Vom Potenzial des Bahn-Güterverkehrs: Abstellgleise dringend gesucht
In Zeiten des Klimawandels ist klar, dass mehr auf Schienen transportiert werden sollte. Doch der Bahn fehlt es an der Infrastruktur dafür.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Der Zug-Fan hat sich schon als Kind für Gleise und Loks interessiert. Als die Bahn 1983 das Stellwerk abreißen wollte, kaufte er das Haus für eine Mark und schenkte es einem Verein. Inzwischen gehört es dem Sozialwerk der Bahn, und Eichhorn sitzt als bürgerliches Mitglied im Umweltausschuss der Stadt Rendsburg, wo er sich für den Ausbau des Schienennetzes einsetzt. Ein sinnvolles Anliegen, denn gerade beim Transport von Waren und Gütern wäre die Verlagerung von der Straße in die Bahn ein Hebel, um den CO2-Ausstoß zu verringern und den Klimazielen näher zu kommen. Der Wille ist da, auch auf Seiten vieler Unternehmen. Aber es fehlt etwas Entscheidendes: Weichen und Abstellgleise.
Im Rendsburger Stellwerkmuseum hängt eine Skizze, die einen Überblick über die früheren Gleise gibt: Zahlreiche Trassen liegen nebeneinander, einige führen aus dem Bahnhof heraus, andere enden noch wenigen Metern – Rangierplatz, auf dem Züge einander passieren oder pausieren können. Der Blick aus dem Fenster zeigt ein anderes Bild: Dort, wo früher Gleise lagen, ist ein Pendlerparkplatz, auf der anderen Seite des Bahnhofs steht ein Fahrradparkhaus. Beides hilft, um mehr Menschen den Umstieg in die Bahn zu erleichtern. „Aber für Güter braucht es Abstellgleise, damit Waren auf- und abgeladen werden“, sagt Eichhorn.
Das ist eigentlich eine Banalität – aber eine, die im Lauf der Jahre aus dem Blick geraten ist. Denn der Zeitgeist fuhr Auto und Lkw und so wurden in den vergangenen Jahrzehnten Gleise ab- statt neugebaut, vor allem in den 1990er Jahren, als die Bahn fit werden sollte für den Börsengang: „Das Schienennetz der Eisenbahnen in Deutschland hat derzeit eine Streckenlänge von rund 38.400 Kilometer – im Bahnreform-Jahr 1994 waren es noch 44.600“, schreibt die Allianz pro Schiene. Bahn-Fan Eichhorn erklärt: „Beratungsagenturen haben errechnet, wie viel der Betrieb einer Weiche im Durchschnitt kostet. Mit dem Abbau von Weichen an Nebenstrecken hat die Bahn rechnerisch ihre Bilanzen aufgebessert.“ Diese Ausweichgleise fehlen heute.
Der Verkehr trägt insgesamt 18 Prozent der Treibgasemissionen in Deutschland bei. Lkws sorgen für 36 Prozent davon. Die Bahn verantwortet lediglich 0,1 Prozent, deckt aber laut Umweltbundesamt 18,5 Prozent des Verkehrsvolumens ab – ein Zug muss eben weniger „Rollwiderstand“ überwinden; zudem nutzt die Bahn bereits zu 63 Prozent Ökostrom.
Private Gleisanschlüsse – eine zentrale Voraussetzung für die Verlagerung auf die Schiene – gab es im Jahr 1994 bundesweit rund 11.700 Kilometer, waren es 2021 nur noch 2.300 Kilometer, so die Allianz pro Schiene. (est)
Güterverkehr kommt zu kurz
Angesichts steigender Temperaturen und Angst vor dem Klimawandel rückt die Bahn stärker ins Bewusstsein, allerdings haben Öffentlichkeit und Politik dabei vor allem den Personenverkehr im Blick. Das Potential des Bahn-Güterverkehrs werde vernachlässigt, bedauert die Verkehrsexpertin der Grünen im Kieler Landtag, Nelly Waldeck: „Das Thema wird komplett unterschätzt. Daher kommt der Güterverkehr zu kurz, wenn wir über Verlagerung von der Straße auf die Schiene sprechen.“
So sei auch der neue „Deutschlandtakt“, also der bundesweit abgestimmte Fahrplan, nur auf den Personenverkehr ausgerichtet. „Damit die ICEs eine zusätzliche kleine Zeiteinsparung schaffen, werden die Güter weiter nach unten priorisiert“, sagt Waldeck. Grundsätzlich sei das auch in Ordnung – aber das dicht belegte Schienennetz biete den langsameren Güterzügen kaum Platz und Ausweichmöglichkeiten.
