Vertragsarbeiter aus Mosambik: „Moderne Sklaverei“ in der DDR
Ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik fühlen sich um ihren Lohn betrogen. Der Afrikabeauftragte Nooke sieht keine offenen Forderungen.
Antonio Daniel mag Mitte 50 sein und ist zum zweiten Mal in seinem Leben in Deutschland. „Als ich das erste Mal hierher kam, vor mehr als 30 Jahren, da hatte ich noch viel mehr Haare auf meinem Kopf“, sagt der Mosambikaner, der heute eine Glatze trägt. „Ich habe mich auf das Leben in der DDR gefreut und dachte, meine Haare würden immer schöner werden.“
Daniel kam damals voller Optimismus als einer von 21.000 mosambikanischen Vertragsarbeitern in die DDR. Die Realität holte ihn ein, als er in der Nähe von Cottbus Kohlen auf ein Förderband schippen musste. Und die Realität holte ihn auch nach dem Mauerfall und seiner Rückkehr nach Mosambik ein: Der Bürgerkrieg hatte sein Land im Griff. Statt der versprochenen Karriere nach einem DDR-Aufenthalt wartete zuerst das Militär auf ihn.
Die „Madgermanes“ (etwa: „die verrückten Deutschen“), wie die DDR-Rückkehrer in Mosambik genannt werden, erlebten soziale Ausgrenzung. Weil sie verhältnismäßig gut ausgebildet sind, werden sie von vielen als lästige Konkurrenten um Arbeitsplätze angesehen. Andere werfen ihnen vor, sie hätten es sich in Europa gutgehen lassen, während in Mosambik der Bürgerkrieg tobte.
Die Folgen der Ächtung: Ihre in der DDR erworbenen Abschlüsse wurden nicht anerkannt. Bis heute nicht. „Wenn wir krank werden, haben wir kein Geld für das Krankenhaus“, sagt Daniel. Wenn bekannt sei, dass jemand ein „Madgermanes“ sei, könne er leicht den Job verlieren. Darum sind die ehemaligen Vertragsarbeiter bis heute auf bäuerliche und handwerkliche prekäre Jobs angewiesen.
Von ihren Familien verstoßen
In der Folge der Ausgrenzung wurden viele Madgermanes von ihren Familien verstoßen, sie konnten oft keine eigenen Familien gründen. „Diejenigen von uns, die schon gestorben sind, konnten sich nicht einmal einen Sarg und eine würdige Bestattung leisten“, sagt Antonio Daniel.
Eine Tagung in Magdeburg zur Geschichte der mosambikanischen Vertragsarbeiter ist der Anlass für die zweite Reise von Antonio Daniel nach Deutschland gewesen. Unter dem Titel „Respekt und Anerkennung“ hatten verschiedene kirchliche Träger, die Landesregierung Sachsen-Anhalt und Einzelpersonen eingeladen. Anlass war der 40. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages über die Entsendung von Vertragsarbeitern zwischen der DDR und Mosambik im Februar 1979. Die Veranstalter hatten acht ehemalige Vertragsarbeiter nach Magdeburg geholt, die längst wieder in Mosambik leben. Antonio Daniel ist einer von ihnen.
Die acht forderten die Auszahlung der ihnen zu DDR-Zeiten vorenthaltenen Lohnanteile. 60 Prozent des 350 Mark überschreitenden Einkommens sowie die Rentenversicherungsbeiträge wurden damals auf ein Regierungskonto gezahlt.
„Das Geld diente der Tilgung von entwicklungspolitisch fragwürdigen DDR-Krediten gegenüber Mosambik“, sagt Hans-Joachim Döring vom Ökumenezentrum in Magdeburg. „Davon wussten die Arbeiter und Arbeiterinnen aber nichts.“ Im Gegenteil: Ihnen wurde gesagt, sie erhielten das Geld nach ihrer Rückkehr nach Mosambik zurück.
2.000 blieben nach dem Mauerfall
21.000 mosambikanische Vertragsarbeiter kamen zwischen 1979 und 1989 in die DDR. Nur 2.000 von ihnen blieben nach dem Mauerfall hier. Sie sollten für wirtschaftliche Projekte der DDR in Mosambik ausgebildet werden und personelle Engpässe in der DDR-Produktion stopfen.
Adelino Massuvira João, heute Integrationsbeauftragter der evangelischen Kirche in Suhl und einst selbst Vertragsarbeiter, erinnert sich: „In Vorbereitungskursen in Mosambik wurden wir mit militärischem Drill zum Gehorchen erzogen. Das nahmen wir aber alles auf uns, denn es hieß, wir seien die Auserwählten, um nach der Rückkehr aus der DDR etwas zur Entwicklung unseres Landes zu leisten.“
Dass er und seine Mitstreiter „als Zahlungsmittel benutzt wurden“ für den Schuldenabbau Mosambiks bei der DDR, wie es Massuviro João formuliert, hatte niemand von ihnen gewusst. Der Vertrag, der Grundlage war für ihre Arbeit, war geheime Verschlusssache. Der Mann ist davon überzeugt, dass der Vertrag einer Prüfung durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO nicht standhalten wird.
Als Mosambik ihn mit der DDR geschlossen hatte, hatte es sich gerade aus der Kolonialherrschaft befreit. Mosambik hatte wenige Möglichkeiten, seine Schulden bei der DDR abzuzahlen. Verzichten wollte die DDR darauf aber nicht.
Anwalt erschossen
Eine Fotoausstellung im Magdeburger Landtag zeigt die Magdermanos in armseligen Hütten ohne Möbel. Jeden Mittwoch ziehen die Leute mit DDR-Fahnen und deutschen Fahnen durch die Straßen von Maputo. Sie fordern das Geld, um das sie sich von der DDR, Mosambik und schließlich der Bundesrepublik betrogen fühlen. Lazaro Magalhaes, der Sprecher der Gruppe, spricht in Magdeburg von „moderner Sklaverei“ und einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Den Vertrag, der ihn verpflichtete, einen Teil seines Lohnes abzutreten, hält er für eine Verletzung der Menschenwürde. Magalhaes spricht von einem Versuch der DDR-Rückkehrer, die Gelder gegenüber der Regierung in Mosambik einzuklagen. Doch bevor es dazu kam, sei ihr Anwalt erschossen worden.
Der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke (CDU), sieht allerdings aus Sicht der Bundesregierung keine offenen Forderungen. Die DDR hätte ihre Pflichten aus dem Vertrag erfüllt. Die Rückzahlung der Transferleistungen an diejenigen, die das Geld erarbeitet hätten, läge somit in der Verantwortung von Mosambik. „Es ist nicht die Aufgabe des deutschen Steuerzahlers, hier die Härten abzufangen.“ Auch entwicklungspolitischen Projekten für die Madgermanes erteilt Nooke eine Absage. „Es birgt immer Sprengstoff, eine einzelne soziale Gruppe als Zielgruppe der Entwicklungszusammenarbeit herauszunehmen.“
Das wollte Markus Meckel von der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ so nicht stehen lassen. „Das ist die heutige Position der Bundesregierung“, sagt der letzte Außenminister der DDR, der zuvor als evangelischer Pfarrer mosambikanische Vertragsarbeiter im Gottesdienst kennengelernt hatte. „Die Debatte um die Entschädigung der NS-Opfer hat gezeigt, dass es immer eines Regierungswechsels bedurfte, um da einen Schritt weiterzu kommen. Die Geschichte von Opfern ist immer die Geschichte von lange Vergessenen.“
3.000 DM Entschädigung für die Ausreise
Antonio Daniel, der Mann mit Glatze, der einst bei Cottbus Kohlen geschippt hatte, erlebt auf der Tagung eine Achterbahnfahrt seiner Gefühle. Die Einladung dazu hatte ihm viel Hoffnung gemacht. Die Rede von Nooke, aber auch die Tatsache, dass eine geladene Vertreterin des mosambikanischen Arbeitsministeriums gar nicht erst gekommen war, schien sie wieder zu begraben. „Wir verlangen unser Geld, bevor wir alle sterben“, sagt er auf der Bühne in Magdeburg.
Ehemaliger DDR-Offizieller
Und ein Kollege ergänzt, dass es noch weitere offene Forderungen gab: Die letzte DDR-Regierung hatte verhandelt, dass jeder mosambikanische Vertragsarbeiter, der die DDR wieder verlässt, 3.000 DM Entschädigung erhält. Zahlen sollte das Geld der Betrieb. Doch nicht jeder Betrieb hat gezahlt. Zwei Vertreter des ehemaligen Staatssekretariats für Arbeit und Löhne der DDR, das die Einsätze der Vertragsarbeiter koordiniert und die Lohnkürzungen vorgenommen hatte, bewerten die Vorgänge heute unterschiedlich.
Jürgen Schröder teilt nicht die Einschätzung, es hätte sich um „Sklavenhandel“ gehandelt. Er regt an, die „Magdermanes“ in deutschen Entwicklungshilfeprojekten zu beschäftigen.
Wenig bekannten Kapitels der DDR-Geschichte
Sein ehemaliger Kollege Ralf Straßburg hingegen – er macht sich seit Jahren um die Aufarbeitung dieses wenig bekannten Kapitels der DDR-Geschichte verdient – sagt: „Wenn die Betroffenen hier von moderner Sklaverei sprechen, dann waren wir wohl dafür die verantwortlichen Sklavenhändler. Mich schmerzt das sehr, denn die Betroffenen leben in prekären Verhältnissen.“
Er selbst sei jedoch bis 1990 immer davon ausgegangen, dass die Vertragsarbeiter nach ihrer Rückkehr nach Mosambik die ausstehenden Lohnteile von der mosambikanischen Regierung ausgezahlt bekämen. „Es gab keine Hinweise für das Gegenteil.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist