piwik no script img

Versteckspiel in BelarusHeimlich ins Amt

Ein Taxifahrer macht seinem Unmut über Lukaschenko Luft. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 14.

Ein unrechtmäßiger Präsident und eine heimliche Amtseinführung in Minsk am 23. September Foto: Andrei Stasevich/Pool/ap

A m Mittwoch, 23. September, fand in Belarus die heimliche Amtseinführung von Alexander Lukaschenko statt. Das löste im ganzen Land eine Welle von Protesten aus, die brutal aufgelöst wurden. Andere Staaten, vor allem europäische, haben Lukaschenko nicht als rechtmäßigen Präsidenten von Belarus anerkannt – unter anderem die Slowakei, die drei baltischen Staaten, Tschechien, Dänemark, Polen, die USA, die Ukraine, Kanada und die Niederlande.

Am Morgen danach bestelle ich ein Taxi, um zu einem Arbeitstreffen zu fahren. Kaum sitze ich im Auto, beginnt der Taxifahrer zu scherzen. „Ich hab auf Sie da drüben vor dem 4. Aufgang gewartet“, sagt der mittelalte Mann und zeigt nach vorne. „Und Sie haben sich unbemerkt von hinten angeschlichen, ganz leise, das war so leise wie die gestrige Amtseinführung.“ Er lacht.

Записки из Беларуси

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

„Ja“, erwidere ich, „mir hat es gestern fast das Herz zerrissen. Schlimme Neuigkeit.“ „Tja, da fällt einem außer Schimpfworten nichts mehr ein“, sagt der Mann. „Ich fahre schon lange Taxi, befördere Menschen und sehe, wie viele Soldaten, in Sportklamotten verkleidet, gerade unterwegs sind und die Hauptstadt nach Gefahren für den jetzigen Amtinhaber absuchen. Auf den Dächern sind Scharfschützen, in der Stadt und auch in den Vororten.

Nach der Wahl ist unser Präsident noch mit einem Flugzeug geflogen. Jetzt muss er, wenn er durch die Stadt fahren will, erstmal die Straßen von Menschen und Autos säubern lassen. Wie der sich wohl in Zukunft fortbewegen will? Wenn 80,1 Prozent für ihn gestimmt haben, warum war das am Mittwoch eine heimliche Veranstaltung? Wo sind diese Leute, die für ihn sind?“

Bild: privat
Olga Deksnis

35 Jahre alt, lebt in Minsk und arbeitet bei dem Portal AgroTimes.by. Sie schreibt über besonders verwundbare Gruppen in der Gesellschaft: Menschen mit Behinderung, LGBT, Geflüchtete etc.

Am Abend gingen die Menschen in Minsk wieder zu einer der ungeplanten Protestaktionen. OMON-Leute (Sondereinheit der Polizei, die vor allem gegen De­mons­tran­t*in­nen eingesetzt wird, Anm. der Redaktion) schossen in die Luft und verjagten die Protestierenden mit Farbwasserwerfern. Auf die Autos, die als Zeichen des Protestes hupten, gingen sie mit Schlagstöcken los und verfolgten die, die einfach weiter fuhren.

„Haben Sie das Video gesehen, wie gestern ein Taxifahrer einen Jungen gerettet hat, der vor der OMON weggerannt ist?“, frage ich. „Das war eine Verfolgungsjagd, wie in dem Film Taxi.“ „Ja, hab ich gesehen. Das hat der Taxifahrer genau richtig gemacht. Ich bewundere ihn.

Unser Präsident soll doch ein Garant der Verfassung, ein Garant des Gesetzes sein. Wenn er die einfach bricht, was soll der einfache Bürger machen? Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als unser Volk selbst zu retten und uns gegenseitig zu verteidigen und zu helfen. Wir haben uns bis jetzt ja irgendwie zusammen gerissen, aber es ist schon schrecklich sich vorzustellen, was jetzt kommen wird.“

Jetzt hat das Außenministerium bekanntgegeben: die Versuche, einzelner westlicher Staaten, die Legitimität des Präsidenten in Frage zu stellen, spiegelten nicht die Meinung der Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft wider. Der Generalstaatsanwalt Andrej Schwed hat versprochen: keiner der Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen und Teil­neh­me­r*in­nen der ungenehmigten Proteste könne sich seiner Verantwortung entziehen. Auch kein einziger Blogger oder andere Bürger, die sich im Internet zu Wort meldeten.

Man bemüht sich bereits sehr aktiv, diese Personen ausfindig zu machen. Und das bedeutet, dass die belarussischen Machthaber jetzt wirklich Jagd auf die machen, die Lukaschenko nicht unterstützen. Und sogar mir, wo ich diese Kolumne schreibe, ist klar, dass sie auch mich aufspüren werden. Heute oder morgen.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!