Vom AKW-Gegner zum Wolfs-Aktivisten: Der Wolf als Bauernopfer
Der Osnabrücker Künstler Hendrik Spiess ist Naturschützer. Auf seiner Fahne steht der Schutz des Raubtiers vor der Wiederausrottung.
Wer den Osnabrücker Künstler, 63, beschreiben will, findet zu Worten wie: Anliegen, Aktion, Haltung. Kunst und Natur verzahnen sich bei ihm seit den 1970ern, dem „absoluten Tiefpunkt des Umwelt- und Artenschutzes in Deutschland“, wie Spiess bitter sagt, seit seiner Sozialisation und Politisierung durch Anti-AKW-Demos in Gorleben und die Grünen-Bewegung.
Spiess, später auch Bassist, Sänger und Texter von Punk bis Experimental-Pop, wird Aktivist im Vogelschutz. Im Brotberuf Lithograf, zeichnet er fotorealistisch nach der Natur, um sie zu verstehen. Appellativ nutzt er seine Kreativität, um für den Schutz zu sensibilisieren, den die Natur braucht, gegen die Ein- und Übergriffe des Menschen. Jüngstes Beispiel dafür ist sein partizipatives Ausstellungs- und Exkursionsprojekt „As far as the eye can see – art goes nature“, 2023 in einer Osnabrücker Galerie, begehbarer toter Forst inklusive.
Der Wolf als Symbol der Freiheit
Wer verstehen will, wie Hendrik Spiess denkt, wird in seinem Atelier fündig. Oder man begleitet ihn in die nordwestdeutschen Moore. Dort ist er seit Jahren ehrenamtlich als Wolfsschützer unterwegs, zur Rudel- und Territoriumsüberwachung, gegen illegale Abschüsse, in Tarnkleidung und mit Fernglas, im Namen des Naturschutzvereins „Freundeskreis freilebender Wölfe“, in dessen Vorstand er ist.
„Damals, in den 1970ern, hätte ich nie für möglich gehalten, dass ich einmal hier bei uns freilebende Wölfe sehen würde“, sagt Spiess. „Aber das war immer mein Traum, und er ist in Erfüllung gegangen.“ Der Verein hat sich der Aufklärungsarbeit verschrieben, leistet Nutztierhaltern Hilfestellung beim Herdenschutz, nutzt sein Verbandsklagerecht pro Wolf, wenn wieder einmal eine ungerechtfertigte Abschussgenehmigung droht. Vor ein paar Tagen erst war wieder ein Eilantrag gegen eine Ausnahmegenehmigung zum Abschuss eines Wolfs des Rudels Burgdorf erfolgreich.
„Der Wolf wird als politisches Bauernopfer durchs Land getrieben“, sagt Spiess, lange auch Wolfsbotschafter beim Nabu. Wer mit Spiess unterwegs ist, hört klare Worte. Über die „reaktionär-konservative Politik“ und die Lobbyisten von Landwirten und Jägern, die an der „Wiederausrottung des Wolfs“ arbeiten, die lokale Dezimierungen fordern, als sei die Population ohne Schutz bereits überlebensfähig, als habe die FFH-Richtlinie der EU keine Bedeutung, das Washingtoner Artenschutzabkommen, die Berner Konvention, das Bundesnaturschutzgesetz.
„Man muss dagegenhalten“
„Das ist alles unrechtmäßig“, sagt Spiess. „Da muss man gegenhalten.“ Viele nutzen die Natur als Bühne, Spiess nicht. Er ist tief von ihr berührt. „Beseelt“ nennt er das. Den Wolf sieht er, auch, als ein Symbol der Freiheit.
Und dann erzählt er. Dass das Gros der Hobbyjäger den Wolf bekämpft, weil er ein Beutekonkurrent ist und sie „aus ihren teuren Pachten möglichst viel Wildfleisch rausholen wollen“. Dass der Wolf die Hygienepolizei des Waldes ist, dass er Verbiss-Schäden an der Vegetation minimiert, indem er den Schalenwildbestand klein hält. Dass Weidetiere meist im Stall gehalten werden, der Wolf also nicht bedrohen kann, was es kaum noch gibt.
Spiess hat einen Hai im Wohnzimmer hängen, aus seiner Motivreihe „The trapped ocean“, er schwimmt in einem luxuriösen Indoor-Pool. Der Hai gibt Rätsel auf. Das ist gut so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland