Verzögerung von Selbstbestimmungsgesetz: Zeit für Diskriminierung
Das Selbstbestimmungsgesetz sollte trans Personen vor Entwürdigungen schützen. Doch es wird verzögert – und ist anfällig für Transfeindlichkeit.
Welche Frau „zu männlich“ aussieht, egal ob cis oder trans, kann von der Betreiberin aus der Frauensauna geschmissen werden – egal ob die Person wirklich ein Mann ist. Ohne Möglichkeit, nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu klagen. Zumindest nach den Vorstellungen von Justizminister Marco Buschmann (FDP).
Der sagte in einem Interview mit Zeit Online, dass sich die Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes verzögere, weil er diesen Aspekt „sauber regeln“ will: „Die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an. Die Betreiber dürfen dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein.“
Eigentlich war die Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes für Ende 2022 geplant, jetzt könnte es Sommer 2023 werden – oder noch später. Das lässt befürchten: Mit der Zeit wird es immer offener für Diskriminierung. Kritik an Buschmanns Äußerung kam prompt, auch aus den Reihen der Bundesregierung. Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), twitterte: „Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, dass ein Selbstbestimmungsgesetz Diskriminierung *abbaut* und nicht neue *aufbaut*. Das ist doch wohl hoffentlich klar. Darauf werde ich als Queer-Beauftragter achten.“
Das Selbstbestimmungsgesetz soll trans Personen eigentlich einen sicheren gesetzlichen Rahmen geben, um ihren Geschlechtseintrag barrierefrei zu ändern. Momentan müssen sie psychologische Gutachten einholen und sind einem teuren und aufwändigen Verfahren ausgesetzt. Das ist entwürdigend. Länder wie Argentinien, Malta und Island zeigen mit ihren Selbstbestimmungsgesetzen bereits, wie es unkomplizierter geht.
Lautstärke und Zeit
Doch je länger die Umsetzung aufgeschoben wird, desto lauter werden diejenigen, die Vorurteile schüren – und egal, wie ausgedacht diese Vorurteile sind, sie werden offenbar als berechtigte Kritik behandelt.
Zur Erinnerung: Eigentlich sollte das Selbstbestimmungsgesetz schon beschlossen sein. Zu Ende des vergangenen Jahres wollte die Bundesregierung das diskriminierende Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980 ablösen. Nachdem Lehmann ankündigte, dass es doch erst im Februar beschlossen werden wird, gab die federführende Familienministerin Lisa Paus (Grüne) bekannt, dass es Sommer werden könnte. Nun könnte es also noch später werden. Wer hat mit Buschmann gesprochen, dass er nun als ein Justizminister auftritt, der das Gleichbehandlungsgesetz ignorieren möchte? Waren es Männerrechtler in der FDP?
Dabei sah es im vergangenen Jahr nicht schlecht aus: Paus hatte im Sommer mit Buschmann die Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt, seither gibt es auf der Homepage der Bundesregierung auch ein FAQ dazu, das gängige Argumente wie die Auswirkungen des Selbstbestimmungsgesetzes auf Frauenschutzräume aufgreift. Eigentlich müsste es Buschmann also besser wissen.
Für öffentliche Räume wie Toiletten und Umkleiden interessieren sich Terfs (transexkludierende Feminist:innen) besonders. Gabriel_Nox Koenig vom Bundesverband Trans* äußert sich dazu gegenüber der taz: „Die gelebte Realität von trans* Personen zeigt: An Orten, an denen trans* Personen willkommen sind, sind sie das mit oder ohne Vornamens- und Personenstandsänderung. Das betrifft auch trans*offene Frauensaunen. Wer welche Orte aufsucht, ändert sich durch das Gesetz nicht.“
Die Wahrscheinlichkeit, dass die von Buschmann geschilderte „Intimsphäre“ der Sauna-Besucher:innen nicht respektiert wird, ist sehr gering.
Aber eine Prüfung, wie Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt werden können, schindet Zeit. Zeit, in der selbsterklärte Frauenrechtler_innen, Konservative wie Rechte ihre transfeindlichen Äußerungen darüber, wie gefährlich trans Personen seien, noch sehr häufig wiederholen können. Das ist Zeit, in der reale Personen in einer realen Welt auf ein Selbstbestimmungsgesetz warten, das ihnen einen würdigen Umgang mit ihrem Geschlecht ermöglicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben