Verkehrsplaner zur IAA: „Fetisch individuelle Mobilität“
Verkehrsplaner Michael Mögele beteiligt sich am Gegenkongress zur IAA. Die Autoindustrie nur als Feindbild zu sehen, findet er aber problematisch.
taz: Herr Mögele, die IAA will jetzt keine Automesse mehr sein, sondern ein „Mobilitätsevent“. Hat die Industrie die Zeichen der Zeit erkannt?
Michael Mögele: Wie man in München dieser Tage sehen kann, hat die Gesellschaft die Zeichen der Zeit durchaus erkannt – die Messe wird von institutionalisierten Protesten wie Gegenkongressen begleitet. Von der Industrie kann man das nicht unbedingt behaupten. Der Verband der Automobilindustrie schreibt der individuellen Mobilität immer noch einen überhöhten Stellenwert zu. Das sind nicht die Zeichen der Zeit.
Was ist an individueller Mobilität schlimm? Ein Fahrrad dient ja auch der individuellen Fortbewegung.
Aber die Industrie fetischisiert das Individuelle geradezu, und das ist problematisch. Mobilität hat immer Konsequenzen für Menschen und Natur, beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Es geht dabei auch um Raumknappheit und Ressourcenknappheit. Der Industrie geht es hauptsächlich darum, ihren wirtschaftlichen Fortschritt zu sichern, aber das ist nur ein Aspekt von vielen, und der funktioniert natürlich am besten, wenn jeder sein eigenes Gerät besitzt.
29, promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Strukturwandel in der Autoindustrie und wurde vom Kolleg „Mobil.lab“ der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.
Die Messe behauptet, auf dem direkten Weg in eine CO2-neutrale Zukunft zu sein. Was ist da dran?
Wenn diese Zukunft durch eine „klimaneutrale Automobilität“ verwirklicht werden soll, haben wir nichts geschafft. „Klimaneutral“ wird meist reduziert auf eine CO2-Bilanz. Das ist aber verkürzt, es hängt zum Beispiel auch der Ressourcenverbrauch in der Produktion daran. Die Zukunft der Mobilität wird einfach nicht die Automobilität sein.
Wie groß ist die Bereitschaft in der Branche, sich vom eigenen Auto als zentralem Transportmittel abzuwenden?
Der Wille zur Abkehr vom eigenen PKW wird da sein müssen. Nur ist das eben der Kern des Geschäftsmodells der letzten Jahrzehnte, deshalb ist es so schwierig. Das Leitbild war: Man ist individuell mobil, das bedeutet Fortschritt, man kann ein selbstbestimmtes mobiles Leben führen, und das hängt am eigenen PKW.
Woher soll der Druck auf die Branche kommen? Die meisten Haushalte werden ihr Auto nicht freiwillig abschaffen.
Viele Haushalte haben ja gar kein Auto. Das wird zwar immer anders dargestellt, aber zum Beispiel sind in München 44 Prozent der Haushalte autofrei. Der Druck muss von unten und oben kommen. Die Beschäftigten müssen Druck machen und die Proteste müssen sie einbinden. Von politischer Seite muss man sich damit auseinandersetzen, dass Mobilität reguliert gehört.
Welche politische Vorgabe müsste sofort umgesetzt werden?
Bei Tempolimits gibt es keinen rationalen Grund, sie nicht einzuführen. Es wäre auch eine Ansage an die Produktion, es würde ja keinen Sinn mehr ergeben, dass ein Auto 250 fahren kann. Aber das wird sich nach der Bundestagswahl zeigen. Darüber hinaus ist die Mobilitätswende eine gesamtgesellschaftliche Frage, sie kann nicht nur auf politischer oder nur auf Konzernebene gelöst werden, sondern gemeinsam.
Das heißt auch: mit der Autoindustrie, nicht gegen sie, wie die Protestierenden proklamieren?
Plakative Slogans wie „Die Macht der Konzerne brechen“ sehe ich kritisch. Für die Antwort auf die Frage „Wie soll die Mobilitätsindustrie aussehen?“ sind sie nicht zielführend. Man muss sich eher fragen: „Was möchte ich mit meiner industriellen Produktion erreichen?“ Und dann zusammen Lösungen finden.
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