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Nazi-Weihnacht auf dem LandVölkische kommen mit dem Lastenrad

Im niedersächsischen Masendorf hat ein völkischer Weihnachtsmarkt stattgefunden. Die Rechtsextremen griffen An­ti­fa­schis­t*in­nen und Presse an.

Eine Schar geht in altfränkischem Aufzug zum Weihnachtsmarkt Foto: isso.media
Andreas Speit

Aus Masendorf

Andreas Speit und Andrea Röpke

Masendorf, Ende November. In den dörflichen Ortsteil von Uelzen strömen Menschen in altmodischer Kleidung. Alle Jahre wieder richtet die völkische Familie Schröder zum ersten Advent einen Weihnachtsmarkt aus. Es ist eines der größten Treffen von Rechtsextremen in Niedersachsen.

Gebäck zum Glühwein bringen die anreisenden Gäste mit auf den Hof in der niedersächsischen Heide. In der großen Scheune des Dreiseiten-Hofs muss es eng geworden sein. „Das ist keine rechtsextreme Veranstaltung, sondern ein Weihnachtsmarkt!“, brüllt eine Frau vom Hof her.

Zu sehen ist sie nicht. Denn die Sicht auf die Einfahrt versperrt ein Autoanhänger. Die ankommenden Brauchtumsfreunde widerlegen die gebrüllte Aussage: Es sind an die 200 Gäste aus verschiedenen rechtsextremen Netzwerken – darunter Aktive der AfD, der Identitären Bewegung (IB) und der Jungen Nationalisten (JN).

Der völkische Nationalismus ist die ideologische Basis dieser heterogenen Szene. „Nach unserer Einschätzung dürfte dies die größte bekannte Versammlung der völkisch-nationalistischen Kreise gewesen sein“, sagt Martin Raabe von der „Gruppe beherzt für Demokratie und Vielfalt“. Die Öffentlichkeit schaue zum Nazi-Hof in Eschede, doch auch der Hof in Masendorf müsse beachtet werden. Raabe und langjährige Beobachter der Szene wie Olaf Meyer sind sich sicher: „Diese politischen Zusammenkünfte sind keinesfalls privat und sollten alle angehen, denn hier baut sich etwas Größeres auf.“

„Beherzte“ treffen sich gegenüber zum Kaffee

Seit Jahren wehrt sich die Initiative in der Region gegen völkische Siedler:innen, die versuchen den ländlichen Raum zu erobern, indem sie weitere Höfe kaufen. Das Netzwerk richtet immer wieder Solidaritätsaktionen mit An­woh­ne­r*in­nen in den betroffenen Ortschaften aus. Am 1. Advent trafen sich 20 Beherzte auf einem Hof gegenüber dem rechten Treffpunkt – „zum Kaffeetrinken“, sagt Raabe.

Regenschirme gegen die Presse: der völkische Nachwuchs am 1. Advent vor dem Hof der Schröders Foto: isso.media

„Die Völkischen wollen ihren Einfluss lieber ungestört ausbreiten, vernetzen sich jetzt sogar mit Neonazis aus Eschede und Mecklenburg“, erklärt der pensionierte Pastor. „Sie besitzen Jagdscheine, eine Pacht und trafen sich hier vor Kurzem auch zur Treibjagd. Da sind dann auch bekannte Rechtsextreme dabei.“ Antifaschist Meyer ergänzt: „Es gibt hier mindestens zwei aktive rechtsextreme Jugendbünde, die Kinder nach den Idealen der NS-Zeit erziehen.“

Gerade der rechte Nachwuchs stört sich in Masendorf an Presse und Protest. Auf der öffentlichen Straße vor dem Hof gehen selbsternannte Ordner beherzte Aktivisten an. Einen Mann stoßen mehrere Männer hin und her. Mit Regenschirmen versuchen sie, Jour­na­lis­t*in­nen aggressiv das Fotografieren zu verbieten.

Drei Polizeibeamte sprechen Ermahnungen aus und fahren wieder weg. Später am Abend beschädigen Unbekannte mit schweren Steinen das Auto eines Nachbarn, der sich gegen Rechts bekennt. Ein buntes Beherzt-Kreuz wird ebenfalls beschädigt – darauf steht die Botschaft „Kreuz ohne Haken – Für Vielfalt“. Abends hört ein Nachbar, wie die Parole „Arbeit macht frei!“ gegrölt wird.

Bereits im vergangenen Jahr waren „junge Kerle mit Messer am Hosenbund“ durch die Straßen des kleinen Dorfes patrouilliert, berichtet Meyer. „Die Vorfälle offenbaren, dass die Rechtsextremen nicht nur hinter ihrem Zaun auf ihrem Grundstück aktiv sind“, meint Raabe. Und er betont: „In diesen Kreisen bewegen sich viele Akademiker:innen.“

Es war für uns schockierend und für die Dorf­be­woh­ne­r*in­nen mit einem Gefühl von Machtlosigkeit verbunden, zu sehen, wie diese nicht sehr ‚himmlische Heerschar‘ praktisch das Dorf übernahm.

Pastor Martin Raabe

Das Landesamt für Verfassungsschutz stellte in seinem letzten Jahresbericht zwar fest, dass „völkische Siedler“ in Niedersachsen zu einer „Belastung für das gesellschaftliche Zusammenleben auf lokaler Ebene werden“ könnten, sie hätten jedoch „keinen prägenden Einfluss auf die ideologische Entwicklung des Rechtsextremismus“. Das Amt will auch „keine Aktivitäten“ sehen.

Da widerspricht Meyer: „Sie sind doch bis in die Spitzen der AfD zu finden.“ Laut Meyer nahm am diesjährigen Adventstreffen auch der AfD-Landtagsabgeordnete Peer Lilienthal teil, dessen Frau Hildburg Meyer-Sande aus der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend und der IB kommt. Gerade bei diesem Fest sei auch zu beobachten, wie entgrenzt die Szene intern mittlerweile ist.

Ein JN-Bundesvorstandsmitglied kommt mit dem Lastenrad und Familie. Vor dem Hof der Schröders parken am 1. Advent rund 90 Autos, einige gehören Angehörigen der verbotenen „Artgemeinschaft“. Raabe sagt: „Es war für uns schockierend und für die Dorf­be­woh­ne­r*in­nen mit einem Gefühl von Machtlosigkeit verbunden, zu sehen, wie diese nicht sehr ‚himmlische Heerschar‘ praktisch das Dorf übernahm.“

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7 Kommentare

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  • Es ist wichtig, das diese Gruppen nicht vor Ort „ankommen“. Von daher ist es gut, dass die personellen Verknüpfungen genannt und deren ideologische Hintergründe auch durch lokale Akteure auf den „öffentlichen“ Tisch gepackt werden. Kontraproduktiv wäre allerdings, wenn die Metropolenantifa jetzt versuchen würde, die Dörfer in städtische „Klassenkampfzonen“ zu verwandeln. Sonst würde sich das Volk vor Ort womöglich noch mit den „verfolgten“ Völkischen solidarisieren.

  • Verfassungsschutz und Nazis gehen weiter Hand in Hand...

  • So, so das Landesamt will keinen prägenden Einfluss sehen, was genau muss den noch passieren?



    So wird das nichts mit dem bekämpfen von Rechtsaußen.

  • Liebe taz,



    berichtet bitte weiter von irgendwelchen Treffen völkisch-nationaler Gruppen. Aber bitte vermeidet die textlichen Ausschmückungen wie 'kommt mit dem Lastenrad' oder 'tragen altmodische Kleidung'. Das eine hat mit dem anderen Null gemeinsam und wirkt auch eher wie die krampfhafte Interpretation eine anderen Welt. Denn Strickpullis und Lastenräder sehe ich z.B. in Kreuzberg zuhauf.

    • @Mopsfidel:

      Ich glaube, es geht eher darum, darauf aufmerksam zu machen, dass die nette Öko-Familie von nebenan eben keine ganz zu nette Öko-Familie ist. Das ist ein wenig wie bei der Bündischen Jugend. Die Kohte an sich ist nicht "rechts" oder "völkisch". Das Wandern mit Jugendgruppen auch nicht. Und auch kein Weihnachtsmarkt auf einem Hof. Doch das My Rassismus macht den Unterschied. (Das Wettern gegen Kleidung allein - gerade auf dem Land - halte ich auch für absurd. Doch den Hinweis finde ich schon wichtig.)

    • @Mopsfidel:

      Ganz Deiner Meinung! Nicht jede*r Tracht-tragende Mensch ist gleich ein Nazi. Ich würde eigentlich gerne wieder mal mein geliebtes schwarzes Fred-Perry Polo-Shirt zu meinen Kniebundhosen und Damen-Budapestern tragen. Und ich kann Nazis nicht ausstehen.

  • Warum nur fällt mir gerade jetzt Wolfgang Weimer ein?

    „Sie [Weihnachtsmärkte] schaffen Bewusstsein für eine heilige Zeit. Sie schaffen Türen in eine andere Welt und weiten den Horizont unseres Seins.“

    Nein, Brauchtumspflege nach völkischer Art meinte er sicherlich nicht, das zu unterstellen wäre bösartig. Zumal die Nazis es ja nicht so haben mit dem Christentum. Schnittmengen gibt es trotzdem in der rechtskonservativen Weltsicht, für die die Moderne von Übel, Diversität ein Zeichen des Kulturverfalls und der Untergang des (christlichen) Abendlandes nah ist.