Vom Rückzug ins Private: Die Zeit der Burgen
Es wird viel darüber diskutiert, wie das Leben nach der Corona-Krise aussehen könnte. Ich fürchte, dass die, die es können, mehr Burgen bauen werden.
ber den privaten und den öffentlichen Raum habe ich in letzter Zeit viel nachdenken müssen. Derzeit ist der im Vorteil, der über ausreichend privaten Raum verfügt. Einige Zeit hatte ich in Hamburg eine Wohnung mit Garten. Es ist ganz nett, wenn man kleine Kinder hat. Aber den Kindern wurde es bald langweilig und es zog sie mehr auf den vernachlässigten Spielplatz unterhalb der Böschung der S-Bahn, wo „die Großen“ rumlungerten, wo „Fremde“ auftauchten, zerdepperte Bierflaschen herumlagen.
Mir ging es ähnlich, auch mich zog es bald am Sonntagnachmittag mehr in die Stadt, die Parks, auf die öffentlichen Plätze, als in die Erweiterung meines eigenen Wohnzimmers. Ich gehe so gerne in unsere Hamburger Parks, insbesondere Planten un Blomen, den empfinde ich als ein großes, luxuriöses Geschenk. Ich mag auch die Alster, den Stadtpark, den Hammer Park, ich finde es großartig, dass man in Hamburg mit der S-Bahn fast bis in den Wald fahren kann. Das öffentliche Draußen ist so vielfältig, es muss mir nicht gehören, ich muss es nicht pflegen, nur pfleglich behandeln, respektvoll, und das tue ich.
Ich denke, dass es das ist, was das Leben in der Großstadt ausmacht, das öffentliche Leben, das Teilen von Dingen, die Sichtbarkeit des Anderen und die aus dem Miteinander wachsende Toleranz. Und dieser Lebensstil ist gerade ausgebremst. Froh können die sein, die sich ein komfortables Innen geschaffen haben, ein Haus, einen Garten, eine Dachterrasse, überhaupt einen Balkon. Die bisher eher draußen gelebt haben, sei es aus Gründen einer Lebensentscheidung, sei es aus Gründen der Armut, denn Haus, Garten, Dachterrasse kosten, die sind jetzt ein wenig angeschmiert.
„Ich bin so froh, dass wir den Garten haben“, sagen jetzt die, die froh sind, den Garten zu haben. „Ich bin so froh, dass ich in einer winzigen Wohnung ohne Balkon lebe“, sage ich jetzt nicht. Obwohl ich immer froh über diese Wohnung war.
ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Es wird derzeit ja viel über das „Danach“ diskutiert. Wie es alles besser werden könnte. Ich bin skeptisch. Die Menschen flüchten sich derzeit ja nicht nur, wer kann, natürlich, in ihre privaten Wohnungen und Gärten, sie fahren auch nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, wer jetzt ein Auto hat, der fährt auch mit dem Auto. Aber zuverlässige öffentliche Verkehrsmittel sind bisher ein Trumpf der Großstadt gewesen. Man braucht kein Auto, man kann sehr gut U-Bahn fahren. Der Bus hält vor der Tür. Auch hier, der erzwungene Rückzug ins Private. Ich hoffe auf das Fahrrad, es heißt, dass mehr jetzt Fahrrad fahren.
Ich bin froh darüber, dass es bisher zu keiner Ausgangssperre gekommen ist, dass wir immer noch draußen herumspazieren können. Die Spielplätze sind geschlossen, auch hier sind die Eltern im Vorteil, die einen privaten Spielplatz ihr Eigen nennen. Und dann ist der erzwungene Rückzug ins Private auch im größeren Maßstab umgesetzt. Was gibt es für ein besseres Bild dafür, als die auf der Straße gestoppten Ausflügler nach Schleswig-Holstein, wie sie wieder zurück ins Innere der Stadt geschickt werden?
Ich halte die Corona-Schutz-Maßnahmen weder für übertrieben noch für falsch. Es ist nur schmerzhaft, zu beobachten, dass gerade das Konzept des urbanen Lebens, auf der Straße, mit den anderen, sich in solch einer Situation von privater Isolation als so schwierig erweist. Dass die, die sich eine Burg erbaut haben, Vorratskammern und Sicherheitsräume angelegt, jetzt die sind, die besser klarkommen.
Und im selben Moment frage ich mich aber, ob das stimmt, kommen sie besser klar oder glaube ich das nur? Eine private Krankenversicherung nützt einem auch nichts, wenn keine Intensivbetten mehr da sind. Und was wird am Ende aus all dem erwachsen: Werden wir, als Städte und Länder tatsächlich an einer besseren, solidarischeren Gemeinschaft arbeiten, mit einer Vorsorge, die gemeinschaftlich geplant ist? Und wie sähe das aus? Oder ist das eine romantische Utopie und werden sich eher die, die es können, zukünftig ganz privat mehr Burgen bauen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag