Verleger zu Stokowski-Debatte: „Man kann Bücher nicht aussperren“
Christoph Links verkauft seinen Verlag. Ein Gespräch über Literatur zu DDR-Zeiten, Debatten mit Rechten und die deutsche Einheit auf dem Buchmarkt.
taz: Herr Links, sind das nicht sehr schlechte Zeiten, um einen kleinen, unabhängigen Verlag zu verkaufen, der noch dazu seinem Namen alle Ehre macht?
Christoph Links: Ich habe vier Jahre lang versucht, intern einen Nachfolger zu finden. Aber der Markt ist schwierig, er schrumpft. Die Situation ist zu wenig lukrativ, als dass jemand allein ein Unternehmen wie dieses schultern möchte.
Aber dem Christoph Links Verlag geht es doch nicht schlecht, oder?
Nein. Wir machen knapp 1,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr und halten die auch recht stabil. Generell haben wir in Deutschland im Buchbereich Rückgänge von einem oder anderthalb Prozent jährlich – und nicht die Rieseneinbrüche, wie wir sie aus den Niederlanden, aus Spanien oder Frankreich kennen. Das Sachbuch zeigt sich erstaunlich konstant.
Was hat es damit auf sich?
Die Bezeichnung der neuen Medienlandschaft als „overnewsed, but uninformed“ trifft natürlich zu. Wir sind mit Nachrichten überfüttert, die immerzu aufblinken, aber letztlich schlecht informiert. Umso mehr sehnen wir uns nach Hintergründen und Zusammenhängen. Es braucht einfach das vertiefende Sachbuch. Darum behauptet es sich so tapfer.
Also ist das Ende des gedruckten Buchs hierzulande nach wie vor in weiter Ferne?
Der Mensch Christoph Links wird 1954 in Caputh, Nähe Potsdam geboren. Er studiert Philosophie und Lateinamerikanistik in Berlin und Leipzig. Danach wird er Lateinamerika-Redakteur der Berliner Zeitung. 1986 bis 1989 ist er Assistent der Geschäftsleitung im Aufbau Verlag Berlin und Weimar und gründet als einer der Ersten am Tag der Aufhebung der Zensur in der noch existierenden DDR, am 1. Dezember 1989, seinen eigenen Verlag.
Der Verlag Schon kurz nach seiner Gründung galt der Chr. Links Verlag als einer der spannendsten Verlage Ostdeutschlands. Anliegen war es zunächst, die „weißen Flecken“ der jüngsten deutschen Geschichte aufzuarbeiten. Obwohl heute Bücher zu aktuellen Fragen erscheinen, Reiseführer und Länderporträts, Ratgeber sowie Bild-Text-Dokumentationen zur deutschen Geschichte: Die Forschung über die Gesellschaft der DDR, die Geschichte von Stasi, Mauer und Flucht, steht nach wie vor im Fokus. Übrigens: Wer die Backlist des Verlags studiert, findet auch Bücher einiger taz-AutorInnen. (sm)
Na ja, die fetten Jahre sind schon vorbei. Das Buchlesen ist nicht mehr die bevorzugte Freizeitbeschäftigung. Vor der Wende lag das Lesen in der DDR auf Platz 7, in der BRD auf Platz 9. Heute liegt es bundesweit auf Platz 14. Und wenn man abends die letzte WhatsApp-Gruppe zugemacht hat, will man auch nicht mehr zum Buch auf dem Nachttisch greifen, sondern nur noch die Augen schließen.
Wie kam es, dass Sie an den Aufbau Verlag verkauft haben?
Ich wollte meinen Verlag in gutem Zustand in sichere neue Hände geben, damit unsere Autoren sicher sind, dass ihre Bücher weiterhin auf dem Markt bleiben. Wir machen mehr als die Hälfte unseres Umsatzes mit älteren Titeln, die in der fünften, sechsten, zehnten oder zwölften Auflage sind und die wir seit 20 Jahren im Programm halten. Ich finde, es gehört zur Verantwortung eines Verlegers, sich darum zu kümmern, wie es nach dem eigenen Abgang weitergeht.
Welche Bedingungen konnten Sie aushandeln?
Ideale! Ich werde noch zwei Jahre lang als angestellter Geschäftsführer die Zusammenführung der Verlage begleiten. Wir werden mit unserem eigenen Programmleiter sieben Jahre lang unser Programm fortführen, mit denselben Mitarbeitern. Aufbau möchte, dass wir als funktionierender Verlag weiter so agieren wie bisher. Das kann man sich eigentlich gar nicht besser wünschen.
Sie haben 1986 bis 1989 in der Geschäftsführung des Aufbau Verlags gearbeitet. Hat Ihnen das die Entscheidung leichter gemacht?
Es gibt mehrere KollegInnen dort, die ich seit damals kenne. Schon der erste Besitzer des Verlags nach dem Treuhand-Verkauf, Bernd Lunkewitz, wollte mich als Sachbuchchef einstellen. Da sagte ich ihm: Aber Herr Lunkewitz, ich habe doch einen eigenen Verlag. Und er: Aber Herr Links, den kaufe ich doch mit. Das war so die generöse Geste des linken Millionärs. Ich bin bis heute mit Bernd Lunkewitz befreundet.
Sie waren einer der ersten kleinen, unabhängigen Verlage mit DDR-Hintergrund, die sich im Dezember 1989 gegründet haben. Wie war das?
Von den 200 Neugründungen nach der Wende sind heute ein Dutzend übrig, die meisten davon sind klein geblieben – wie es ja typisch ist für die ostdeutsche Wirtschaft. Man kann eben ohne eigenes Kapital nur behutsam wachsen. Wir haben mit drei Leuten und taz-Einheitslohn angefangen, 1.500 D-Mark waren das damals. Langsam, Schritt für Schritt, haben wir das Programm ausgeweitet, es sind mehr Personen geworden, und das Gehalt hat sich etwas verbessert. Aber wir hatten nie große Mäzene, haben nur mit privaten Kleindarlehnen von FreundInnen gearbeitet. Man konnte dem Verlag 5.000 D-Mark und später 2.500 Euro zur Verfügung stellen und sich dafür alle Neuerscheinungen wünschen. Und wenn man das Geld wieder brauchte, bekam man es auch wieder.
Klingt ein bisschen wie das Genossenschaftsmodell der taz.
Ja, genau. Es ist nur nicht so formalisiert. Ich bin ja übrigens auch taz-Genosse.
Sehr gut! Dann haben auch Sie dafür gesorgt, dass die taz ein neues Haus bauen konnte.
Ja, das ist sehr schön geworden.
Sie haben unter anderem ein Buch mit dem Titel „Das wunderbare Jahr der Anarchie“ herausgegeben. War es nicht auch ziemlich gewagt, in so bewegten Zeiten einen Sachbuchverlag zu gründen?
Wir haben die Jahre zuvor mit angezogener Handbremse gelebt, wollten immer etwas tun, aktiv werden, gestalten, uns äußern – und wurden immer gedeckelt und gebremst. Als dann die Zensur am 1. Dezember 1989 abgeschafft wurde, da dachten wir einfach: Jetzt geht’s los.
Sie hatten schon Anfang 1989 versucht, einen Sachbuchverlag zu gründen.
Das wurde mit dem vorgeschobenen Argument abgelehnt, dass es nicht genug Papier gebe für einen neuen Verlag. Dabei gab es in der DDR so viel schwachsinnige Verwendung für Papier (lacht) und lediglich 78 Verlage. Und heute haben wir mehr als 2.000. Wo waren wir noch mal?
Wir waren bei der Aufbruchstimmung 1989.
Stimmt. Also anfänglich gab es ein großes Interesse an DDR-Themen. Auch im Westen. Da wollte man ja auch wissen, was im Osten eigentlich los war. Erst als sich nach fünf Jahren herausstellte, dass die blühenden Landschaften so schnell doch nicht kommen und viele verstockten Ossis immer noch die PDS wählen und nicht so schnell im neuen System anzukommen gewillt sind, da kippte die Stimmung in eine Abwehrhaltung.
Das haben Sie damals auch im Verlag gespürt?
Aber ja. Wir hatten einen ziemlichen wirtschaftlichen Einbruch. Aber am Ende hat uns der Schock geholfen. Wir haben das Programm erweitertet und uns mit der NS-Geschichte, der Kolonialgeschichte und mehr mit internationalen Themen befasst.
Gleichzeitig erlebten Sie nach der Wende mit, wie viele DDR-Verlage abgewickelt wurden.