Generell fahren Personen- und Güterzüge auf denselben Trassen. Aber um die Waren auf die Gleise zu bekommen, braucht es private Anschlüsse, die größtenteils von den Unternehmen selbst gebaut werden, die dafür Fördergeld beantragen können. „Gleisanschlüsse bringen Waren auf die Schiene“, lautet die Überschrift der „Gleisanschluss-Charta“, die ein breites Bündnis von Unternehmens- und Kommunalverbünden unterstützt, darunter die Stahl- und Bauindustrie, die Holzwirtschaft und der Deutsche Städtetag. „Bei Unternehmen der verladenden Wirtschaft und der Logistik ist ein wachsendes Interesse an der Schiene und auch am eigenen Gleisanschluss festzustellen“, steht darin.
Das betrifft auch Einzelfälle: Ein Grund, warum die Firma Northvolt ihre Fabrik für E-Auto-Batterien nahe der Kreisstadt Heide bauen will und nicht anderswo in Schleswig-Holstein, sei die gute Schienenanbindung gewesen, heißt es in Kiel.
Mehr offene Umladeterminals gefordert
Aktuell dauere es viel zu lange, neue Anschlüsse zu legen, beklagt das Unternehmensbündnis. Stimmt, sagt die Landespolitikerin Waldeck: Zwar sei die Förderung recht gut, aber das Verfahren aufwändig und kompliziert – auch weil die Kapazitäten in den Behörden nicht ausreichten. „Drei bis fünf Jahre auf einen Anschluss warten, das machen die Unternehmen nicht mit.“ Waldeck wünscht sich einerseits, dass die Behörden aufgestockt und die Schnittstellen zwischen Landes- und Bundesrecht optimiert werden. Außerdem sollten mehr offene Umladeterminals entstehen, die jeder nutzen kann.
Im Koalitionsvertrag bekennen sich CDU und Grüne in Schleswig-Holstein mit einem Halbsatz zum Ausbau der Verladeinfrastruktur. Allerdings „haben wir dafür bisher noch kein Geld hinterlegt“, sagt Waldeck. Geld aber ist knapp, die Wahrscheinlichkeit daher umso höher, dass ein Thema, das eher dem grünen Juniorpartner wichtig ist, am Ende der Legislaturperiode unbearbeitet geblieben sein wird.
Die Zuständigkeit für den Ausbau der Schienen liegt in der Hauptsache beim Bund. So wie Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein bekennt sich auch die Ampel in Berlin zu dem Ziel, die Bahn zu ertüchtigen. „Bis 2020 wollen wir 25 Prozent des Güterverkehrs auf die Schiene bringen“, sagt Dorothee Martin, in der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema zuständig. „Dafür brauchen wir schnell viele große und kleine Schritte zur Kapazitätserweiterung.“
Konkret gehen müsste diesen Schritt das Bundesverkehrsministerium. Eine im März veröffentlichte Prognose nimmt tatsächlich 46 Prozent mehr Güterverkehr bis zum Jahr 2050 an – aber vor allem auf der Straße. Der Grund: Es würden „weniger Massengüter wie Kohle, Koks, Mineralöl“ transportiert und mehr „Güter, die überwiegend auf der Straße befördert werden“. Allein Postsendungen würden um 200 Prozent zunehmen – und die passen nach Vorstellungen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) offenbar nicht in einen Güterzug.
Hinter den Personenzügen herkriechen
Tatsächlich seien „gebrochene Verkehre“, bei denen Güter umgeladen werden müssen, oft „noch zu unattraktiv“, sagt Sebastian Schultze vom Unternehmensverband Nord: Die Verlagerung „kostet Zeit, Personal und Effizienz, bindet Ressourcen und macht den Transport insgesamt anfälliger für Störungen“. Und weil Güter auf der Trasse immer hinter den Personenzügen herkriechen, seien „Flexibilität, Planbarkeit und Transportgeschwindigkeit auf der Schiene in der Regel leider deutlich geringer ausgeprägt“. Dennoch sei die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene seit Jahren in der Wirtschaft ein Thema, sagt Schultze.
Wie die Verlagerung funktioniert, zeigt sich in Neumünster: Die kreisfreie Stadt liegt rund 40 Kilometer südlich von Rendsburg an der Nord-Süd-Trasse im Zentrum Schleswig-Holsteins. Dort betreibt eine Firma seit 2015 ein Umladeterminal, das 2019 weiter ausgebaut wurde. Mit Erfolg: „Die mittelständische Logistikwirtschaft fährt auf das kombinierte Bahn-/Straßen-Verkehrsterminal ab“, bilanzierte 2021 die Lokalpresse.
Andere Städte bleiben von solchen Entwicklungen abgeschnitten. Dabei wäre Bedarf da, glaubt Thorsten Eichhorn, der es für Rendsburg ausgerechnet hat: Am Kanalhafen würden jährlich 559.000 Tonnen umgeschlagen. Wenn nur 20 Prozent auf die Schiene verlagert würden, ließen sich zehn Eisenbahnwagen füllen – jeden Tag. Früher gab es einen eigenen Bahnhof am Nord-Ostsee-Kanal. Die Reste der Gleise liegen noch. Aber statt Zügen halten dort meist Fahrräder vor einem Eiscafé.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten