Viktor Orbáns Russlandpolitik: In Putins Spinnennetz

Ungarn provoziert die EU erneut und bezieht immer mehr russisches Gas. Das ist von Vorteil für die Bevölkerung. Doch Orbáns Spiel ist riskant.

Victor Orbán

Sieht ganz schön alt aus Foto: Bertrand Guay/ AFP

Eine Fliege im Spinnennetz Putins: So sieht der regierungskritische Kolumnist Miklós Hargitay den ungarischen Premierminister Viktor Orbán und dessen Abhängigkeit von russischer Energiezufuhr. Hargitay muss aber zugeben, dass sich Orbáns Strategie, den Kriegsherrn zu umschmeicheln, derzeit auszahlt. Denn Ungarn bekommt neuerdings noch mehr russisches Gas als bisher – während der Rest Europas knapp gehalten wird und verzweifelt nach Wegen sucht, Gas anderweitig auf den Weltmärkten zu besorgen.

Ungarn hingegen erhält bis Ende August pro Tag 2,6 Millionen Kubikmeter russisches Gas zusätzlich. Über die russischen Lieferungen im September wird zwischen Budapest und Moskau noch verhandelt. Der Rest Europas hingegen wird im Winter seinen Gasverbrauch um mindestens 15 Prozent drosseln müssen.

Durch diesen ungarischen Sonderweg hat Orbán dreierlei erreicht: Er bekommt von seinem Freund Wladimir Putin günstige Energie; er ärgert die EU, die als geeintes Bündnis gegen Russland auftreten will, und er signalisiert seinen Landsleuten, dass sich sein Kuschelkurs mit dem Kreml-Herrn bezahlt macht. Der ungarische Egoismus lohnt sich – vorerst.

Der Alleingang hat aber auch seinen Preis. Die rechtspopulistische Achse Budapest-Warschau, die alle Bemühungen Brüssels um gemeinsame Standards für Rechtsstaatlichkeit und bürgerliche Freiheiten jahrelang erfolgreich sabotieren konnte, ist seit Beginn des Ukrainekriegs Geschichte. Orbán muss warten, ob er nach den italienischen Neuwahlen demnächst in Rom neue Verbündete für seine Spielchen findet.

Mit den verfassungsmäßigen Mechanismen der EU ist Ungarns opportunistischer Energiepolitik nicht beizukommen. Die EU-Verträge sehen da keine Sanktionen oder Disziplinierungsmaßnahmen vor. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und übrigens auch Polen läuft auf einer Nebenfront: die Diskriminierung von Homosexuellen und LGBTQ-Menschen im Allgemeinen. Eine Verurteilung erscheint aus heutiger Sicht unausweichlich. Aber das wird weder Ungarns Sonderweg gegenüber Russland beenden, noch die Streitlust des Magyarenherrschers bremsen.

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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