Völkische Expansion: Neonazis suchen Lebensraum
In Mecklenburg und in der Lüneburger Heide setzen sich rechte Siedler fest. Wie kann man damit umgehen?
Jamel ist ein Beispiel für die Strategie der rechten Szene, neue Räume zu erobern. Die Motive für die völkische Landnahme sind verschieden, doch die Landnehmer eint der Glaube, eine Kulturrevolution gegen den „Großen Austausch“ der „autochthonen“ Bevölkerung zu führen und eine „Islamisierung“ der eigenen Heimat zu verhindern.
Völkische Ökos
Südlich von Rostock, in der Umgebung von Teterow und Güstrow, wollen zugezogene Familien die Ideen der „Artamanen“ wiederbeleben. Schon 1923 hatte der Gründer der Bewegung, Willibald Hentschel, ein „Zurück zur Scholle“ propagiert, um der Landflucht und im Osten der befürchteten Besiedlung durch „die Polen“ entgegenzuwirken. Die alternativ-ökologischen Ideen verwob er mit arischen Rassezüchtungsvorstellungen.
In den 1990er-Jahren entstanden in der Region die ersten Artamanen-Höfe. Auf den Bildern von damals sehen die rechten Siedler wie linke Aussteiger aus. Nur ein kleiner Wimpel mit Hakenkreuz offenbart ihre Weltsicht. „Wir dachten, das sind Ökos, also Linke“, sagen Anwohner heute. Manche Neo-Artamanen versuchen, beruflich in Bio-Netzwerken Fuß zu fassen. Einige stehen der AfD nahe.
Hotspot der NPD-Kader
Ein weiteres Zentrum der rechten Siedlerbewegung ist die Gegend um Lübtheen, nur wenige Kilometer nördlich des Wendlands gelegen. Nach der Wende zogen vor allem Kader der NPD dorthin, die zweimal in den Schweriner Landtag einzog – den dritten Einzug verhinderte 2016 der Antritt der AfD.
Die NPD-Kader und ihre Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ sind aber nicht weggezogen, in Mecklenburg-Vorpommern wollen sie weiter Immobilien erwerben und den Zuzug von Anhängen ermöglichen – mit einer Genossenschaft.
Genossenschaft für Volksgenossen
2018 war ein erster Gründungsversuch noch gescheitert, doch in diesem Jahre wurde aus der Kapitalgesellschaft „Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG“ die Unternehmergesellschaft „MVSE Objektbetreuung“.
Zu den Gesellschaftern gehören laut dem Recherche-Portal „Endstation rechts“ die ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Stefan Köster und David Peterreit, aber auch Tino Streif und Sven Krüger aus Jamel. Die Genossenschaft mit Sitz in Klein Belitz will sich in der Bau- und Immobilienbranche verankern, auch um über Kleinstfirmen die eigenen Netzwerke zu stärken.
Doch die rechten Siedler wollen mehr. Einige von ihnen traten dieses Jahr bei den Kommunalwahlen an, die NPD wurde dabei nicht erwähnt. In Groß Krams bei Lübtheen erreichte der frühere Vorsitzende der NPD-Jugend „Junge Nationalisten“, Sebastian Richter, das zweitbeste Wahlergebnis nach dem Bürgermeister. Einen Wahlerfolg erreichte auch Sven Krüger aus Jameln bei der Kommunalwahl. Mit der neu gegründeten „Wählergemeinschaft Heimat“ zog der mehrfach vorbestrafte Rechtsextreme in die Gemeindevertretung Gägelow.
Nachbarn und Anwohner vor Ort waren vom Eintritt der Rechten in die Kommunalpolitik oft überrascht. Der Tenor, der vielfach zu hören ist: „Hinter ihrem Gartenzaun, auf ihren Anwesen, sollen die machen was sie wollen.“ Brauchtumsfeste, 1.Mai- und Kinderevents, Hochzeiten nach vermeintlich germanischen Ritualen lösen nicht immer gleich zivilgesellschaftlichen Widerspruch aus.
Völkische Familien in der Heide
In die Politik haben sich die rechten Familien, die seit Jahren in der Lüneburger Heide leben, bisher nicht eingemischt, wohl aber ins Gemeinde- und Vereinsleben. Derzeit versuchen diese völkischen Familien, die seit Generationen rechts außen stehen, weitere Immobilien zu erwerben. Gute Beziehungen bestehen zur AfD und zur NPD. Kinder der Familien sind bei der Identitären Bewegung, die versucht, durch provokante Aktionen auf sich aufmerksam zu machen – und der Stolz von Opa und Oma.
„Lasst die doch in Ruhe“, bekamen Mitglieder des „Netzwerk Beherzt“ zu hören, als sie anfingen, öffentlich über die rechten Nachbarn in der Lüneburger Heide zu reden. „Sie wollen eben nicht bloß ihre Gesinnung in der Familie oder auf ihrer Grundstück einfach ausleben“, betont Martin Raabe, Sprecher des Netzwerkes.
„Erbgesunde Kinder“
Die rechte Szene ist vielgestaltig. So soll in Niedersachsen auch die „Anastasia-Bewegung“ nach Siedlungsmöglichkeiten suchen. Seit 2014 findet die aus Russland kommende Bewegung in Deutschland immer mehr Anhänger. Auslöser war eine Buchreihe von Wladimir Megre, der eigentlich Wladimir Usakow heißt. In den zehn Bänden mit Titeln wie „Anastasia – Tochter der Taiga“ erzählt Megre von der Begegnung mit einer geheimnisvollen Frau auf einer Geschäftsreise 1994. Diese fiktive Figur, Anastasia, dargestellt mit wallendem blondem Haar, mal nackt, mal mit einem Hauch von Nichts bekleidet, lebt im Einklang mit der Natur und den Tieren.
In dem Epos von Megre wird nicht bloß ein Leben in Familienlandsitz-Siedlungen mit etwa einem Hektar für eine Familie zur Selbstversorgung als Erlösung empfohlen. Auf dem Land sollen Vater und Mutter „erbgesunde Kinder“ zeugen. Der Partner dürfte nicht von einer anderen „Rasse“ sein. Die Frauen müssen sich keusch verhalten, Sex nur der Zeugung dienen. Homosexualität ist verpönt.
Anastasia ist „unbegreiflich, wie die dunklen Kräfte es schafften, die Frauen (…) zu verdummen, dass sie ahnungslos die Männer mit ihren Reizen anziehen“ und nicht die „richtigen“ Männer wählen. Fatal, auch weil die Anhänger*innen überzeugt sind, dass der erste Sexualpartner einer Frau die später gezeugten Kinder mit prägen würde. Diese These der Telegonie ventilierten Rechte schon im 19. Jahrhundert.
In der esoterisch-völkischen „Anastasia“-Saga taucht im sechsten Band das „jüdische Volk“ auf, das „vor den Menschen schuld habe“, weil sie versuchten, „alle zu betrügen, vom Jungen bis zum Alten“. Ein jüdischer Oberpriester gehöre zu jenen, die die Welt beherrschen.
In Brandenburg und Sachsen-Anhalt bestehen schon erste Siedlungen. Der Erfolg dieser Siedler hängt auch vom Widerstand ab.
Wie rechte Siedler in Mecklenburg vorrücken, lesen Sie in der Wochenendausgabe der taz oder hier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist