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VierschanzentourneeLieber wegschauen

Zur Halbzeit der Vierschanzentournee herrscht im deutschen Team gereizte Stimmung. Topfavorit Pius Paschke springt den Österreichern weit hinterher.

Pius Paschke profitiert in Garmisch-Partenkirchen auch nicht von der Unterstützung der vielen Fans Foto: Matthias Schrader/ap

Es nervt einfach nur noch – vor allem Bundestrainer Stefan Horn­gacher. „Ich habe nicht hingeguckt“, antwortete der Chefcoach frustriert auf die Frage der ARD-Reporterin, was denn der österreichische Tournee-Spitzenreiter Daniel Tschofenig momentan besonders gut mache. Er könne „gar nix“ dazu sagen: „Ich bin nicht Trainer der Österreicher.“ Der Stachel bei Halbzeit des größten Highlights der Skispringer sitzt tief, denn auch in diesem Winter werden die deutschen Skispringer mit ziemlicher Sicherheit nicht den ersten Gesamtsieg seit 23 Jahren bei der Vierschanzentournee feiern.

Angetreten mit dem Topfavoriten Pius Paschke schauen die deutschen Skispringer staunend zu, wie sich ein österreichisches Trio um den Gesamtsieg bei der 73. Auflage des Skisprung-Grand-Slams streitet. In Oberstdorf gab es einen Dreifachsieg, beim Neujahrsspringen schafften es mit Sieger Tschofenig und dem Dritten Michael Hayboeck zwei Österreicher aufs Podest. Und jetzt geht es zum dritten Tourneespringen am Samstag (14 Uhr/live in ARD und Eurosport) auch noch nach Österreich in die ausverkaufte Arena am Bergisel, dem „Schicksalsberg“ der Deutschen.

„Der Bergisel ist keine Schicksalsschanze, das ist Aberglaube“, sagt Horngacher trotzig: „Wir freuen uns auf das Springen – vielleicht holen wir ja einen Podestplatz oder Sieg.“ Die Wahrscheinlichkeit ist freilich nicht so groß: Den letzten deutschen Sieg feierte Richard Freitag vor einem Jahrzehnt, seit der Jahrtausendwende gab es hier nur fünf Podestplätze.

Pius Paschke liegt aktuell als Sechster bereits 25,3 Punkte (umgerechnet 15 Meter) hinter Halbzeit-Tournee-Spitzenreiter Daniel Tschofenig. Beim achtplatzierten Karl Geiger sind es sogar 22 Meter. Der Kampf um den Goldenen Adler wird zwischen den Österreichern Tschofenig, Jan Hörl (7,9 Punkte zurück) und Stefan Kraft (8,7 Punkte zurück) ausgefochten. „Ich habe schon jetzt im Jahr 2025 mehr erreicht, als ich mir erträumt habe. Ich mache mir keinen Druck und bleibe positiv“, sagt Youngster Tschofenig (22). Er hat Pius Paschke auch das gelbe Trikot des Gesamtweltcup-Spitzenreiters abgenommen.

Geheimnisvolle Sprunganzüge

Routinier Stefan Kraft (31), der vor zehn Jahren den bis dato letzten österreichischen Tourneesieg feierte, freut sich „auf meine beiden Lieblingsschanzen Innsbruck und Bischofshofen“. Und der Dritte im Bunde, Jan Hörl (26), ist sich sicher, „dass einer von uns durchkommt. Wir gewinnen die Tournee als Team, weil wir etwas haben, was andere Teams nicht haben.“ Damit meint er nicht einen Vorteil bei den geheimnisumwobenen Sprunganzügen der Österreicher, wie beispielsweise die ebenfalls geschlagenen Norweger vermuten. Sondern den Zusammenhalt im Team („Wir sind nicht nur Kollegen, sondern Freunde“), bei dem einer den anderen zwar pusht, aber die interne Konkurrenz nicht lähmt.

Bei den deutschen Skispringern laufen dagegen längst die Analysen, warum es bei der Tournee wieder einmal nichts mit dem Gesamtsieg wird. Pius Paschke, der zuvor fünf von zehn Weltcups gewonnen hatte, spricht von „zu viel Körperspannung“ und dass er seinen „Puls regulieren muss“. Er sei nicht mehr im Flow. „Diese Phase ist leider nicht mehr Realität. Da fehlt ein bissl die Lockerkeit.“ Die Vierschanzentournee ist also offenbar wieder mal ein Kopfproblem für die Deutschen.

Das zeigt sich auch bei Karl Geiger und Andreas Wellinger. Seitdem nach dem Auftaktspringen in Oberstdorf alle Chancen auf den Gesamtsieg dahin sind, zeigen die beiden eine ansteigende Tendenz. „Der Knoten ist nicht aufgegangen, aber er hat sich gelockert. Wenn ich mein Zeug beieinander habe, kann ich auch gewinnen“, sagt Geiger. Wellinger, dem bisher die „Leichtigkeit“ gefehlt hat, fühlt sich „von Schritt zu Schritt besser: Wenn alles passt, dürfen wir zur Siegerehrung.“

Schon jetzt geht der Fokus der deutschen Skispringer auf den zweiten Saisonhöhepunkt, die Ende Februar beginnende Nordische Ski-WM in Trondheim. Es werden die letzten Weltmeisterschaften für Stefan Horngacher als Chefcoach sein, denn er will nach Olympia 2026 zurücktreten. Auch die Vierschanzentournee wird er deshalb höchstens noch einmal auf diesem Posten erleben. Es wir wohl die letzte Chance für Stefan Horngacher, um diesen nervenden Fluch endlich zu besiegen.

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2 Kommentare

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  • Anders als himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt scheint schwer zu sein in der Sportberichterstattung...

    Dass Paschke diese Saison komplett über sich hinausgewachsen ist - eine Phase der leicht dahinschwebenden Überlegenheit, wie sie auch bei seinerzeitigen Spät-Durchstarter Hannawald keine Dauereinrichtung war - und von Anfang an nur EIN konstanter deutscher Siegspringer war, der VIER topfitte Österreicher auf Distanz halten musste, KÖNNTE man schon mal erwähnen. Auch sind offenbar die DSV-Springer nach den Österreichern (und wohl auch den Schweizern) am besten mit den aktuellen Regeländerungen zurecht- und in die Saison hineingekommen, wie das unstete Dahindümpeln einstiger Dominatoren aus Skisprunggroßmächten wie Norwegen, Japan oder Polen zeigt. Es gibt also ganz sicher keinen echten Grund für betrübte Gesichter.

    Und Frühform ist halt kein dauerhafter Sieggarant. Für etliche Springer fängt auch die Wettkampfsaison erst in Oberstdorf so richtig an, und wer nach den ersten Stationen in Skandinavien meinte, dass er sich dauerhaft auf so brüderlich zwischen rot-weiß-rot und schwarz-rot-gold aufgeteilte Top Ten verlassen könne, war ohnehin auf dem Holzweg.

  • Es fehlt der Anreiz, siehe Geschenkkorb für die "Damen" (so heißt das glaube ich im Sport), Shampoo, Waschmaschine, Kasten Bier, Men's Health-Abo