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VerkehrspolitikDas E-Auto, die Treuhand der Gegenwart

Gastkommentar von

Benedikt Schmal und Max Zombek

Verkehrspolitik ist eine Domäne von Technokraten und erzeugt Frust. Sie sollte Gegenstand demokratischer Aushandlungsprozesse werden.

Verkehrspolitik ist zu sehr mit Symbolpolitik überladen Foto: Jan Woitas/dpa

S ie stehen in vielen Städten sinnbildlich für Streit um jeden Quadratmeter: abgetrennte Fahrradspuren, abgesenkte Bordsteine, Poller, Parklets, also „Stadtmöbel“. Wo früher Autos standen, sollen heute Menschen auf Paletten sitzen, wo bis vor Kurzem Autos parkten, sollen Kinder spielen. Dass Parklets nicht selten zu Müllhalden verkommen, ist dabei nur ein Detail in einem größeren Diskurs: Für die einen sind die Änderungen im Straßenbild ein sichtbares Zeichen für lebendige Stadtpolitik, für die anderen der Beweis, dass „die da oben“ Autofahrern Schritt für Schritt den Alltag schwer machen.

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Trotzdem gilt Verkehrspolitik dabei bisher eher als etwas Technisches: etwas für Ingenieur:innen, Verkehrsplaner, kommunale Dezernent:innen. Tatsächlich berührt sie aber Grundfragen von Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand. Deutschland ist Transitland, Exportökonomie und über Jahrzehnte nicht nur im Verkehr, sondern auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt Autoland. Der Mittelstand ist auf verlässliche Logistik angewiesen, Millionen Menschen pendeln täglich zur Arbeit. Kaum ein Politikfeld greift so direkt in Routinen und Lebensentwürfe ein – und eignet sich damit so sehr als Bühne für Populismus.

Unsere erste These lautet in diesem Zusammenhang: Verkehrspolitik ist überladen mit Symbolik. Ökonomisch lassen sich viele Fragen nüchtern beschreiben: Lärm, Staus und Emissionen sind negative externe Effekte, Fehlinvestitionen wirken über Jahrzehnte nach. Politisch wird daraus ein Kulturkampf. Parklets und Pop-up-Radwege stehen nicht nur für eine andere Flächenaufteilung, sondern für das Gefühl, dass eine urbane Minderheit nicht nur Lebensrealität, sondern auch die Lebensleistung vieler Bürger abwertet. Das „Verbrennerverbot“ scheint in manchen Kreisen ähnliche Ohnmachtsgefühle auszulösen, wie es vielen Ostdeutschen im Zuge der wirtschaftlichen Umbrüche in der Nachwendezeit widerfuhr. So wie zuweilen auf Kritik an der DDR allergische Reaktionen folgen, scheint es auch im Mobilitätssektor zu funktionieren: E-Fahrzeuge als „Treuhand“ der 2020er Jahre.

Bild: bpö
Max Zombek

Max Zombek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Mikroökonomie der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus – Senftenberg.

Zweite These: Psychologie und Anreizstrukturen verzerren, wie wir Verkehrspolitik wahrnehmen. Die Forschung zeigt, dass sichtbare, alltagsnahe Themen politische Entscheidungen von Wählern überproportional prägen. Wer täglich im Stau steht oder mit dem Rad an der vierten Baustellenampel wartet, macht Verkehrspolitik eher zur Wahlentscheidung, auch wenn Klimaschutz, Löhne oder soziale Sicherung objektiv wichtiger wären. Zugleich wechseln Menschen ständig die Rolle: mal Autofahrer, mal Fußgänger, mal ÖPNV-Nutzer, mal Elternteil mit Kinderwagen. In jeder Rolle werden andere Kosten und Zumutungen erlebt, und jede Seite neigt dazu, das eigene Verhalten zu idealisieren und die anderen zu problematisieren.

Kommunalpolitiker tragen für Fehlentscheidungen im Verkehr selten unmittelbare Verantwortung

Aufseiten der Politik wirken ähnliche Verzerrungen. Kommunalpolitiker tragen für Fehlentscheidungen im Verkehr selten unmittelbare Verantwortung. Anders als die Kioskbetreiberin, die ohne Kundenparkplatz schnell Umsatzeinbrüche spürt, erleben sie die ökonomischen Folgen schlecht gesetzter Anreize nur indirekt. Zuständigkeiten sind zwischen Kommune, Land, Bund und Verkehrsbetrieben zersplittert, Förderprogramme sind kompliziert, Legislaturperioden vergleichsweise kurz. Das begünstigt symbolische Politik: lieber ein sichtbares Projekt mit schöner Pressemitteilung als das mühsame Feilen an Tarifen, Taktungen und Baustellenmanagement.

Bild: bpö
Benedikt Schmal

ist Ökonom und forscht im Bereich Wirtschafts­theorie an der TU Ilmenau. Seine Schwerpunkte liegen auf der Industrie-, Institutionen- und Wissenschafts­ökonomik.

Und zuletzt kollidieren bei vielen städtebaulichen Maßnahmen oft kurzfristige Änderungen der Verwaltung mit langfristigen Konsumentscheidungen der Bürger:innen: Wer sich für ein Auto entscheidet, um zur Arbeit zu kommen, tätigt eine Investition für viele Jahre. Fallen dann die Parkplätze vor dem eigenen Wohnblock weg, wird die Kaufentscheidung zu einem Problem. Umgekehrt ist es ähnlich: Schafft man das Auto ab, um sich voll und ganz auf den ÖPNV zu verlassen, und wird dann die Taktung ausgedünnt, wird aus der Verkehrswende schnell Verdruss. Was für Po­li­ti­ke­r:in­nen und Planer wie ein kleiner Eingriff wirkt, kann Bür­ge­r:in­nen nachhaltig frustrieren und für populistische Scheinlösungen öffnen.

Unsere dritte These lautet deshalb: Verkehrspolitik sollte ein Prärogativ, also ein Vorrecht, demokratischer Aushandlung sein. Gerade weil es um knappen Raum, reale Zeitverluste und Verteilungskämpfe geht, taugt sie nicht für technokratische Abkürzungen. Expertengremien und Gerichte können helfen, Fakten zu sortieren und Rechte zu schützen. Doch die Entscheidung, wie viel Platz Autos, Fahrräder, Lieferverkehr und Aufenthaltsqualität bekommen, lässt sich nicht „objektiv“ berechnen. Sie muss transparent und streitbar politisch getroffen werden und die Langfristigkeit und (Ir)reversibilität individueller Konsumentscheidungen mitdenken.

Eine liberale Demokratie darf diesen Konflikten nicht ausweichen. Sie muss offenlegen, welche Zielkonflikte es gibt, welche Gruppen gewinnen, welche verlieren und aushandeln, welche Kompromisse wem zumutbar sind. Dazu gehören Verfahren, in denen Betroffene nicht nur informiert, sondern tatsächlich beteiligt werden: vor Ort, konkret, mit Einblick in Zahlen und Nebenwirkungen. Verkehrspolitik entscheidet über mehr als Haltestellen, Fahrpläne und Stellplätze. Sie entscheidet darüber, ob Bürger den Eindruck haben, dass ihre Lebensentwürfe von der Politik gesehen und respektiert werden. Wo dies tatsächlich passiert, sinkt die Versuchung, in Parklets oder D-Tickets nur den nächsten Beweis für Bevormundung zu sehen. Wo er fehlt, werden selbst kleine Maßnahmen zur Projektionsfläche tief sitzenden Frusts und Katalysatoren für Populismusoffenheit.

Gerade deshalb liegt in der Verkehrspolitik unterschätztes Potenzial für die Demokratie: Sie zwingt uns, über Freiheit, Verantwortung und Fairness nicht abstrakt zu streiten, sondern dort, wo es buchstäblich eng wird: auf der Fahrbahn, auf dem Radweg, am Bahnsteig. Wie wir diesen Streit organisieren, sagt am Ende mehr über den Zustand unserer Demokratie aus als die Frage, ob am Ende ein Parklet oder ein Parkplatz steht.

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5 Kommentare

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  • Kluge Analyse, doch wie der Artikel ja selbst durchscheinen lässt: das Thema ist nicht komplett Kopfsache. Das "Land" als den neuen "Osten" darzustellen ist eine für mich neue Zuspitzung, die wohl politisch gesehen nur bedingt weiterführt. So sind die Ressourcen nicht.

    Einbindung hilft wohl empirisch. Dabei darf halt nur nicht die Verantwortlichkeit der gewählt Verantwortlichen vollends weitergekippt werden, sondern Klarheit hilft dabei.

  • Sehr gut! Ich stimme zu, mehr Demokratie und Subsidiarität bei einem Politikfeld zu wagen, das auf der einen Seite keine elementaren Menschenrechte betrifft (es gibt kein Grundrecht, überall parken zu können z.B.) und bei dem auf der anderen Seite alle Menschen mitreden können. Der Teufel steckt im Detail. Wie könnte man solche Anlieger-Verkehrsentscheide institutionalisieren? Die Seilbahn von St.Pauli zum Musical wurde wegen berechtigter Gentrifizierungsangst und Folgeverkehr abgelehnt. Der Hoch-Radweg an der Elbe ist als Fortsetzung des Elbe-Radweges präsentiert worden nicht als Zubringer für die Anlieger und musste ebenfalls scheitern. Die Testquartiere für rollende Roboter dagegen konnten einfach über die Köpfe der Bürger durchgedrückt werden, weil ihre Konsequenzen in der Testphase nicht sichtbar sind und der Verkehrsversuch noch keinen Anlass für Widerstand bot.

    Warum sollen nicht alle Anlieger eines Straßenabschnitts über die Widmung des öffentlichen Raumes selbst entscheiden können? Mindestens alle reversiblen Entscheidungen (z.B. Tempolimit, Widmung, Vernetzung, rückbaufähige Infrastr.) könnten in einem von der Kommune gesteckten Rahmen zur Wahl gestellt werden.

  • Danke an die beiden Redakteure für diesen ausgewogenen und nachdenklichen Artikel. Sie haben da einen Punkt, dass die Gesellschaft bei solchen persönlich treffenden Themen stark eingebunden werden muss. Dann kann man vielleicht auch unangenehme, aber notwendige Änderungen ohne Frust und Verschwörungstheorien akzeptieren. Das könnte sich in vielen ländlichen Gebieten, nicht nur in Ostdeutschland, positiv auf die dort zunehmende politische Radikalisierung auswirken.

    Gerade für mich als Westdeutschen, war diese Radikalisierung bisher unbegreiflich, ja regelrecht abstoßend. So erweitert sich das Blickfeld. Danke TAZ.

  • Guter Text und schöne Gedanken.

    Ergänzend könnte man noch anmerken, dass "Sie muss offenlegen, welche Zielkonflikte es gibt, welche Gruppen gewinnen, welche verlieren und aushandeln,...." nicht immer die Lösung ist. Eine umfassende vorausblickende Umsorge wird a) oft nicht gelingen und b) kann den Anschein einer Bevormundung erwecken. Nach dem Motto, was auch immer ihr vorbringt, wir haben schon daran gedacht und weiteres nicht nötig. Durch wertschätzende Auseinandersetzung muss der Kompromiss gefunden werden, im Idealfall so, dass kaum einer einen Nachteil hat, bzw. an anderer Stelle einen Vorteil bekommt.

    PS Wer ein Parklet haben möchte, sollte sich für die Sauberkeit und den Erhalt einsetzen, zur Not auch durch Anpacken.

  • Was eigentlich ist nun ein Parklet?