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Volksentscheid „Autofrei“ in BerlinMehr radikal als realistisch

Kommentar von Claudius Prößer

Eine Initiative will Berlin per Entscheid „autofrei“ machen. Das leuchtet auf den ersten Blick ein. Auf den zweiten ist es komplizierter als gedacht.

Blechlawinen in Berlin – daran soll sich bald was ändern Foto: dpa

W ir leben in Zeiten großer Weichenstellungen. Diesen pathetischen Satz kann man auf vieles anwenden. Er passt aber auch ganz gut zur Frage, welche Rolle künftig das Auto in unseren Gesellschaften und vor allem Städten spielen wird, nein: darf. Während die Hersteller immer größere Straßenpanzer in den Markt drücken, wurde gerade in Frankreich – dies mal als kleiner Blick über den Tellerrand – gerade eine schmerzhafte Sondersteuer auf besonders schwere SUVs beschlossen.

In Berlin will nun eine Initiative das, pardon, ganz große Rad drehen: Sie stellte am Mittwoch ihre Pläne vor, die Innenstadt innerhalb von weniger als zehn Jahren „autofrei“ zu machen. Und nicht für einen wohlklingenden Appell sollen die BürgerInnen ab dem Frühjahr unterschreiben (und irgendwann womöglich an die Urnen gehen), sondern für einen knallharten Gesetzentwurf.

Wobei der so knallhart aber nicht ausfallen wird. Busse, Laster und Müllwagen, Taxis, Transporter und Krankenwagen sowie eine Vielzahl von mit guten Gründen befreite private Kfz würden weiterrollen. Und zwar, das ist reine Logik, deutlich mehr als heute. Denn nicht nur müsste der öffentliche Nahverkehr massiv ausgebaut werden; auch für Lieferdienste würden wohl goldene Zeiten anbrechen.

Um mal ganz frech ein Argument der CDU ins Feld zu führen: „Welche Verwaltung soll den Ansturm auf Sondergenehmigungen bewältigen?“ Klingt kleinmütig, ist deshalb aber nicht falsch. Auch sonst würde ein solcher Schritt einen schier endlosen Rattenschwanz an Folgeproblemen hinter sich herziehen. Insbesondere verlagerten sich viele Probleme in den Bereich außerhalb des Rings, wo im Gegensatz zum Volksglauben weit mehr als zwei Drittel der BerlinerInnen wohnen.

Die Kampagne wird den Wahlkampf bereichern

Viel realistischer sind da die längst diskutierten Maßnahmen einer City-Maut, des Verbots von Verbrennungsmotoren, der massiven Ausweitung von Tempo 30 und der Einrichtung von Kiezblöcken. Das denken auch die allermeisten grünen PolitikerInnen, Kritik an „Berlin autofrei“ kam ihnen aber – abgesehen von „juristisch hochkomplex, bedarf gründlicher Prüfung“ – nicht über die Lippen.

Wie es wird, wenn die Kampagne für den Volksentscheid mit dem nächsten Wahlkampf zusammenfällt? Auf jeden Fall spannend!

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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5 Kommentare

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  • Der Hinweis auf den bürokratischen Aufwand ist natürlich berechtigt, ebenso wird es eine Flut an Klagen gegen abschlägige Bescheide geben, aber wenn das dann in 20 Jahren etwa abgearbeitet ist, hat man eine deutlich autofreiere Stadt. Auf den Versuch kommt es an, nur Mut!

  • Also will die CDU mal wieder die Bürokratie ausbauen indem sie ein zahnloser Gesetz beschließt indem jeder eine Sondergenehmigung bekommt der einen Antrag stellt.

    Oder was will uns die Kolumne sagen? Weil viel sagt der Artikel ja nicht aus.

    • @Sascha:

      Das nun nicht gleich, aber man rechnet wohl damit, dass so gut wie jeder Anwohner erstmal einen Antrag stellt, weil erfahrungsgemäß fast jeder sich als Zentrum des Universums begreift und einen "guten" Grund sehen wird, warum gerade er eine Sondergenehmigung braucht. Zumindest werden sehr viele Anträge bearbeitet werden müssen, ob diese dann positiv beschieden werden, steht auf einem anderen Blatt.

      Der Text wirft zumindest die These auf, dass bei einem Privatautoverbot die Stadt voller gewerblicher Lieferdienstfahrzeuge und Taxen wäre. Das ist nicht von der Hand zu weisen.



      Der Vorteil daran wäre, dass die Qualität der Fahrer durchschnittlich besser sein dürfte als wenn jeder rumgurkt. Aber gleichzeitig der Nachteil: gewerbliche Fahrer haben es eilig. Die Verkehrssicherheit ändert sich wohl kaum.



      Ob sich die Umweltbelastung ändert, ist auch schwer zu sagen. Wenn jeder gekaufte Artikel von einem anderen Lieferanten, Logistiker oder Zusteller gebracht wird, anstatt einmal mit dem Privatfahrzeug in den Baumarkt zu fahren, dürfte das eher nachteilig sein.



      Ich will mir garnicht anmaßen, zu beurteilen ob die autofreie Innenstadt sinnvoll ist, aber das Thema ist tiefer als es zunächst wirkt. Und der Einwand der CDU ist ein Aspekt.

    • @Sascha:

      Wenn " mit guten Gründen befreite private Kfz " vorgesehen sind,dann werden auch viele Leute,sprich der Großteil der Autobesitzer, versuchen eine Genehmigung zu bekommen. Und egal ob diese bewilligt wird oder nicht,müßen die Anträge bearbeitet werden. Dazu werden noch etliche Rechtsklagen kommen,usw. Insofern ist die zitierte Frage der CDU berechtigt.



      Ein weiteres Problem ist der notwendige Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.Der schon gegenwärtig oft an seine Grenzen stößt und mit dem zusätzlichen Andrang durch die Ex-Autobenutzer hoffnungslos überfordert wäre. Ob man den Ausbau innerhalb von 10 Jahren auf Reihe bekommen könnte,ist fraglich. Da steckt noch mehr Aufwand dahinter,als ein paar zusätzliche Radwege zu schaffen. was auch schon seine Zeit braucht. Das Rad ist übrigens leider nicht ein gleichwertiger Ersatz von PKW,Bus ,Bahn für die breite Masse. Das sage ich als hauptsächlicher Radfahrer und gelegentlicher ÖPNV-Benutzer. Spätestens wenn man täglich von Spandau nach Marzahn und zurück muß,dürften nur noch wenige bereit sein das mit dem Rad zu bewältigen.

    • @Sascha:

      Wie kommen Sie denn hier auf die CDU?

      Berlin hat einen rot-rot-grünen Senat.

      Die CDU beschließt da gar nichts.

      Dass es eine Reihe von Sondergenehmigungen geben wird, ist bereits im Volksentscheid enthalten.