Verhältnis zu Russland: Armenien geht auf Distanz
Armenien fühlt sich von Russland im Konflikt mit Aserbaidschan im Stich gelassen. Die Absetzbewegungen werden stärker – was den Kreml erzürnt.
D rohen und erpressen gehört zum Instrumentarium russischer Außenpolitik. Gerade hat Moskau die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus avisiert, jetzt ist mal wieder Armenien dran. Sollte sich Jerewan „erdreisten“, das Römische Statut zu ratifizieren, und sich damit der Rechtsprechung des Haager Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) unterstellen, werde das ernsthafte Konsequenzen haben, ist aus dem russischen Außenministerium zu vernehmen.
Die martialische Rhetorik kommt nicht von ungefähr: Nach der Ausstellung des Haftbefehls gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine müsste Armenien den Kremlchef, so er sich in der Südkaukasusrepublik blicken ließe, festsetzen.
Das Szenario ist so abwegig nicht. Das bilaterale Verhältnis war schon besser. Grund ist der bewaffnete Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Bergkarabach, der auch die territoriale Integrität Armeniens bedroht. Und dessen selbst ernannte Schutzmacht Russland? Bleibt weitgehend passiv, da bekanntermaßen andernorts beschäftigt.
So fühlt sich Jerewan, auch ob der militärischen Überlegenheit Aserbaidschans, zu Recht im Stich gelassen. Anzeichen für die wachsende Unzufriedenheit sind auch Forderungen nach einem Austritt aus dem von Moskau geführten Militärbündnis „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS), die schon seit Monaten laut werden. Sollte das Parlament in Jerewan die Ratifizierung des Statuts auf den Weg bringen, wäre das ein weiteres Zeichen für Absetzbewegungen der Regierung Nikol Paschinjans von Moskau.
Die aktuelle Armenien-Causa zeigt jedoch erneut etwas anderes: Dass Russland auf internationale Rechtsinstitute pfeift und in seinem Hinterhof weiter frei agieren will – zu welchem Preis auch immer. Friedensverhandlungen mit der Ukraine? Die Hoffnung, der Kreml werde sich an Vereinbarungen halten? Von wegen! Wie viel Anschauungsmaterial braucht es noch?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja