Von der Leyen in der Türkei: Die EU kapituliert vor Erdoğan
Die EU-Kommissionspräsidentin hat mit ihrem Besuch in der Türkei ein Signal gesetzt: Die EU interessiert sich für Macht, nicht für Menschenrechte.
D ie EU interessiert sich nicht mehr für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei. Anders ist es nicht zu erklären, dass Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Dienstag höchstpersönlich den türkischen Autokraten Erdoğan mit einem Besuch in Ankara adelten.
Denn es ist eine Sache, den Kontakt zur Türkei auf den normalen diplomatischen Kanälen offen zu halten, aber eine ganz andere, einen EU-Türkei-Gipfel in Ankara zu veranstalten. Dabei gibt es bislang nichts, was auf höchster Ebene besiegelt werden könnte. Erdoğan hat keine andere Vorleistung erbracht, als Gespräche mit Griechenland über die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer auf untergeordneter Ebene wieder aufnehmen zu lassen. Ob etwas dabei herauskommt, ist völlig offen.
Während US-Präsident Joe Biden sich seit seiner Amtseinführung im Januar standhaft weigert, wegen der schlechten Lage in der Türkei mit Recep Tayyip Erdoğan auch nur zu telefonieren, reisen von der Leyen und Michel nach Ankara, als ob es etwas zu feiern gäbe. Dabei ist die Situation in der Türkei so schlecht wie lange nicht.
Erdoğan kündigt von einen Tag auf den anderen die völkerrechtlich verbindliche Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen, obgleich täglich Frauen überall im Land ermordet werden. Er will die kurdisch-linke Oppositionspartei HDP verbieten lassen und hat gerade eine neue Kampagne gegen die größte Oppositionspartei, die CHP, eingeleitet, der er einfach vorwirft, einen neuen Putsch vorzubereiten.
In einer solchen Situation Erdoğan mal eben in Ankara zu besuchen, ist mehr als instinktlos. Menschenrechtsaktivisten und oppositionelle Politiker sitzen seit Jahren im Gefängnis – obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihre Freilassung gefordert hat.
Für die EU ist das offenbar kein Problem. Solange Erdoğan kein EU-Mitglied militärisch angreift und die syrischen Flüchtlinge davon abhält, in die EU weiterzureisen, ist die EU bereit, über alles andere hinwegzusehen. Das ist nichts anderes als eine Kapitulation vor einem Autokraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW