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Drohungen gegen Lehrkräfte in BrandenburgUnterlassene Hilfeleistung

Kommentar von Jonas Grimm

Nach rechten Anfeindungen verlassen zwei Lehrkräfte ihre Schule im Spreewald. Der Fall zeigt, was passiert, wenn der Staat couragierte Bür­ge­r:in­nen nicht schützt.

Bekamen zu wenig Unterstützung: Lehrkräfte Max Teske und Laura Nickel auf Demonstration in Cottbus Foto: Patrick Pleul/dpa

I n Nordwestmecklenburg gibt es ein kleines Dorf namens Jamel mit rund 40 Einwohner:innen. Bis auf zwei Menschen, die Lohmeyers, sind dort alle rechts. Das Ehepaar wird drangsaliert, ihre Scheune wurde niedergebrannt, die Neonazis setzen alles daran, auch sie noch aus dem Örtchen zu vertreiben und Jamel zu einer „national befreiten Zone“ zu machen. Was sich wie eine dystopische Fiktion liest, ist harte Realität.

Burg, eine Gemeinde im Südosten Brandenburgs mit hundert mal mehr Ein­woh­ne­r:in­nen als Jamel, ist von solchen Zuständen noch weit entfernt. Und dennoch ist es dort so weit gekommen, dass zwei Menschen wegen rechtsextremer Umtriebe sagen: Es reicht, wir müssen hier weg.

Am Mittwoch wurde bekannt, dass sich die beiden Lehrkräfte Laura Nickel und Max Teske von ihrer Schule versetzen lassen, nachdem sie sich im Frühjahr mit einem Brandbrief an die Öffentlichkeit gewendet hatten. Es ist schlimm genug, dass es an ihrer Schule Hitlergrüße von Schü­le­r:in­nen gab, Hakenkreuze geschmiert oder „Arbeit macht frei“ gerufen wurde.

Noch schlimmer ist aber, was danach geschah. Die beiden Leh­re­r:in­nen wurden von ihren Kol­le­g:in­nen teilweise nicht mehr gegrüßt. Vermeintliche Eltern schrieben einen Brief, in dem sie aber nicht die Lehrkräfte stärkten – sondern ihre Entlassung forderten, aufgrund ihrer „Ideologie“. Die Schule, das Schulamt und der SPD-Bildungsminister Freiberg müssen sich vorwerfen lassen, auf vielen Ebenen versagt zu haben.

Die AfD spielt ein zynisches Spiel

Nickel und Teske wurde Besserung versprochen, passiert ist kaum etwas. Ein Gespräch zwischen Freiberg und den beiden Leh­re­r:in­nen kam nicht zustande. Es kann nicht sein, dass als Konsequenz der rechtsextremen Vorfälle genau die gehen müssen, die sich dagegen einsetzen.

Bei der Bundestagswahl 2021 war die AfD in Burg bei den Erststimmen bereits stärkste Kraft. Dieselbe AfD, die jetzt zynischerweise behauptet, sie sei „verwundert“, dass die Lehrer wegen ein „bisschen Gegenwind“ aufgeben. Fast so, als wäre es ein Spiel und sie fänden es etwas schade, schon so früh gewonnen zu haben.

Mit dem „bisschen Gegenwind“ meinen sie Sticker im Ort mit dem Gesicht der beiden inklusive Aufruf, sich zu verpissen, einen Instagram-Account, der zur Jagd auf die Leh­re­r:in­nen aufruft sowie notwendigen Polizeischutz.

Burg ist nicht Jamel. Aber es zeigt, was passiert, wenn rechtsextreme Meinungen durch unterlassene Hilfeleistung des Staates normalisiert werden.

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7 Kommentare

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  • Was tun, wenn eine lokale Mehrheit in demokratischen Wahlen den Faschismus will?

    • @Nordischbynature:

      Auch wenn sich die beiden Lehrkräfte sich jetzt versetzen lassen. Sie sind meine Helden. Die Feigheit der Anderen ist bezeichnend. Warum verweist man die Kinder nicht von der Schule? Wir sind schon wegen Stoppt Strauß Pins von der Schule geflogen.

  • Sie haben Hilfe erbeten und wurden einfach verraten. Nicht mehr und nicht weniger passiert hier, wir stecken bereits Oberkante Unterlippe in der braunen, stinkenden Jauche. Fassungslosigkeit macht sich breit und große Trauer. Ein herzlicher Dank gebührt den beiden Lehrern. Passen Sie gut auf sich auf.

  • Wie soll der Staat in dem Fall schützen?



    Die Lösung wäre eine Politik, die den braunen Vollpfosten den Wind aus den Segeln nimmt.



    Wäre höchste Zeit dafür!

    • @R.A.:

      Ich glaube nicht, dass das so einfach geht, wie Sie sich das vorstellen.

      Wir befinden uns in einer globalen Krise, es werden immer drastischere Maßnahmen notwendig, je mehr Zeit verstreicht.

      Ob Reduktion oder Anpassung.

      Je drastischer die Maßnahmen, je geringer die soziale Abfederung, desto stärker verunsichert sind die Menschen.

      Diese Verunsicherung und nicht unbegründeten Zukunftsängste führen zu % Gewinnen bei der AFD.

      Für stärkere soziale Abfederung oder gar Umverteilung fehlt jedoch jegliche politische Mehrheit.

      Die notwendige Maßnahmen werden, aus Angst vor dem Backlash, weiter verschoben oder verwässert.

      Somit entsteht ein Teufelskreis.

      Und bitte nicht vergessen ein großer Teil der AFD ist tatsächlich rechtsradikal. Die können nicht überzeugt werden.

      Es gibt leider immer noch recht viele "braune Vollpfosten", nicht nur in Deutschland.

  • Der Staat existiert eben nicht unabhängig von seinen Bürger*innen. Wenn also die AfD bereits stärkste Kraft vor Ort ist und sich offenbar eine relevanter Teil der Schüler*innenschaft den NS zurückwünscht, muss man eben davon ausgehen, dass die Gesinnungslage in den staatlichen Institutionen vor Ort diesen politischen Verhältnissen in etwa entspricht. Wie also soll ein in die Minderheit geratenes demokratisches Lager noch wirksam Hilfe gegen die rechtsradikale Hegemonie leisten, wie Polizeischutz organisieren wenn die Beamten entsprechend den lokalen Gegebenheiten mehrheitlich mit den rechten Attacken und Übergriffen sympathisieren?

    • @Ingo Bernable:

      War heute Vormittag auf einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AFD, die in meiner Stadt (Partnerstadt Sonnebergs) den Wahlsieg des Landrates Sesselmann feierte. Die Teilnehmerzahlen auf beiden Veranstaltungen hielten sich in etwa die Waage, was überaus enttäuschend und ernüchternd für die Gegenkundgebung war.



      Auch wenn bei uns im Westen solch eine fatale Situation, wie Sie sie beschreiben, noch nicht ganz soweit besteht, ist die Entwicklung auch hier besorgniserregend.