piwik no script img

Völkermord in SudanDer namenlose Genozid

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die USA erkennen den Bürgerkrieg in Sudan als das an, was er ist: Völkermord. Aber das kommt viel zu spät.

Nicht benannte Opfer: Geflüchtete aus Dafur Foto: David Allignon/imago

V on Völkermord in Sudan spricht die US-Regierung. US-Außenminister Antony Blinken hat erklärt, Angehörige der aufständischen Miliz RSF (Rapid Support Forces) „haben in Sudan Genozid begangen“. Das ist nach fast zwei Jahren Kriegshorror überfällig. Aber von Völkermord zu reden, bedeutet noch lange nicht, dass daraus etwas folgt.

Vor zwanzig Jahren gab es die erste Völkermorddesignierung der USA in Bezug auf Sudan, schon damals ging es um den Horror in Darfur, bei dem auch der jetzt inkriminierte RSF-Chef Hametti einer der Haupttäter war. Erst nach sechs Jahren erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl gegen Sudans damaligen Präsidenten Omar al-Bashir wegen Genozids. Vollstreckt ist der bis heute nicht, zu einem Prozess gegen den mittlerweile 81-Jährigen wird es wohl nie kommen. Jetzt wird der RSF-Miliz Völkermord vorgeworfen, gegen ihren Chef Hametti werden Sanktionen verhängt. Aber das ist erst einmal alles. Vielleicht folgt irgendwann ein Haftbefehl, der folgenlos bleibt.

Schwerer wiegt, dass Blinken zwar die mutmaßlichen Täter benennt, nicht aber die Opfer. An welchen Gruppen wird denn Genozid begangen? Das sagt die US-Regierung nicht. „Gewisse ethnische Gruppen“, sagt Blinken lediglich. Damit läuft der wichtigste politische Effekt einer Völkermorddesignierung ins Leere: nämlich das Sichtbarmachen und die Anerkennung der Opfergruppe als solche.

Darum, mehr noch als um sehr unwahrscheinliche juristische Konsequenzen, geht es ja auch bei der aktuell vielfach erhobenen Forderung, einen Völkermord an den Palästinensern anzuerkennen. Man spricht vom Völkermord an den europäischen Juden, an den Armeniern, an den Herero und Nama im heutigen Namibia, an den Tutsi in Ruanda. Hier stehen die Opfer im Mittelpunkt, nicht die Täter.

Ohne die Nennung der Opfer bleibt der Begriff Völkermord abstrakt. Aber Völkermorde sind nicht abstrakt. Es werden Menschen getötet, sie hinterlassen Überlebende. Wer sind diese Menschen in Sudan?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!