnahme zu begrüßen, beschrieben aber auch auf diverse Schwierigkeiten bei ihrer Umsetzung.

„Das Ticket muss ein Erfolg werden.“, forderte Martin Burkert, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und heute stellvertretender Vorsitzender der EVG. Nicht nur Urlaubsreisende sollten in den Sommermonaten davon profitieren, mit Blick auf die Mobilitätswende solle es insbesondere Pendlerinnen und Pendlern den Umstieg auf die Bahn schmackhaft machen. Käme es in Zügen und an Bahnhöfen zu Chaos, könnte das aber nach hinten losgehen.

Zunächst müsse das Bundesverkehrsministerium in grundlegenden Fragen Klarheit schaffen. Etwa, ab wann das Ticket zum Verkauf steht oder ob es zur Mitnahme von Fahrrädern berechtigt. Mit Blick auf das wachsende Fahrgastaufkommen kündigen sich aber vor allem im täglichen Betrieb vor Ort Zerreißproben an, für die keine schnelle Abhilfe in Sicht sein dürfte.

So führe die verstärkte Bautätigkeit in den Sommermonaten laut Jens Schwarz, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats der Bahn, zu Kapazitätseinbußen auf den Haupttrassen. Die DB Netz AG prüfe derzeit eine Entzerrung der betreffenden Baustellen. Weil es zugleich grundlegendere Probleme wie zu kurze Bahnsteige im ländlichen Raum gibt, an denen verlängerte Züge nicht halten können, ist aber keine befriedigende Lösung in Sicht.

Lackmustest zu Pfingsten

Viele kleine Bahnhöfe hätten außerdem nicht das Personal für die steigende Auslastung, gab die Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei der DB Station & Service, Heike Moll, zu bedenken. Die Suche nach Verstärkung sei im Gange, gestalte sich aber schwierig. Das könnte sowohl den Service als auch die Sicherheit beeinträchtigen. Moll bezeichnete das Pfingstwochenende als „Generalprobe“. Laut Ralf Damde, Gesamtbetriebsrat bei der DB Regio/Schiene, sei insbesondere bei Lokführern der Markt „leergefegt“.

Damde kritisierte zudem die bisherige öffentliche Vergabepraxis. Er forderte, die Politik solle aus dem anstehenden Experiment lernen: „Es darf nicht mehr ‚Geiz ist geil‘ gelten.“ Bei Ausschreibungen gewinne in der Regel der billigste Anbieter, was zu extrem knappen Kalkulationen führe. In der Folge käme es dann immer wieder zu Engpässen. „Wer ein Ersatzfahrzeug oder zusätzliches Personal einplant, fliegt aus dem Markt.“

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6 Kommentare

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  • Es gab ja schon mal eine ähnliche Aktion, unter dem Namen "schönes Wochenende Ticket". Auch damals gab es bis zum Anschlag überfüllte Züge (wäre sicherlich mal einer vergleichenden Recherche wert..).

    Soweit ich mich erinnere hat das SW Ticket aber dennoch dazu geführt, dass wesentlich mehr Menschen "Geschmack" an der Bahn gefunden haben. Insofern läßt das 9€ Ticket sicherlich hoffen.

    Es sollte allerdings nicht bei den 3 Monaten bleiben, sondern (zu etwas höheren Preisen) verstetigt werden..wobei sich die Bahn sich darauf einstellen sollte mehr/längere Züge zur Verfügung stellen..den Takt zu verkürzen und die Fahrradmitnahme zu erleichtern und kostenlos zu stellen.

    Zudem sollte parallel auf der Seite der Auto Nutzung über gezielte Einsparungen nachgedacht werden (insbesondere beim Neubau von Strassen), wodurch eine Kosten-Neutralität möglich würde...

    Auf dieser Basis könnte das 9€ Ticket der Startschuss für eine echte Mobilitätswende werden..

    Alles in Allem also eine gute Gelegenheit für eine neue nachhaltige Politik..hoffen wir das das Bundesverkehrsministerium diese Chance erkennt...

  • Das ist genau das, was in der Diskussion um das Klima immer weggelassen wird:



    Der ÖPNV hat vor nichts mehr Angst, als dass mit einem Mal ihn alle nutzen wollen.

    Das ist seit langem so.

  • Die Einbeziehung der Regionalzüge war schon richtig.

    Aber es wäre nicht nötig gewesen, alle Regionen in Deutschland mit einem einzigen Ticket befahren zu können. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass dass schon zu Beginn so vereinbart worden war. Man hätte Deutschland auch nach Verkehrsverbünden, Regierungsbezirken oder (kleineren) Bundesländern differenzieren können, dann wäre bei etwas längeren Fahrten eben 2*9 Euro oder 3*9 Euro fällig geworden, und spätestens Reisen von Flensburg nach Basel wären auf ICE-Niveau gelandet. Beispielsweise aufgeteilt in Waben, wie man sie innerhalb der Tarifverbünde kennt, hätten die Tickets trotzdem bundesweit gekauft werden können.

  • Ich würd es besser finden für den ersten Monat das Öffi-Ticket für 19 Euro (werbewirksam) zu verkaufen und dann im Juli auf 29 Euro anzuheben. Das hätte den Vorteil, dass die Züge ab Juli nicht so arg überfüllt sind und auch betriebswirtschaftlich macht dies mehr Sinn (u.a. durch weniger Vandalismus).



    Auch sollten die Öffi's komplett von den Treibstoffsteuern befreit werden. Schließlich ist Flugbenzin auch 2022 völlig steuerfrei!

  • Wenn aufgrund des Kaputtsparens des ÖPNVs die Sache schiefgeht und es nur zu Verzögerungen im Betriebsablauf kommt, dann festigt es noch mehr in die Köpfe der Menschen, das Auto sei Verkehrsmittel Nr. 1.

    Das darf unter keinen Umständen geschehen!

  • Die FDP hat ja dafür gesorgt, dass dieser katastrophale Schnellschuss eines gegenüber vor allem der FDP vollkommen hilflosen Grünen-Vorstands durch seine Erweiterung vom Nahverkehr auf das ganze Regionalnetz in Deutschland chaotische Verhältnisse beschert mit der zu erwartenden Erkenntnis Vieler : 'Bei diesem Gedränge, nie wieder' . Ich rate allen, die mizt der Bahn nach Sylt, Usedon, Rügen oder andere attraktive Urlaubsgebiete zu reisen, dies vor Inkrafttreten des billigen Wahlgeschenks zu tun. Es zeigt die ganze Blind- und Abgehobenheit von Möchtegern-PolitikerInnen, die mit den viel dringenderen Aufgaben der Krisenbewältigung eh' nicht klar kommen