Städte gegen Individualverkehr: Autofrei und Spaß dabei
In Addis Abeba wird auf autofreien Straßen getanzt, in Melbourne sind viele Tramlinien gratis. Was die Städte weltweit tun, um das Auto zu verdrängen.
Berlin taz | Weltweit gibt es Bemühungen, die Innenstädte stärker auf Menschen und weniger auf Autos auszurichten. Die Erfahrungen weltweit zeigen allerdings, wie schwierig die Umsetzung ist. Das Auto gilt vielerorts immer noch als das Maß aller Dinge. Verkehrsberuhigt oder gar autofrei sind deshalb meistens nur einzelne Straßen der Innenstadt, nicht ganze Bezirke. Einige Beispiele.
Paris
In Paris gab die Bürgermeisterin Anne Hidalgo Anfang Mai bekannt, Personenkraftwagen bis zum Jahr 2022 aus einem kleinen Teil der Innenstadt zu entfernen. Wo die Grenzen gezogen werden sollen und welche Fahrzeuge ins Zentrum dürfen, sollen Bürger:innen mitbestimmen dürfen. Räder, Busse, Taxen und Lieferverkehr sollen weiterhin verkehren dürfen.
Barcelona
In der Hauptstadt Kataloniens wurde am 11. Mai flächendeckend eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Stundenkilometern im Stadtgebiet eingeführt. Zudem existieren in Barcelona sogenannte „Superilles“ (Superblocks), die ehemals zweispurige Straßen in eine Auto- und eine Fuß-, Rad- und Vergnügungsstraße für Freizeitgestaltung trennen.
Beide Initiativen verfolgen das Ziel, durch den reduzierten Autoverkehr mehr Sicherheit für den Fuß- und Radverkehr zu ermöglichen. Verkehrsexperte Axel Friedrich plädiert allerdings für eine noch effektivere Geschwindigkeitsbegrenzung für Innenstädte: „Wir bräuchten Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen mit Menschen, das ist nämlich die Geschwindigkeit der Radfahrer. Dort, wo sich Rad, Fußgänger und Auto begegnen, benötigen wir aber Tempo 20. Wir müssen die Differenzgeschwindigkeit zwischen Auto und Rad verringern, sonst verringert sich auch nicht die Zahl von getöteten Fuß- und Radfahrern“, sagt der ehemalige Abteilungsleiter des deutschen Umweltbundesamtes, der heute für die Deutsche Umwelthilfe arbeitet.
Hongkong
Die Metropole in Ostasien mit ihren über 7,5 Millionen Einwohner:innen und 263 Inseln hat mehrere Orte, die frei von Autoverkehr sind. So ist beispielsweise Discovery Bay auf Lantau Island eine Zone, in der private PKWs und Taxen keinen Zutritt haben – dabei liegt hier auch der internationale Airport. Die Menschen, die am Flughafen ankommen, fahren anschließend mit der U-Bahn ins Stadtzentrum.
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Der Verkehr im Discovery Bay mit über 20.000 Bewohner:innen besteht aus mehreren Linienbussen, Fähren, Fahrrädern sowie Golfcarts. Die Shuttlebusse und Fähren sind 24h in Betrieb und fahren regelmäßig, womit sie die Mobilität auf den Inseln ermöglichen. Um die Mobilität von Tourist:innen sicherzustellen, gibt es Standorte, an denen Leihräder gemietet werden können.
Quito
Die am höchsten gelegene Hauptstadt der Welt hat ein riesiges Autoproblem – knapp 70 Prozent der über 2 Millionen Bewohner:innen nutzen aktuell das Auto als bevorzugtes Fortbewegungsmittel.
Deshalb gilt noch bis Ende Juni eine Fahrzeugbeschränkung zwischen 6 Uhr morgens und 20 Uhr abends namens Hoy no Circula. Der Plan sieht vor, dass nur Autos mit bestimmten Endziffern an festgelegten Wochentagen fahren dürfen. Vom Plan betroffen ist der Districto Metropolitano von Quito, ländliche Gemeinden sind ausgeschlossen.
In einem rotierenden System entlastet das angeblich die Stadt um mehr als die Hälfte des ursprünglichen Individualverkehrs, die Zahl der NutzerInnen der öffentlichen Verkehrsmittel ist um 50 Prozent gestiegen.
Melbourne
Die zweitgrößte Stadt Australiens mit ihren 5,53 Millionen Menschen entschied sich vor zwei Jahren, ihre Innenstadt fuß- und fahrradfreundlicher zu gestalten. Der ÖPNV ist gut vernetzt, die innerstädtische Straßenbahn kostenfrei. Den Anfang machte die Linie 35, die das Zentrum der Stadt umrundet. Inzwischen wurde die Gratisbeförderung auf weitere Tramlinien erweitert. Außerdem wurden in Melbourne mehr Fahrradwege gebaut und weite Teile der Innenstadt vom Autoverkehr befreit. Bei dem betroffenen Bereich rund um die Elizabeth Street handelt es sich allerdings ausschließlich um die Haupteinkaufsstraße.
Addis Abeba
Im Jahr 2015 wurde in Äthiopiens Hauptstadt eine vollelektrische Straßenbahn eingeweiht, die den Norden mit dem Süden verbindet und 17 Kilometer zurücklegt. Die Einführung der Bahn führte dazu, dass Bewohner:innen eine kostengünstige Alternative zu Minibus-Taxen hatten.
2019 beschloss die Regierung, den Autoverkehr monatlich an einem Sonntag zu reduzieren. Bis zu 15 Kilometer Straße werden an diesen Tagen für motorisierten Verkehr gesperrt. „Durch zu hohe Geschwindigkeit können wir Menschenleben verlieren. Wir müssen unsere Geschwindigkeit kontrollieren“, sagt die äthiopische Verkehrsministerin Dagmawit Moges. Die NGO Ethiopia Skate nutzt die Straße an diesen Tagen dafür, benachteiligten Kindern skaten beizubringen, die Tanzcrew Destino Dance führt eine Performance auf – viele mit Bewegungsbeeinträchtigung machen hier mit.
Leser*innenkommentare
VigarLunaris
Das Problem dabei wird werden das Autos nicht ohne Grund existieren. Oftmals sind Lebensumstände und Notwendigkeiten auf das verfügbare KFZ eingestimmt und darauf, das man fast immer und überall und zu jeder Zeit irgendwo hinkann oder einfach größere Mengen an Material transportieren kann.
Wenn ich an unseren letzten Aufenthalt in einer Großstadt zurückdenke, war es für uns erst einmal schwer zu realisieren, die Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu bestreiten. Von "außen" Komment, direkt bis an den Ort, wo man hinmöchte, war kein Problem. Die passenden Linien, Busse und S-Bahnen zu wählen erwies sich hingegen schon als ein ziemlicher Akt. Wir hatten das bei einem zweiten Besuch dann damit probiert und konnten nur sagen: "Gott sei dank ist das Auto da". Und das in Berlin, wo man eigentlich ein gut ausgebautes und funktionierendes Netz erwarten dürfen sollte. Also Tempo 30 oder gar verbannen? - Klar macht mal, aber dann zieht auch die anderen Parameter nach, damit alles nahtlos läuft.
Gummistiefel
30 km/h in Innenstädten ist doch eine gute Sache. Die Differenzgeschwindigkeit zum Radfahrer wird dadurch geringer.
Aus Statistiken weis ich, dass die Warscheinlichkeit bei einem Zusammenstoß zu sterben mit einem Fahrzeug mit 50 km/h 10mal höher ist als bei einem Fahrzeug mit 30 km/h.
Zudem sinkt bei 30 km/h der Anhalteweg signifikant.
Vorteile zusätzlich:
weniger Verkehrslärm, weniger Abgase
Zudem würde ich die max. Unterstützungsgeschwindigkeit von Pedelecs auf 30 km/h erhöhen. Dann bewegen sich die meisten Radfahrer mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Autos. Ein Überholen ist dann gar nicht meht nötig. Der Verkehr bewegt sich mit einer gleichmäßigen Geschwindigkeit. Die Angst mancher Radfahrer auf der Straßen zu fahren wird langsam verschwinden. Die Kosten für den Ausbau von getrenneten Radwegen kann eingespart werden.
Auf lange Sicht werden viele Metropolen ihre Innenstädte erst für Verbrenner und später für E-Autos dicht machen.
panda
Der Einzelhandel in den Innenstädten stirbt konstant seit Jahren. Die Händler bangen um ihre Existenz. Ohne oder mit weniger Autos wird dies bestimmt besser… Natürlich fahre ich gerne mit 30km/h in die Stadt um keinen Parkplatz zu finden und dann noch ewig zu Fuß oder mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln eng an eng gedrängt mit stinkenden Menschen oder in nach Urin stinkenden Bussen und Bahnen in die Innenstadt zu kommen… wo sowieso nur noch Rentner und dort lebende herumrennen… Was sollte MICH davon abhalten lieber in gut organisierte Einkaufscentren außerhalb der Stadt zu fahren? Ich geb doch lieber das Geld dort aus wo ich eine gute Erreichbarkeit habe, als mich abzumühen und deutlich länger zu brauchen…
Es macht keinen Sinn auf Radfahrer und Fußgänger aufzupassen…
Es macht Sinn eine Helmpflicht für ALLE Fahrenden Verkehrsteilnehmer ohne Überrollbügel zu haben.
Es macht Sinn eine Pflicht zur Verkehrsunterweisung einzuführen für Radfahrer und sonstige Fahrer.
Es macht Sinn eine Kennzeichenpflicht für alles was nicht „Fußgänger“ ist einzuführen. Rotlicht, Unfall und Behinderungen müssen nachvollziehbar sein. Denn ein Radfahrer kann einen Motorradfahrer sogar umbringen!
Jürgen Gojny
So, so, in Addis-Abeba wird auf den Straßen getanzt...und in Tigray gestorben.
Wilhelm Hermann
Warum soll weiger Auoverkehr generell besser für unsere Städte sein? Die Begründung habe ich nicht finden können und die Diskussionen dazu vermisse ich ebenso. Sind denn die Strassenbahnen besser für unsere Städte? Genau das möchte ich infrage stellen. Es ist sogar so, dass die Strassenbahnen im höchsten Maße uneffizient sind. Wer mag, kann gern mit mir wetten und dann kann ich eine Geschichte dazu beibringen...
AlletKlar_Soweit
@Wilhelm Hermann Wäre ja mal gespannt auf Ihre "Geschichte" Herr Hermann, die Wette gehe ich gerne ein.
Inzwischen ein paar Vergleichswerte zwischen Straßenbahn (S) bzw. Bus (B) und Auto (A):
CO2-Ausstoß pro Person: A = 147 g/km - S = 58 g/km
Kohlenmonoxid: A = 1 g/km - S = 0,04 g/km
Platzbedarf: A = 6,9 m² - B = 1,4 m² (bei durchschnittlicher Auslastung)
Sie haben recht - keinerlei Vorteile
- *ironie off*
Quellen: www.vcd.org/themen...ttel-im-vergleich/
zurpolitik.com/201...-rad-in-der-stadt/
Mele
@Wilhelm Hermann Weil die Begründung einfach und trivial ist!
Das Auto verraucht viel Platz und produziert nebst Abgasen auch Feinstaub (viel mehr als alle anderen Verkehrsmittel pro Kopf gesehen).
Was Sie als ineffizient bezeichnen, kann sich ja nur auf die individuelle Zeit, um von A nach B zu kommen handeln. In allen anderen Aspekten sind alle anderen Verkehrsmittel dem Auto überlegen. CO2 Verbrauch, Energieverbrauch, etc. ... (haben Sie bei Ihrer „Analyse“ auch die Parkplatzsuche mit einbezogen?)
Die Räume, die in den Städten dadurch entstehen, können einfach so viel besser verwendet werden (wobei das Bild dabei nicht das beste Beispiel ist). Oder wo trinken Sie gerne einen Kaffee oder einen Tee direkt neben mehrspurigem Verkehr oder eben neben einer verkehrsberuhigten Zone, wo ein paar Fahrradfahrer vorbeikommen und ab und an mal ein Bus oder so??
Ach ja, im Text steht übrigens auch der wichtigste Punkt: WENIGER UNFÄLLE UND VERKEHRSTOTE.
Noch Fragen?
Robert Wilms
@Wilhelm Hermann Das hängt vermutlich an der Definition von "Effizienz". Wenn es nur um Ihren privaten Nutzen als Autofahrer geht, mag das Auto als Verkehrsmittel im Vorteil sein, bezüglich Bequemlichkeit (Gepäckaufbewahrung und -transport, direkte Verbindung und Anfahrt, evtl. auch Geschwindigkeit). Aber Städte sollen eigentlich Lebensraum für Menschen und nicht für Menschen in Autos sein. Allerdings verdrängen Autos die Menschen ohne Autos bereits aus Platzgründen. Würden alle Fahrgäste einer durchschnittlichen Strassenbahn in eine Grossstadt stattdessen mit dem Autobahn, bräuchten sie das zigfache an Platz. Zu dem ist eine kompakte Strassenbahn besser überschaubarer als hunderte Autos, so dass sie die Sicherheit für dritte erhöht. Und solange wir nicht komplett auf E-Mobilität umgestiegen sind, ist es auch für die Luftqualität von Vorteil. Ausserdem geht es nicht nur um den Vergleich Strassenbahn versus Autos, sondern auch der Radverkehr verspürt einen höheren Anreiz durch einen reduzierten Autoverkehr. Letztlich ist es aber eine Frage, wie wir uns eine Stadt vorstellen. Wenn es nur darum geht mit dem Individualverkehr über Hauptverkehrsadern zu rollen (oder vielfach zu stehen) bis man in die Tiefgarage eines Kaufhauses gerät, in dem man etwas kauft, um dann in die nächste Tiefgarage zu fahren, dann bitte. Das ist allerdings nicht meine Vorstellung von einem Stadtleben und eine demokratische Frage, welche Vision wir umsetzen möchten.
panda
@Wilhelm Hermann Natürlich sind die ineffektiv. Fahren immer zu falschen Zeit, sind versifft, man kann nichts mittransportieren und meist eh leer.
Etwas das Leer fährt bei den Tonnen an Gewicht ist mit hoher Wahrscheinlichkeit NICHT effektiv!
jox
Kopenhagen und Bogotá in Kolumbien wären ja noch sehr interessante Beispiele:
de.wikipedia.org/w...3%A1#Ciclov%C3%ADa
en.wikipedia.org/w...Bike_Paths_Network
Spannend und durchaus nachahmenswert ist hier im Fall Bototás, dass die Sperrung der Hauptstrassen beim sonntäglichen Ciclovía das Sicherheitsproblem löst, das sich beim Radfahren im dichten Alltagsverkehr ergibt. Dadurch wird auch der Radverkehr insgesamt populärer.
fly
Tröpfchen für Tröpfchen....
Aber die meisten Tröpfchen, ausser vielleicht Barcelona, sind schon noch ziemlich klein.
Obacht bei der Bildauswahl:
"... weite Teile der Innenstadt, wie hier in Victoria, sind autofrei"....
Die Autos im Hintergrund sind dann wohl nur Kunstobjekte, die an ehemalige Autos erinnern. Oder?
Elvenpath
@fly Was genau haben Sie denn an der Formulierung "weite Teile" nicht verstanden?