Vermieter kassiert für Schrottzimmer: „Menschenverachtende Haltung“
Ein Flensburger Spediteur vermietet Räume mit Mängeln bevorzugt an Wohnungslose. Auf Proteste reagiert er mit Kündigungen.
![Ein heruntergekommener Gebäudekomplex Ein heruntergekommener Gebäudekomplex](https://taz.de/picture/4671412/14/186936512_df7ecd342a-1.jpeg)
Wer hier einzieht, glaubt, keine große Wahl zu haben, sagt Loretta Barclay Parz, Mitbegründerin der Obdachlosen-Initiative: „Die Leute wollen einen neuen Start, aber sie haben schlechte Schufa-Einträge.“ So ging es auch A. M. (Name der Redaktion bekannt), zurzeit Mieter und von Kündigung bedroht. A. M. hatte von anderen von einer freien Unterkunft gehört und war trotz des schlechten Zustands eingezogen: „Die Alternative war, auf der Straße zu bleiben. Es soll ja nur für den Übergang sein.“
Bewohner*innen und Barclay Parz schildern am Telefon die kaputten Fenster, den Siff in der Dusche und die Angst beim Toilettengang, weil sich oft Fremde in den Waschräumen aufhalten. Zwar seien getrennte Klos für Männer und Frauen vorgesehen, aber „die Duschen sind im Frauenwaschraum, und die Männer gehen eh, wo es ihnen grade passt“, sagt A. M. Beschwert hatte sich niemand der Bewohner*innen. Barclay Parz, die seit vergangenem Jahr ehrenamtlich bei „Helferherz“ tätig ist, versteht das: „Wer auf der Straße war, hat oft den Glauben daran verloren, dass irgendwo geholfen wird.“
Durch das Video wurden Medien auf den Fall aufmerksam, Lokalzeitungen fragten beim Vermieter nach. Der 80-jährige Johannes Staats nannte die Zustände in der Flensborg Avis „paradiesisch für diese Leute“. Kaputte Scheiben, Dreck? Alles Sache der Mieter, die selbst sauber machen müssten, so Staats zu den Flensburger Nachrichten. Renovierungen seien nicht geplant: „Wenn die Bewohner ständig Scheiben einschlagen und Türen eintreten, sehe ich nicht ein, das zu renovieren.“
Fadenscheinige Gründe für Kündigungen
Seine einzige Reaktion auf die Proteste waren Kündigungen, aus Gründen, die die Betroffenen jedoch als vorgeschoben empfinden. „Helferherz“ hat den Mieterbund eingeschaltet, „die Anwälte sind richtig heiß auf den Fall“, sagt A. M.
Neben Hilfe für die aktuell von Kündigung bedrohten Mieter*innen fordert Loretta Barclay Parz eine Dauerlösung: „Der Vermieter ist nicht bereit, etwas zu ändern. Wenn das nicht gestoppt wird, wird er die nächsten Leute rein holen.“ Rund 61.000 Euro Warmmiete jährlich – bezahlt vom Jobcenter oder der Stadt – brächten die zwölf Zimmer, hat die Linken-Ratsfrau Gabi Ritter berechnet: „Die Zustände und die menschenverachtende Haltung des Herrn Staats haben den Finger in die offene Wunde des privaten Wohnungsmarktes gelegt.“
Die Linken fordern mehr Sozialarbeit und mehr genossenschaftliche Wohnungen. Auch die SPD und die Grünen wollen mehr Projekte und Unterkünfte für Finanzschwache. Die CDU will generell mehr Wohnraum schaffen, findet aber – laut einer Stellungnahme aus dem vergangenen Jahr – den Anteil genossenschaftlicher Modelle in Flensburg bereits sehr hoch.
Für die Unterbringung von Wohnungslosen ist die Kommune zuständig, kurzfristig in einem Wohnheim, langfristig mit Hilfsangeboten durch die „Fachstelle für Wohnungshilfe“, sagt Rathaussprecher Clemens Teschendorf. „Wir sind breit aufgestellt, bieten auch Schuldnerberatung an, damit die Wohnung möglichst gar nicht erst verloren geht.“ Wer ohne Dach überm Kopf sei, erhalte Tipps. Allerdings könne auch die Stadt nur auf den üblichen Wegen suchen, freie Wohnungen halte die Verwaltung nicht vor.
Eines schließt Teschendorf aus: „Wir vermitteln nicht in Staats-Wohnungen, weil wir finden, das geht gar nicht.“ Wolle aber jemand dort einziehen, übernehme die Stadt die Miete: „Das hat mit Selbstbestimmung zu tun.“
Das bestätigt Sabine Jostmeier, Sprecherin des Flensburger Jobcenters, das die meisten der Mieten bezahlt: „Wir sind nicht Vertragspartner, sondern übernehmen nur die Kosten.“ Einflussnahme oder Verbote, in eine bestimmte Wohnung zu ziehen, gebe es nicht: „Wir führen keine Listen, wir möchten, dass unsere Kund*innen möglichst eigenständig sind.“ Höchstens bei Fällen von klarem Wucher könne die Kostenübernahme verweigert werden. Im Fall der Staats-Zimmer sei das „tricky“: Zwar sei die Summe mit rund 400 Euro recht hoch, allerdings gelten die Räume als „möbliert“, was die rechtliche Bewertung erschwert.
Stadt und Jobcenter bieten Projekte und Hilfen an, darunter Gutscheine für eine Beratung im Mieterschutzbund. Das Rathaus schafft zudem zwei Stellen für Berater*innen, die Wohnräume besichtigen. Eingreifen könnten die Behörden aber erst, wenn Gebäude brand- oder einsturzgefährdet seien, bedauert Teschendorf.
Loretta Barclay Parz hofft, dass das Thema nicht wieder in Vergessenheit gerät. Bis genug angemessene Unterkünfte zur Verfügung stehen, „ist es ein langer Weg“, befürchtet sie.
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