Ja, das war bitter. Es hat mich eigentlich nie losgelassen. Deshalb habe ich dann noch über dieses Thema promoviert. Ich wollte wissen, ob meine subjektive Wahrnehmung stimmt.
Und?
Das Ergebnis war noch schrecklicher als befürchtet. 90 Prozent der Mitarbeiter des Verlagswesens in der DDR sind arbeitslos geworden. 80 Prozent des Titelausstoßes sind verschwunden. Aus den neuen Bundesländern kommen bis heute nur gut 2 Prozent der deutschen Buchproduktionen.
Ihr Vater Roland Links war bis Anfang der 1990er Jahre Leiter des Insel Verlags in Leipzig. Dann wurde der Verlag von Insel Frankfurt geschluckt.
Mein Vater ging dann in den Vorruhestand und arbeitete als Literaturhistoriker an der großen Tucholsky-Ausgabe mit. Insofern gehörte er nicht zu den Frustrierten. Aber viele in seinem Umfeld sind auf der Strecke geblieben. Es wurden ja manche Verlage mit hundert Mitarbeitern innerhalb eines Jahres abgewickelt. Und die neuen Inhaber haben nur noch die Immobilien vermarktet. Also: Ich denke, da wird mit der Aufarbeitung der Treuhand-Akten noch einiges ans Licht kommen.
Anfang der Siebziger hat Ihr Vater das Debüt von Klaus Schlesinger als Lektor betreut. Schlesinger galt im Westen als junger Wilder, er wurde sehr DDR-kritisch gelesen …
Ich komme aus einem sehr offenen Haus. Mein Vater arbeitete beim Verlag für Literatur aus dem Ausland, bei Volk und Welt. Also betreute er vor allem die Autoren aus der Schweiz und aus Österreich. In den 1950er Jahren saß er mit Fritz Raddatz im selben Büro, bevor dieser in den Westen ging. Max Frisch und mein Vater waren befreundet, erst gestern habe ich Marianne Frisch wieder getroffen. Das war eine große Freude.
Sie haben trotzdem mal gesagt, dass Sie überhaupt nicht in die Fußstapfen Ihres Vaters treten wollten.
Nein, natürlich nicht! Man will als junger Mensch eigene Wege gehen. Daher bin ich in den Journalismus gegangen. Aber da waren mir natürlich in der DDR starke Grenzen gesetzt. Eines Abends wurde ich in die Chefredaktion der Berliner Zeitung, des hauptstädtischen Organs der SED, gerufen. Da saßen mir zwei Herren von der Staatssicherheit gegenüber, die von mir verlangten, dass ich mich von einem Freund, einem inzwischen arbeitslosen Journalisten, distanziere. Er hatte gerade einen Ausreiseantrag gestellt. Ich weigerte mich, diese Freundschaft abzubrechen. Außerdem hielt man mich für einen „Träger revisionistischen Gedankenguts“. Man versetzte mich für ein Jahr in den technischen Bereich der Zeitung, und ich durfte das Rundfunkprogramm und die Anzeigenseiten Korrektur lesen. Dann sollte ich ein Promotionsstipendium erhalten – unter der Bedingung, dass ich nicht wiederkomme. Da habe ich mich dann verabschiedet und mir einen neuen Job gesucht.
Sie landeten bei Aufbau.
Genau. Ich habe dem Aufbau Verlag eine Reihe mit lateinamerikanischer Literatur vorgeschlagen. Und da sagte dann Elmar Faber, der damalige Verleger: Junger Mann, das klingt interessant, ist aber schwer verkäuflich. Was machen Sie eigentlich sonst gerade so? Wenig später wurde ich sein Assistent. Da habe ich sehr viel vom Verlagshandwerk gelernt. Auch der Geist war ein anderer. Autoren wie Christa Wolf und Christoph Hein prägten das Klima. Ich zehre im Grunde bis heute davon.
Inwiefern?
Ich bin gerade Sprecher der Interessengruppe Meinungsfreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und versuche mich dort für mehr Toleranz und Gelassenheit einzusetzen. Ich habe den Dogmatismus, den ich heute wieder erlebe, schlecht ertragen. Etwa die Haltung einiger Linker: Wir reden nicht mit den Rechten, wir reden nur über sie.
Sie spielen auf Margarete Stokowski an, die eine Lesung in München abgesagt hat.
Und das nur, weil die ansonsten linksliberal engagierte Buchhandlung Lehmkuhl auch rechte Literatur anbietet, weil sie richtig sagt, dass wir uns mit denen offen auseinandersetzen und in Diskussion gehen müssen, dass wir wissen müssen, was die denken und schreiben.
Margarete Stokowski hielt dagegen, sie könne nicht erkennen, wie man sich gegen rechts engagiere, indem man die Schriften dieser AutorInnen durch Verkäufe fördere. Können Sie dieses Argument nachvollziehen?
Nein, kann ich nicht. Auf dem Regalbrett mit der Aufschrift „Neue Rechte – altes Denken“ stehen neben den Originaltexten ja auch Gegentexte, etwa die Bücher des taz-Autors Andreas Speit über das Netzwerk der Identitären oder die Reichsbürger.
Gibt es eine Pflicht zur Auseinandersetzung, obwohl sich Menschen mit anderer Herkunft oder Hautfarbe durch rechtes Gedankengut bedroht fühlen?
Dort wird ja kein rechtes Gedankengut propagiert oder angepriesen. Es steht Interessierten zur Verfügung, so wie in öffentlichen Bibliotheken.
Die Buchhandlung Montag in der Pappelallee hat im Oktober den Autor Alexander Wendt ausgeladen.
Wendt hatte 2017 eine Erklärung gegen die vermeintliche Meinungsenge auf der Buchmesse mitunterzeichnet. Er sollte aber über ein ganz anderes Thema sprechen. Wir müssen in der Demokratie einfach aushalten, dass Bücher, die nicht gegen geltende Gesetze verstoßen, auch gezeigt werden dürfen. Man kann Bücher nicht einfach verbieten oder aussperren. Hier verharren manche Leute noch in symbolischen Abwehrhaltungen, anstatt sich argumentativ auseinanderzusetzen. Das bringt die Gesellschaft nicht voran.
Sie leiten Ihren Verlag jetzt noch zwei Jahre. Was haben Sie in dieser Zeit vor?
2019 kommt der dreißigste Jahrestag der friedlichen Revolution, 2020 „30 Jahre deutsche Einheit“. Das sind ja Themen, wie wir sie seit 30 Jahren in unterschiedlichsten Facetten bearbeiten, da wollen wir natürlich präsent sein. Daneben wird organisatorisch vor allem die Fusion der beiden Verlage anstehen. Kürzlich war Matthias Koch, der Eigentümer des Aufbau Verlags, zu Gast bei uns und hat deutlich gemacht, dass wir auf Augenhöhe, wertschätzend und gleichberechtigt bereden werden, wie wir das gemeinsame größere Unternehmen gestalten wollen. Und wenn das in der Praxis gelänge, dann wäre das für mich …
… die Vollendung der deutschen Einheit?
(lacht) Ja. Es wäre für mich ein Weg, den ich mir auch vor dreißig Jahren für die beiden deutschen Staaten gewünscht hätte.
Was haben Sie nach Ihrem Rückzug vor?
Erstens soll die Aufbau-Gruppe perspektivisch in eine Stiftung eingebracht werden. Wenn ich da beratend zur Seite stehen könnte, würde mich das freuen. Aber eigentlich will ich meine buchhistorische Arbeit fortsetzen. Es steht noch ein Nachfolgeband zu meiner Dissertation an, in dem es um die verschwundenen Verlage der DDR-Zeit gehen soll.
Haben Sie gar keine Lust, mal ein bisschen weniger zu arbeiten?
Natürlich, das auch! Ich habe inzwischen zwei Enkelkinder und kann mir gut vorstellen, mehr mit ihnen zu unternehmen.
Wir sitzen gerade in Ihrem Büro in der Kulturbrauerei im Herzen von Prenzlauer Berg. Wohnen Sie noch hier im Kiez?
Nicht ganz. Ich bin in der Schönhauser Alle aufgewachsen, dann haben wir bei der Gethsemanekirche gewohnt, heute lebe ich nebenan, in Pankow.
Wie empfinden Sie den Wandel in Prenzlauer Berg?
Schmerzlich. Ich habe jetzt meine letzte Stammkneipe verloren, das Entweder Oder in der Oderberger Straße. Davor hat das Walden in der Choriner Straße aufgegeben. Die gewohnten Bezugspunkte werden mit der Zeit immer weniger. Aber es ist wohl nichts von ewigem Bestand.
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