Verhaltensevolution bei Krähen: Krah, krah, krah

Krähen meucheln Amseln, foltern Ratten und attackieren Menschen. Wollen sie nur ihre Brut schützen oder sind sind sie im Faken so gut wie wir?

Ein Rabenvogel im Landeanflug

Rabenvögel: Fiese Typen oder Nestbeschützer? Foto: Carlos E. Serrano/Getty Images

Nicht mal die taz ist noch sicher. Kollegin M. warnt im internen Mailverteiler: „Eben wollte ich in einer Pause über die Dachterrasse spazieren. Das passte einer grau-schwarzen Krähe nicht. Sie flog mich erst mit ihren Krähenrufen an, fast ins Gesicht. Dann noch mal von hinten, die Krähenfüßchen streiften durch mein Haar. Ich habe den Rückzug angetreten.“

Kein Ausnahmefall. Berichte über Aggrokrähen häufen sich. Gerade in Städten scheinen die Rabenvögel immer häufiger arglose Passanten aus der Luft zu attackieren. Am Berliner Robert-Koch-Institut hängen am Zaun bereits Warnschilder – nicht etwa vor Querdenkern, sondern vor Krähen. In Passau musste im letzten Jahr eine junge Frau ins Krankenhaus, nachdem sie auf dem Fahrrad von einer Krähe so heftig bedrängt wurde, dass sie stürzte. Was ist da los?

Die Dramaturgie solcher Texte gebietet es, dass jetzt der Tier-Erkläronkel daherkommt und ruhig darlegt, wieso das alles ganz normale Vorgänge sind, die lieben Vögelchen niemandem Böses wollen, nur ihr Nest beschützen, und dass der Eindruck, solche Zwischenfälle häuften sich, ganz falsch sei. Aber stimmt das?

Tier­schüt­ze­r:in­nen fast beleidigt

Der RBB berichtet aus Finsterwalde (!) im Landkreis Elbe-Elster (!!) von beunruhigenden Vorfällen. Kolkraben stürzten sich dort auf Kälber und „hacken den Tieren die Augen und ­Gedärme aus“. Besonders infam: Die Vögel warteten mittlerweile auf Geburten von Kälbern. Grund sei die Schläue der Raben. Die unappetitlichen, aber ­ergiebigen Verhaltensweisen hätten sie sich voneinander abgeguckt, jedwede Vergrämungsversuche von Lautsprechern bis zu Schreckschussanlagen hätten die pfiffigen Vögel als harmlos enttarnt und ignoriert.

Fürsprecher verteidigen das Abschussverbot stets damit, dass die Meuchelmorde an Singvögeln nicht so häufig vorkommen und für die Opferpopulationen nicht schädlich seien. Fast beleidigt hält der Nabu auf seiner Website fest, dass die anderen außerdem angefangen hätten: „Wer würde wohl auf die Idee kommen, die Reduzierung der Amseln zu fordern, nur weil sie Regenwürmer fressen?“

Sie seien nun einmal Aasfresser, und irgendwer muss schließlich all die heruntergefallenen Dönerschnipsel aufsammeln! Und die Ratten. Nebelkrähen wurden dabei gefilmt, wie sie eine sich heftig wehrende Ratte am Schwanz auf die Straße gezerrt haben, um sie von einem Auto überfahren zu lassen. Danach war sie Aas und konnte straffrei aufgepickt werden.

Superhirne der Tierwelt

Rabenvögel gehören zu den Superhirnen der Tierwelt wie Delfine und Menschenaffen. Offenbar sind sie nicht nur in Sachen Intelligenz menschenähnlich, sondern auch in Charakterfragen. Es scheint so, als hätten einige Krähen einfach Spaß daran, Menschen zu lustigem Quietschrufen und Armgewedel zu provozieren.

Rabenvögel haben gelernt, Stöcke als Werkzeuge einzusetzen, um Käferlarven aus Bäumen herauszuprokeln, aber auch, Nüsse vor am Zebrastreifen haltende Autos zu legen, damit diese sie beim Losfahren für sie knacken. Wenn Forschende ihr schönes Gefieder mit roten Punkten verunziert haben, versuchen sie, sobald sie das Malheur im Spiegel sehen, die Kleiderordnung wieder in Ordnung zu bringen. Sie erkennen sich also nicht nur selbst (Ichbewusstsein!), sie sind auch noch eitel. Untereinander menscheln sie: Sie erkennen sich individuell, bilden Hierarchien, und Weibchen, die sich mit ranghöheren Männchen paaren, steigen im Sozialgefüge auf. #ravetoo, Julian Reichelt – bist du noch wach?

Kolkraben können die menschliche Sprache sogar besser lernen als Papageien. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen bei ­Caren ­Miosga im Einzelgespräch sitzt und ­erklärt, dass sie nur deshalb verstärkt in die großen Städte gezogen sind, weil ihre ursprünglichen Lebensräume durch die moderne Landwirtschaft zerstört wurden und sie in den aufgeräumten Fluren weder ausreichend Nist­gelegenheiten noch genug Futter finden.

Sie könnten darauf hinweisen, dass einige von ihnen sogar vom Aussterben bedroht sind. Aber auch, dass sie letztlich nichts anderes machen als wir Menschen: mit mitunter moralisch fragwürdigen Methoden für leckeres Essen sorgen und etwas Spaß haben. Nur dass sie, verglichen mit uns, dabei nicht gleich ihre eigene Existenzgrundlage gefährden. Wie gesagt: Sie sind ganz schön schlau!

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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