piwik no script img

Verreisen an OsternWarum ist das so wichtig?

Die Leute sind verrückt nach dem Reisen. Ich kann das nicht verstehen. Liegt es daran, dass das Leben gerade ein bisschen beschissener ist als sonst?

Endlich mal raus: Urlauber am Flughafen von Palma de Mallorca am 21. März Foto: dpa / Clara Margais

W as wird mit Ostern? Das ist die große Frage, die im Moment täglich und überall gestellt wird. Tja, was soll denn nun mit Ostern werden? Kann es stattfinden oder wird es ausfallen? Was werden „sie“ uns an Ostern überhaupt erlauben? Und je länger ich darüber nachdenke, um so absurder scheinen mir diese Sätze zu sein. Welchen Stellenwert haben diese Dinge? Warum ist die Frage, was mit Ostern wird, so wichtig, dass sie als dicke Überschriften in den Zeitungen auftaucht? Was ist denn dieses Ostern überhaupt? Und warum soll es nicht stattfinden können, wenn wir nicht nach XYZ reisen können?

Wenn ich in meine Kindheit zurückgehe, dann kann ich mich nicht erinnern, dass wir jemals irgendwo hinfuhren. Wenn unsere Eltern Urlaub hatten, mauerten sie einen neuen Schweinestall, setzten einen neuen Zaun oder tapezierten gemeinsam das Wohnzimmer. Wenn die großen Ferien begannen, dann wussten wir, dass wir acht Wochen lang würden tun können, was wir wollten, aber verreisen würden wir nicht.

Das war auch deshalb nicht schlimm, weil wir nichts anderes erwarteten und weil die meisten anderen Kinder unseres Dorfes auch zu Hause blieben. Ich unterhielt mich am Samstag mit meiner Freundin, die aus einem Dorf in Ostwestfalen stammt, und sie hat genau das Gleiche erzählt. Auch ihre Eltern sind nicht verreist, auch sie hatten einen Hof, als Zwölfjährige ist sie mit Verwandten das erste Mal an der Ostsee gewesen. Natürlich lebten wir auf dem Lande, und für Städter mögen sich solche Ferien zu Hause anders angefühlt haben.

Ostern begann für uns der Frühling. An Ostern grillte unser Vater das erste Mal, egal, wie kalt es war, in dicker Joppe stand er über seine Würste gebeugt und wir hockten, in Decken gewickelt, auf der Hollywoodschaukel, die er selbst zusammengeschweißt hatte, während unsere Mutter Plastikeier an den Forsythienstrauch hängte und das Kaninchen in den Ofen schob, das unser Vater mit Tränen in den Augen geschlachtet hatte.

Was verpassen wir denn, wenn wir Ostern nicht irgendwohin fahren können?
Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Das ist, was ich mit Ostern verbinde. Aber Reisen? Warum ist das jetzt so wichtig geworden? Warum gibt es deshalb so viel Ärger? Hängt das mit dieser „Freiheit“ zusammen? Freiheit ist ja ein großes Thema, besonders jetzt, in der Pandemie. Die Freiheit wird verteidigt, die Freiheit wird vermisst, die Freiheit sei bedroht, die Freiheit einkaufen zu gehen, sich mit Freunden zu treffen und natürlich besonders die Freiheit, verreisen zu können.

Die Leute sind ganz verrückt nach dem Verreisen. Unbedingt wollen sie irgendwo anders hinfahren können. Mal andere Luft schnuppern, was anderes sehen, den Alltag hinter sich lassen, etc. „Sie müssen ja nicht verreisen, Frau Seddig, wenn es Ihnen nichts bringt“, höre ich sie reden, „aber ich … (verschiedene Argumente, alle sehr einleuchtend)“.

Ja, das verstehe ich doch, aber ich verstehe es trotzdem nicht, nicht in der Tiefe, nicht die Wichtigkeit dieses Themas. Als ich diese Kolumne schreibe, gibt es sehr viel Ärger darüber, dass man jetzt nach Mallorca fliegen, aber nicht an der Nordsee urlauben darf. Tja, das ist blöd und ungerecht und die Nerven liegen sowieso blank.

Die meisten Leute, die ich kenne, verreisen ganz gern mal. Ich selbst verreise auch ganz gern mal. Ich gehe gerne wandern. Ich verreise, um mit meiner Familie wandern zu gehen. Es erholt mich. Aber haben wir uns in unserer Kindheit nicht erholt, weil wir nicht verreist sind? Hatten wir keine Ferien, hatten wir kein Ostern, weil wir immer zu Hause blieben? War unser Leben armselig? War das Leben unserer Eltern armselig? Haben wir etwas verpasst? Verpasse ich jetzt etwas? Und was ist es, was ich, was wir, verpassen, wenn wir Ostern nicht irgendwohin fahren können? Und warum ist es so wichtig, warum emotionalisiert es die Menschen so sehr?

„Ich muss mal raus“, sagt mir eine andere Freundin am Telefon. „Ich muss endlich mal raus!“ Ist es das, die Flucht, raus aus dem eigenen Leben? Sehnen wir uns danach, unser Leben zu verlassen? Und ist diese Sehnsucht jetzt besonders stark, weil das Leben im Moment ein bisschen beschissener als sonst ist?

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Es ist eine Art ewiger Unruhe, die man den Menschen eingeprügelt hat und von der sie nun sogar selber glauben, sie wäre gut. Immer aktiv, niemals ruhen. Am Wochenende in den Baumarkt rammeln, zuvor durch den Wald oder um den Block rennen. Und wenn man mal nicht zur Arbeit rammeln muss, dass wird eben in den Urlaub gehetzt. Stau auf der Autobahn oder ewiges Warten am Flughafen, stundenlanges unterwegs sein, nur um dann in einem 15m² - Hotellzimmer zum Preise einer normalen Wohnung zu hausen und am Tag in einem Sandhaufen zu liegen.

  • "War unser Leben armselig?"



    Nein, aber sehr wohlhabend waren Sie auch nicht.

    Möglicherweise waren Sie noch zu einer Zeit Kind (auch wenn das Photo nicht so aussieht), als es in Ihrem Dorf noch weniger Straßenverkehr gab, und Kinder daher weitaus mehr Freiräume hatten als heute.

    • @meerwind7:

      Viele finden es vollkommen normal, das sauer verdiente Geld schnell wieder abzugeben: in teuren Restaurants, im teuren Urlaub oder für ganz Old-School-lastige, sogar für teure Autos.

      Das nennen sie dann "sich was leisten", eine Art Entschädigung für die Qualen der Arbeit, die ohne diese Arbeit füe viele "Besserverdienente" gar nicht bestehen würden.

      Letzendich macht es aber nur oft nur die Reichen noch reicher. Einmal wird der Mensch per Arbeit ausgepresst, und dann nochmal via Konsum.