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Verschiebung der BundestagswahlDas Ampel-Aus macht Volksinitiativen das Leben schwer

André Zuschlag
Kommentar von André Zuschlag

Die vorgezogene Bundestagswahl bringt zwei Hamburger Volksinitiativen in eine vertrackte Situation. Nun wird es mit einem Erfolg ziemlich schwierig.

Folgen der vorgezogenen Bundestagswahl: Die Chancen der Hamburger Volksinitiativen sind gesunken Foto: Christian Charisius/dpa

E igentlich hätten die Ak­ti­vis­t:in­nen zweier Hamburger Volksinitiativen bis in den Sommer nächsten Jahres hinein eine recht entspannte Zeit gehabt. Hier und da mal etwas Werbung für die eigene Sache machen, ab und an manchen Kri­ti­ke­r:in­nen des Anliegens entgegentreten, aber ansonsten viel Ruhe. Doch dann kam Scholz.

Denn das Ende der Ampel-Regierung und die Ankündigung der vorgezogenen Bundestagswahl haben unmittelbare Auswirkungen auf den angestrebten „Hamburger Zukunftsentscheid“ und die Volksinitiative „Hamburg testet Grundeinkommen“. Beide stehen im Spätsommer 2025 ohne eine zeitgleich stattfindende Wahl da, die wohl sichergestellt hätte, dass sich genügend Leute an der Abstimmung beteiligen. Das bringt beide Aktivist:innen-Gruppen in eine vertrackte Situation.

Erst am Dienstag gab der Hamburger Senat bekannt, dass „Hamburg testet Grundeinkommen“ den letzten Schritt vor einer Abstimmung geschafft hat: Binnen drei Wochen haben die Ak­ti­vis­t:in­nen mehr als die 66.000 für ein Volksbegehren nötigen Unterschriften gesammelt. Die Initiative will in einem dreijährigen Modellversuch ein Grundeinkommen für 2.000 Ham­bur­ge­r:in­nen erproben lassen.

Und auch die Ak­ti­vis­t:in­nen um Fridays for Future haben, auch wenn es der Senat noch nicht offiziell bekannt gegeben hat, diesen Schritt geschafft – sogar 106.000 Unterschriften haben sie in den ersten drei Oktoberwochen gesammelt. Mit ihrem Zukunftsentscheid wollen sie das bestehende Hamburger Klimaschutzgesetz verschärfen.

Es braucht maximale Mobilisierung

Beide Vorhaben sollten, so hatten das die Ak­ti­vis­t:in­nen anvisiert, im kommenden September zur Abstimmung stehen – parallel zur regulären Bundestagswahl. Auch das Hamburger Volksabstimmungsgesetz sieht vor, dass Volksentscheide parallel zur Bürgerschafts- oder Bundestagswahl stattfinden sollen.

Nur wird es nach gegenwärtigem Stand keine Bundestagswahl im Spätsommer 2025 geben. Und dass die angestrebten Volksentscheide wie die Bundestagswahl auch auf den kommenden März vorgezogen werden, geht rechtlich nicht, da Fristen beachtet werden müssen, bestätigt Hamburgs Landeswahlleiter Oliver Rudolf der taz.

Statt bis zur übernächsten Bürgerschafts- oder Bundestagswahl zu warten, werden beide Initiativen wohl dennoch für den Spätsommer Volksentscheide beantragen; die Möglichkeit steht ihnen dem Gesetz nach offen. Nur: Die Erfolgschancen sind damit dramatisch gesunken.

Denn damit ein Volksentscheid durchkommt, muss mindestens ein Fünftel der Hamburger Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen haben. Das sind rund 265.000 Menschen.

Zeitgleich zu einer Parlamentswahl wäre das kein Problem, doch spazieren genügend Ham­bur­ge­r:in­nen an jenem Tag wirklich nur für Volksentscheide ins Wahllokal oder kümmern sich zuvor um ihre Briefwahlunterlagen? Zweifel daran sind angebracht, denn weder die lokale Klimapolitik noch die Diskussionen über das Grundeinkommen genießen, derzeit, sonderlich große Aufmerksamkeit.

Gemeinsamer Termin könnte helfen

Zu vermuten ist, dass beide Initiativen sich zu einem gemeinsamen Abstimmungstag entschließen. Das würde Synergieeffekte schaffen: Wer fürs Klimaschutzgesetz zur Wahl geht, wird dann auch über das Grundeinkommen abstimmen und andersrum.

Nur: Selbst die Zahl der im dreiwöchigen Volksbegehren gesammelten Unterschriften zusammengenommen kommt nicht annähernd auf das benötigte Quorum. Und: Beide Anliegen finden vor allem im links-liberalen Milieu Unterstützung – die Zahl derer, die im Volksbegehren für beide Anliegen unterschrieben haben, dürfte hoch sein.

Die Initiativen müssen sich nun Gedanken machen, wie sie darauf strategisch reagieren. Sie werden deutlich früher mit der Mobilisierung beginnen und über das eigene Milieu hinaus überzeugend darlegen müssen, warum es sich lohnt, für ihre Vorhaben zur Abstimmung zu gehen.

Wie schwierig das ist, zeigte sich im vergangenen Jahr in Berlin. Dort scheiterte ein Volksentscheid über die Berliner Klimapolitik, weil das Beteiligungsquorum deutlich verfehlt wurde.

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André Zuschlag
Redakteur taz nord
Jahrgang 1991, hat Politik und Geschichte in Göttingen, Bologna und Hamburg studiert. Von 2020 bis August 2022 Volontär der taz nord in Hamburg, seither dort Redakteur und Chef vom Dienst. Schreibt meist über Politik und Soziales in Hamburg und Norddeutschland.
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4 Kommentare

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  • Immerhin liefert das eine tolle Ausrede warum es nicht funktioniert hat, obwohl von Anfang an aussichtslos. Bedingungsloses Grundeinkommen, wenn nicht mal das Bürgergeld in seiner ursprünglichen Form verteidigt werden konnte.

  • Fridays wird es auch so schaffen, und Grundeinkommen sollte wohl sowieso auf anderer Ebene getestet werden.



    Sorry, und Bundestagwahl geht recht vielem vor - was man damals beim Berlin-Marathon schon hätte sagen müssen.

  • Ich würde schätzen, dass das Quorum erfüllt wird. Die meisten, die das interessiert, gehen ohnehin nicht in ein Wahllokal, sondern wählen per Brief...weil das ja offenbar die modernste Möglichkeit in diesem Land ist.

    Ich verstehe allerdings nicht, warum eine Bundestagswahl vorgezogen werden kann, ein kleiner Volksentscheid aber nicht, selbst wenn ein paralleles Votum gewünscht ist.

    • @Hefra1957:

      Nichtmal Berlin hat das Quorum erreichen können und Berlin ist quasi die Links-Liberalste Stadt Deutschlands. Da glaube ich nicht, dass Hamburg das schafft, denn wie der Autor schon sagt, die Unterschriften dürften sich wahrscheinlich doppeln.



      Zum anderen, warum sollten die Leute zur Wahl gehe, das Volksbegehren wird nicht umgesetzt werden können, denn woher die 2000€ Grundeinkommen nehmen? Aus dem sehr knapp bemessenen Stadthaushalt? Das Grundeinkommen kann ja nicht aus Bundesmitteln bezahlt werden, denn über die Einnahmen des Bundes kann Hamburg nicht alleine Entscheiden und so quasi Gelder nach Hamburg umleiten.

      Eine Bundestagswahl kann vorgezogen werden, weil die die Grundbasis der Politik ist und für die Entscheidungen. Ein Volksbegehren ist nicht so wichtig, Deutschland kommt auch ohne Volksbegehren aus, nicht aber ohne funktionierende Politik welche das Land am laufen halten soll.