Nazi-Weihnacht auf dem Land: Völkische kommen mit dem Lastenrad
Im niedersächsischen Masendorf hat ein völkischer Weihnachtsmarkt stattgefunden. Die Rechtsextremen griffen Antifaschist*innen und Presse an.
Masendorf, Ende November. In den dörflichen Ortsteil von Uelzen strömen Menschen in altmodischer Kleidung. Alle Jahre wieder richtet die völkische Familie Schröder zum ersten Advent einen Weihnachtsmarkt aus. Es ist eines der größten Treffen von Rechtsextremen in Niedersachsen.
Gebäck zum Glühwein bringen die anreisenden Gäste mit auf den Hof in der niedersächsischen Heide. In der großen Scheune des Dreiseiten-Hofs muss es eng geworden sein. „Das ist keine rechtsextreme Veranstaltung, sondern ein Weihnachtsmarkt!“, brüllt eine Frau vom Hof her.
Zu sehen ist sie nicht. Denn die Sicht auf die Einfahrt versperrt ein Autoanhänger. Die ankommenden Brauchtumsfreunde widerlegen die gebrüllte Aussage: Es sind an die 200 Gäste aus verschiedenen rechtsextremen Netzwerken – darunter Aktive der AfD, der Identitären Bewegung (IB) und der Jungen Nationalisten (JN).
Der völkische Nationalismus ist die ideologische Basis dieser heterogenen Szene. „Nach unserer Einschätzung dürfte dies die größte bekannte Versammlung der völkisch-nationalistischen Kreise gewesen sein“, sagt Martin Raabe von der Gruppe beherzt für Demokratie und Vielfalt. Die Öffentlichkeit schaue zum Nazi-Hof in Eschede, doch auch der Hof in Masendorf müsse beachtet werden. Raabe und langjährige Beobachter der Szene wie Olaf Meyer sind sich sicher: „Diese politischen Zusammenkünfte sind keinesfalls privat und sollten alle angehen, denn hier baut sich etwas Größeres auf.“
„Beherzte“ treffen sich gegenüber zum Kaffee
Seit Jahren wehrt sich die Initiative in der Region gegen völkische Siedler:innen, die versuchen den ländlichen Raum zu erobern, indem sie weitere Höfe kaufen. Das Netzwerk richtet immer wieder Solidaritätsaktionen mit Anwohner*innen in den betroffenen Ortschaften aus. Am 1. Advent trafen sich 20 Beherzte auf einem Hof gegenüber dem rechten Treffpunkt – „zum Kaffeetrinken“, sagt Raabe.
„Die Völkischen wollen ihren Einfluss lieber ungestört ausbreiten, vernetzen sich jetzt sogar mit Neonazis aus Eschede und Mecklenburg“, erklärt der pensionierte Pastor. „Sie besitzen Jagdscheine, eine Pacht und trafen sich hier vor Kurzem auch zur Treibjagd. Da sind dann auch bekannte Rechtsextreme dabei.“ Antifaschist Meyer ergänzt: „Es gibt hier mindestens zwei aktive rechtsextreme Jugendbünde, die Kinder nach den Idealen der NS-Zeit erziehen.“
Gerade der rechte Nachwuchs stört sich in Masendorf an Presse und Protest. Auf der öffentlichen Straße vor dem Hof gehen selbsternannte Ordner beherzte Aktivisten an. Einen Mann stoßen mehrere Männer hin und her. Mit Regenschirmen versuchen sie, Journalist*innen aggressiv das Fotografieren zu verbieten.
Drei Polizeibeamte sprechen Ermahnungen aus und fahren wieder weg. Später am Abend beschädigen Unbekannte mit schweren Steinen das Auto eines Nachbarn, der sich gegen Rechts bekennt. Ein buntes Beherzt-Kreuz wird ebenfalls beschädigt – darauf steht die Botschaft „Kreuz ohne Haken – Für Vielfalt“. Abends hört ein Nachbar, wie die Parole „Arbeit macht frei!“ gegrölt wird.
Bereits im vergangenen Jahr waren „junge Kerle mit Messer am Hosenbund“ durch die Straßen des kleinen Dorfes patrouilliert, berichtet Meyer. „Die Vorfälle offenbaren, dass die Rechtsextremen nicht nur hinter ihrem Zaun auf ihrem Grundstück aktiv sind“, meint Raabe. Und er betont: „In diesen Kreisen bewegen sich viele Akademiker:innen.“
Pastor Martin Raabe
Das Landesamt für Verfassungsschutz stellte in seinem letzten Jahresbericht zwar fest, dass „völkische Siedler“ in Niedersachsen zu einer „Belastung für das gesellschaftliche Zusammenleben auf lokaler Ebene werden“ könnten, sie hätten jedoch „keinen prägenden Einfluss auf die ideologische Entwicklung des Rechtsextremismus“. Das Amt will auch „keine Aktivitäten“ sehen.
Da widerspricht Meyer: „Sie sind doch bis in die Spitzen der AfD zu finden.“ Laut Meyer nahm am diesjährigen Adventstreffen auch der AfD-Landtagsabgeordnete Peer Lilienthal teil, dessen Frau Hildburg Meyer-Sande aus der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend und der IB kommt. Gerade bei diesem Fest sei auch zu beobachten, wie entgrenzt die Szene intern mittlerweile ist.
Ein JN-Bundesvorstandsmitglied kommt mit dem Lastenrad und Familie. Vor dem Hof der Schröders parken am 1. Advent rund 90 Autos, einige gehören Angehörigen der verbotenen Artgemeinschaft. Raabe sagt: „Es war für uns schockierend und für die Dorfbewohner*innen mit einem Gefühl von Machtlosigkeit verbunden, zu sehen, wie diese nicht sehr ‚himmlische Heerschar‘ praktisch das Dorf übernahm.“
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert