piwik no script img

Völkisch inspirierte SeminareFreies Lernen wie in Russland

In Niedersachsen lassen sich Eltern für eigene Lernangebote schulen. Die Kinder sollen staatlicher Kontrolle entzogen werden.

Ort für das 13-tägige „Freianleitersemester“: das Schullandheim Forsthaus Lüsche Foto: Andrea Röpke

Lüsche taz | Kinder toben auf einem Anwesen in Lüsche im Landkreis Gifhorn. „Schullandheim“ kann man auf einem verwitterten Holzschild über der Zufahrt lesen. Am Eingang steht auf einem Schild: „Vereinsgelände des ideellen und gemeinnützigen Vereins Gaudium in Vita – Zutritt nur für Fördermitglieder“.

Nicole Wolf ist die ehrenamtliche Präsidentin des Vereins, dessen lateinischer Name mit „Freude im Leben“ übersetzt werden kann. Seit wenigen Jahren wohnen sie und ihr Mann Steffen mit ihren Kindern auf dem 10.000 Quadratmeter großen Anwesen. Im Internet bieten sie die 44 Betten und drei Gruppenräume zum Mieten an.

Der Verein mit offiziellem Sitz in Österreich ist eng mit der „Internationalen Schul-, Sport- und Kultur-Akademie“ (ISKA) verwoben. Die selbsternannte Akademie hat vom 13. bis 26. März zu einem „Lernanleitersemester“ geladen. Der Veranstaltungsort wurde erst nach Anmeldung kurz vor Beginn bekanntgegeben – es war Lüsche. Günstig ist der Kurs nicht: Der „Lernanleiter“ kostet für Eltern 1.350 Euro, für Kinder 390 Euro plus Essen und Unterbringung. Das Geld wird „bevorzugt in bar“ angenommen. In der Broschüre wurde nicht nur auf „vegetarisches Essen“ hingewiesen – die Frauen wurden auch gebeten, „gerne Röcke und Kleider“ einzupacken.

An die vierzig Erwachsene und Kinder sind Ende März aus dem gesamten Bundesgebiet zu dem Kurs in der niedersächsischen Gemeinde angereist. Eine eingeschworene Gemeinschaft, die eine freie Schulerziehung jenseits staatlich vorgegebener Bildungspolitik anstrebt. Freude und Liebe, Miteinander und Zusammen, sind Worte, die in diesem Kreis oft fallen. Sie wollen anders leben und vor allem sollen ihre Kinder anders lernen.

Angehaltene Hinwendung zu Traditionen

Ihre Pläne für ein „neues Bildungssystem im deutschsprachigen Raum“ nach dem Modell von Michail Petrowitsch Schetinin soll bisher nur Gleichgesinnte erreichen: Eltern, die ihre Kinder selbst zu Hause unterrichten möchten. Auf der Website führt „Gaudium in Vita“ vermeintlich moderat aus, dass „die Zahl der beteiligten Freilernerfamilien in Deutschland“ steige – „denn immer mehr Familien wollen wieder mehr als nur Versorgungsstation sein, sie wollen das Zusammenleben umfassend genießen“.

Am Eingang des Schullandheims Forsthaus Lüsche steht das Schild des Vereins „Gaudium in Vita“ Foto: Andrea Röpke

Die Ganzheitlichkeit steht auch in der Pädagogik von Schetinin im Zentrum. Das Programm sei an die „Tekos-Schule angelehnt“, heißt es in der Einladung von ISKA. Am Schwarzen Meer im russischen Dorf Tekos hatte Schetinin das Lyzeum-Internat über Jahre aufgebaut und geführt. In der Selbstdarstellung wird eine ganzheitliche Pädagogik suggeriert, in der die Kinder die „Mitautoren des Bildungssystems“ seien. Hier wird aber auch erklärt, dass der 2019 verstorbene Gründer ein besonderes Ziel hatte: „Das Hauptziel von Michail Petrowitsch Schetinin ist die geistige Wiederbelebung Russlands.“

Die „geistige und ethisch-moralische Entwicklung“ der Kinder soll auch vermitteln, dass sie das „Schicksal des Vaterlandes“ als ihre Verantwortung für die Zukunft des Landes annehmen müssen. „Kraftvolles Körpertraining auf der Grundlage des russischen Nahkampfes“ gehört zur Pädagogik. Männliche Absolventen müssen in die Armee: „Fast immer werden sie zum Kommandeur, Vorarbeiter und Feldwebel ernannt.“ Lobende Worte kamen vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Lange erhielt das Internat staatliche Mittel, 2019 musste es aber wegen erheblicher Mängel schließen.

Die angehaltene Hinwendung zu Traditionen der Schetinin-Schule scheint in Deutschland ganz besonders Interessierte anzusprechen: Nicole Wolf gehörte in der Vergangenheit der zuweilen antisemitischen Kleinstpartei „Deutsche Mitte“ an, sie bezeichnet sich als „friedliche Widerstandskämpferin“. Aus der „Ökologisch-demokratischen Partei“ soll sie ausgeschlossen worden sein, weil sie sich weigerte, einen Abgrenzungsbeschluss gegen die AfD mitzutragen. Als Sängerin der „Coline Wolf Band“ trat sie bei Anti-Corona-Protesten in Hannover auf. Ende Februar moderierte sie eine rechte Großdemonstration in Gifhorn.

Nähe zum völkischen Milieu

Am ISKA-„Semester“ auf dem Anwesen in Lüsche durften nur Mitglieder teilnehmen, die schon einen Kurs besucht hatten. Dabei war unter anderem Friederike J., die in Wienrode im Ostharz den Anastasia-Familienlandsitz „Weda Elysia“ mit aufbaut. Die völkisch-esoterische Anastasia-Bewegung, die auch aus Russland kommt, bewegt nicht minder freie Lernkonzepte. Mit dem mehrbändigen Epos „Anastasia – Die klingenden Zedern Russlands“ legte Wladimir Megre das politische Fundament. Im dritten Band wird die Schetinin-Schule wohlwollend beschrieben. Schon als Jugendliche nahm J.s Vater sie mit zu Treffen der rechtsextrem-völkischen „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ mit. Die Kerntruppe von „Weda Elysia“ beteiligte sich jüngst am Frühjahrstreffen der „Artgemeinschaft“ in Thüringen.

Am „Freianleitersemester“ nahm auch Hildrun H. teil – mit Zopffrisur und langem Rock, dem Erscheinungsbild rechter Bünde. Ihre Familie gehörte laut der neu-rechten „Jungen Freiheit“ 2005 zu den völkischen „Neo-Artamanen“, die in Mecklenburg-Vorpommern Siedlungen wiederbeleben. Sie selbst war im rechtsbündischen „Mädchenwandervogel Solveigh“ aktiv und ging zur Schetinin-Schule. Mittlerweile tritt sie als Referentin von ISKA auf.

Die Nähe zum völkischen Milieu deutete sich auch im Februar 2022 an. Ein Seminar am „ISKA Bildungsforschungstag“, das mit dem „Raum Uelzen“ beworben wurde, fand auf dem Hof einer Familie des rechts-bündischen „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ in Masendorf statt. In den Schulungen sollen sich Interessierte die Tekos-Methoden und Lernstoff aneignen.

Die Strategie der Schulungen scheint nicht zu sein, eine offizielle Freie Schule anzumelden. Vielmehr soll es darum gehen, Lerngruppen aufzubauen, die in eigene Schulen münden können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Leider gibt es für diese Wahl eines radikal oppositionellen Orientierungsrahmen Gründe, die nur sehr ungefähr mit so etwas wie "digitaler Entfremdung" und mangelnder Selbstwirksamkeitserfahrung bezeichnet werden können. Da greifen auch guter Gemeinschaftskundeunterricht und Demokratieerziehung einfach nur noch ins Leere.

  • Der lateinische Name könnte noch treffender mit „Freude am Leben“ übersetzt werden.

  • Wie sagte schon Cicero in De Re Publica?



    Der Staat hat ältere Rechte als die Eltern. Daher wird dem Staat mehr Zuneigung geschuldet als den Eltern.



    (Im Original: "Quoniam plura beneficia continet patria et est antiquior parens quam is, qui creavit, maior ei profecto quam parenti debetur gratia.")



    Kennedy hat das etwas anders formuliert: "Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country."

    • @Aurego:

      Nun schreibt ihr Cicero aber eben nicht vom Staat (res publica, status, politia), sondern von patria, dem Vaterland. Und daran wird dann doch recht deutlich, dass die 'patriotische' Idee, dass die Bürger*innen in erster Linie diesem Vaterland als übergeordnetem Abstraktum verpflichtet sind und zwar ggf. auch mit ihrem Leben, ebenso angestaubt sind wie ihr Verfasser.



      Es gibt wirklich bessere Rezepte völkischer Ideologie und Nationalismus entgegen zu treten als ausgerechnet Patriotismus, zumal sich das Eine mit dem Anderen ja bekanntermaßen auch bestens kombinieren lässt.

      • @Ingo Bernable:

        Wobei es den Rechten ja auch nicht um das real existierende Vaterland geht, sondern um um ein neues Gebilde, das erst mit Gewalt erschaffen werden muss.



        (Ein viertes Reich unter ihrer Herrschaft.)