Verwirrende Coronazahlen in Berlin: Ein Krankenhaus pro Woche?
Eine entscheidende Kennzahl der Coronapandemie liegt merkwürdig hoch. Warum das so ist, lässt sich nur schwer ermitteln. Ein Wochenkommentar.
M an kann und muss sicher nicht alles verstehen, auch nicht als Journalist. Aber manchmal gibt es Ungereimtheiten, die sich hartnäckig dagegen wehren, ignoriert zu werden. In diesem Fall ist es eigentlich nur eine mysteriöse Zahl, die den Autor umtreibt: die sogenannte Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz von Berlin.
Es geht dabei um die Anzahl der Menschen, die innerhalb einer Woche mit Covid-19 in Berliner Krankenhäusern aufgenommen werden, pro 100.000 EinwohnerInnen, um genau zu sein. Wenn die Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz an einem Tag mit 3,88 angegeben wird, bedeutet das bei rund 3,7 Millionen BerlinerInnen, dass in den vergangenen sieben Tagen ungefähr 140 Covid-Erkrankte ins Krankenhaus mussten.
Die 3,88 sind nicht ausgedacht, es ist die Zahl, die das Robert Koch-Institut (RKI) für Freitag, den 28. Januar nennt. Deutschlandweit betrachtet ist es eine eher niedrige Zahl. Auftritt Berliner Senatskanzlei: In deren täglicher Corona-Fallstatistik wird dieselbe Inzidenz mit 19,1 angegeben. Was bedeuten würde, dass in den letzten sieben Tagen nicht weniger als 700 Menschen mit Covid in Kliniken aufgenommen wurden. Zum Vergleich: Das Vivantes Klinikum Am Urban hat 620 Betten.
Was denn jetzt – 140 oder 700? Das ist keineswegs unerheblich bei diesem Pandemie-Indikator, auf der Senats-Website springt das entsprechende Ampel-Licht auch schon bei einer Inzidenz von 8,0 auf Rot. Leicht nachvollziehbar, denn bei tendenziell milderen, aber massenhaften Erkrankungen mit der Omikron-Variante ist die Belastung des Gesundheitswesens der entscheidende Parameter.
Als Journalist fragt man in einem solchen Fall natürlich nach – und zwar recht hoffnungsvoll, seitdem sich die zuständige Senatsgesundheitsverwaltung unter Ulrike Gote (Grüne) neu aufgestellt hat. Die Informationspolitik ihrer Vorgängerin Dilek Kalayci war, freundlich gesagt, unterirdisch gewesen.
Ernüchternde Recherche
Leider verläuft die Recherche schon wieder ernüchternd: Nachdem unter Kalayci Anrufe bei der Pressestelle an einem Anrufbeantworter ohne Aufzeichnungsfunktion abprallten, steht unter Gote einfach gar keine Durchwahl mehr auf der Homepage – ein Alleinstellungsmerkmal unter den Senats-Pressestellen. Eine Anfrage per E-Mail wird tagelang liegen gelassen; auf mehrmalige Nachfrage kommt schließlich eine eher kryptische Antwort.
Man verwende, heißt es darin, bei der Erhebung eine neue Berechnungsmethode, die die Hospitalisierungsinzidenz „sehr viel akkurater schätzt“. Sie werde nun im Gegensatz zu den Zahlen des RKI, die von den Gesundheitsämtern stammen, „auf Basis der IVENA-Daten berechnet“, wobei IVENA „Interdisziplinärer Versorgungsnachweis“ bedeutet – eine Art überregionales Informationstool für Krankenhäuser.
Unterschiedliche Erhebungsweisen können für Abweichungen sorgen, das ist klar. Warum der Unterschied so eklatant ist, erklärt das nicht – und was aus der knallroten Hospitalisierungsampel eigentlich folgt, dazu äußert sich die Senatsverwaltung auch nicht: Die Frage, ab wann die Inzidenz bei der Bettenbelegung bedenklich wird, lässt sie einfach unbeantwortet. Im Normalfall würde man jetzt einfach noch mal schnell anrufen, aber was ist in der Schnittmenge von Corona und Senat schon normal?
Und so nimmt auch die etwas hilflose Reaktion der Regierenden Bürgermeisterin nicht Wunder, die auf der Senats-Pressekonferenz am Dienstag gefragt wurde, ob das „Volllaufen der Krankenhäuser“ in Kombination mit zunehmenden Ausfällen beim ärztlichen und pflegerischen Personal nicht problematisch sei. Sie finde es „sehr zu kurz gesprungen, hier einfach von Volllaufen der Normalstationen zu sprechen“, so Franziska Giffey (SPD). Man habe ihr berichtet, dass jetzt eben viele Patienten wegen anderer Probleme ins Krankenhaus kämen, aber zusätzlich noch eine Coronainfektion aufwiesen, „was teilweise erst im Krankenhaus festgestellt wird“.
Mit und ohne und so weiter
Eine „genaue Zahl darüber, wie viele jetzt mit und ohne und so weiter“ konnte Giffey nicht nennen. Und auf die taz-Frage, warum sich eigentlich nicht klar abbilden lässt, wie viele Menschen tatsächlich mit Atembeschwerden oder anderen Covid-Folgen ins Krankenhaus aufgenommen werden müssen, gab Senatorin Gote eine knappe Antwort: gar keine nämlich.
Corona wütet schon seit zwei Jahren, aber gut: Jede neue Verwaltung muss sich erst mal ins Geschäft einfinden. Trotzdem wäre es wirklich sehr, sehr wünschenswert, dass im Umgang mit der Pandemie endlich einmal Klartext geredet würde. So schwer kann das doch nicht sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was