Expertin über Obdachlose und die Kälte: „Es ist eine üble Situation“

Monika Kelting hilft Obdachlosen in Hamburg. Sie erklärt, wie Corona die Lage der Menschen verschlimmert und warum klassische Notunterkünfte oft gemieden werden.

Ein Obdachloser mit einem Einkaufswagen, aufgenommen waehrend starken Schneefalls in Berlin

Für Wohnungslose sind vor allem Nässe und kalter Wind im Winter lebensgefährlich Foto: Florian Gaertner/imago

taz: Frau Kelting, Sie organisieren in Hamburg den sogenannten Kältebus, mit dem Freiwillige den Obdachlosen Hamburgs im Winter helfen. Was bedeuten die aktuellen Temperaturen für die Menschen auf der Straße?

Monika Kelting: Für Obdachlose ist es akut lebensgefährlich, wenn es so kalt wird. Trockene Kälte ist auszuhalten, aber Nässe und kalter Wind sind schlimm. Die, denen wir auf der Straße begegnen, sind steifgefroren, können ihre Hände nicht mehr bewegen oder nicht mehr laufen, einfach, weil es so kalt ist. Wenn einmal die Socken nass geworden sind… Es ist eine üble Situation.

Welche Rolle spielt die Coronakrise?

Zusätzlich zur Kälte sind auch Hunger und Durst gerade ein großes Problem. Die Wassersäulen, an denen Obdachlose in Hamburg sonst trinken konnten, sind wegen der Coronakrise abgeschaltet. Und die Gastronomie ist auch zu. Vor der Pandemie konnten sich die Menschen in einem McDonalds kurz aufwärmen oder um ein Glas Wasser bitten. Die meisten kannten irgendwo jemanden, der ihnen ab und zu etwas zu essen gegeben hat.

Betteln und Flaschensammeln ist auch sehr schwierig geworden. Vor der Krise konnten die Obdachlosen bei Menschenansammlungen vor Kinos oder Theatern gut ihre Straßenzeitungen verkaufen oder um eine Spende bitten. Das geht jetzt nicht mehr.

Wie helfen Sie?

Wir fahren mit dem Kältebus derzeit 40 bis 50 Liter heiße Suppe durch die Stadt. Vor allem nach Süßigkeiten wie Schokolade werden wir auch immer wieder gefragt. Man unterschätzt, wie viel Energie es kostet, bei diesen Temperaturen draußen zu leben. Schlafsäcke, Wolldecken und Isomatten verteilen wir auch.

Sie sind nicht die einzigen, die organisiert helfen …

Es gibt viele Anlaufstellen in Hamburg. Aber auch die sind durch die Coronakrise eingeschränkt. Suppenküchen haben zwar teils große Räume, aber um die Pandemie einzudämmen, dürfen nur noch wenige Obdachlose kommen. Wo vorher 400 Mahlzeiten verteilt werden konnten, sind jetzt nur noch 200 möglich.

Können die Obdachlosen nicht in Notunterkünfte gehen, um zu essen, zu schlafen und sich aufzuwärmen?

In Hamburg gibt es etwa 1.000 Betten über das sogenannte Winternotprogramm. Viele Obdachlose gehen aber nur sehr ungern in solche Unterkünfte, die Mehrbettzimmer bieten nur wenig Intimsphäre, außerdem ist es dort oft schmutzig und es kommt schnell zu Streit. Trotzdem: Bei diesen Temperaturen ist das besser als auf der Straße. Aber nicht alle Obdachlosen sehen das so.

Haben die Obdachlosen Angst vor einer Corona-Infektion?

Das glaube ich nicht, die meisten haben die Notunterkünfte auch vor der Pandemie schon gemieden.

Linke und CDU fordern in Hamburg, Obdachlose in den gerade leerstehenden Hotels und Jugendherbergen unterzubringen. Würde das helfen?

74, organisiert in Hamburg den Kältebus, mit dem das Rote Kreuz DRK den Obdachlosen in der Stadt hilft.

Einzelzimmer würden vieles ändern, so ein Angebot würde sofort angenommen. In geringem Umfang werden Obdachlose auch jetzt schon in Hotels untergebracht. Und diejenigen, die dort unterkommen, sind begeistert. Auch die Hotels nehmen die Obdachlosen meist gerne auf, die Stadt zahlt schließlich. Man könnte auch die Container-Unterkünfte aufmachen, in denen früher Flüchtlinge gewohnt haben und von denen im Moment viele leer stehen. Das würde helfen, ist aber wohl politisch nicht gewollt.

Was meinen Sie?

Die Stadt fürchtet, dass noch mehr Obdachlose kommen, wenn es denen zu gut geht, die schon hier sind.

Kann man denn als Privatperson irgendwie helfen?

Wir sehen schon unheimlich viele Leute, die mit Thermoskannen durch die Straßen laufen und heiße Getränke verteilen. Die Menschen tun schon eine ganze Menge, um zu helfen. Je mehr Privatpersonen helfen, desto weniger hilft die Stadt. Aber es gibt einfach Dinge, die nur die Stadt organisieren kann.

Was könnte die Stadt tun, um langfristig zu helfen?

Mir wäre vor allem eine Unterkunft für diejenigen wichtig, die auf der Straße leben und schwer oder todkrank sind. Diese Menschen sieht man tagsüber kaum, aber es gibt sie. Sie werden von den Krankenhäusern nach Operationen schnell wieder auf die Straße gesetzt, weil viele nicht krankenversichert sind.

Wir haben außerdem zu wenige Sozialarbeiter. Denen gelingt es manchmal, den Obdachlosen tatsächlich wieder zu einer Wohnung zu verhelfen.

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