Verurteilter Waffenlieferant des NSU: Erste Haftstrafe verbüßt
Carsten S. wurde als Waffenlieferant des NSU-Trios verurteilt, packte als Einziger voll aus. Nun hat er seine Haftstrafe abgesessen.
![Der als Terrorhelfer angeklagte Carsten S. im NSU-Prozess in München Der als Terrorhelfer angeklagte Carsten S. im NSU-Prozess in München](https://taz.de/picture/4369314/14/9499002-1.jpeg)
Im Frühjahr 2019 hatte Carsten S. seine Haft angetreten. Bereits am 12. Juni dieses Jahres sei er nun entlassen worden, bestätigte ein Sprecher des Oberlandesgerichts München der taz. Er habe die Hälfte seiner Strafe abgesessen, der Rest sei zur Bewährung ausgesetzt. Bei Jugendstrafen ist dies so möglich. Auch der Anwalt von Carsten S., Johannes Pausch, bestätigte die Freilassung. „Er bereut seine Tat bis heute sehr, sie wird ihn nie loslassen. Aber er ist auch zuversichtlich, jetzt ein neues Leben beginnen zu können.“
Wo Carsten S. in Haft saß, bleibt bis heute geheim, da sich der 40-Jährige wegen seiner Aussagen in einem Zeugenschutzprogramm befindet. Selbst seine Anwälte wissen es laut eigener Auskunft nicht. Ebenso wenig, wo S. nun – unter neuem Namen – lebt. Er organisiere derzeit seinen Alltag neu und sei auf Jobsuche, sagte Pausch.
Carsten S. gehörte in den Neunzigerjahren zur rechtsextremen Szene in Jena, ebenso wie die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Als diese untertauchten, wurde er von Unterstützern eingesetzt, den Telefonkontakt zu halten. Im Jahr 2000 überbrachte der damals 19-Jährige dem Trio dann ihre spätere Mordwaffe, die Ceska-Pistole, samt Schalldämpfer und Munition. Mit dieser erschossen Böhnhardt und Mundlos neun Menschen mit Migrationshintergrund. Das erste Opfer war Enver Şimşek in Nürnberg, vor genau 20 Jahren.
Carsten S. brach kurz nach der Waffenabgabe und einem Vorbeugegewahrsam in anderer Sache mit der rechtsextremen Szene. Er zog nach Düsseldorf, outete sich als schwul und arbeitete bei der Aidshilfe. Als 2011 der NSU aufflog – Böhnhardt und Mundlos hatten sich nach einem gescheiterten Bankraub erschossen, Zschäpe hatte den Unterschlupf in Zwickau in die Luft gesprengt –, holte S. die Vergangenheit ein: Er wurde verhaftet und saß zunächst vier Monate in Haft.
Hinterbliebene verziehen ihm
Anders als Zschäpe und die drei weiteren mitangeklagten Helfer sagte S. im Prozess voll und unter Tränen aus, belastete sich und den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben schwer. Die Opfer des NSU bat er um Entschuldigung. Einige nahmen diese an, baten das Gericht um Milde für Carsten S. Es kam sogar zu einem Treffen von Hinterbliebenen mit ihm.
Die Verteidiger von Carsten S. hatten in dem Prozess einen Freispruch gefordert: Ihr Mandant habe die Morde nie für möglich gehalten. Das Gericht sah es anders und verurteilte ihn zu Beihilfe zum Mord. Weil S. zur Tatzeit Heranwachsender war, wurde er aber noch zu einer Jugendstrafe verurteilt. Anders als Zschäpe, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, und die anderen Mitangeklagten legte er keine Revision ein.
Bereits im April gab es eine Anhörung von Carsten S. vor dem Oberlandesgericht München, unter Leitung von Richter Manfred Götzl, der auch das NSU-Urteil sprach. Dem Verurteilten wurde danach eine günstige Sozialprognose attestiert und die Haftentlassung auf Bewährung zugestanden.
Mit den Revisionen von Zschäpe und den Mitangeklagten Wohlleben, Eminger und Holger G. beschäftigt sich nun der Bundesgerichtshof. Im Fall von Eminger legte auch die Bundesanwaltschaft Revision ein. Eine Entscheidung darüber wird erst im nächsten Jahr erwartet. Zschäpe befindet sich damit weiter in U-Haft, seit neun Jahren. Die anderen Mitangeklagten, die Haftstrafen bis zu zehn Jahren erhielten, sind vorerst weiter auf freiem Fuß.
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