Vergewaltigungen in Guatemala: Die Frauen haben keine Angst mehr
In Guatemalas Bürgerkrieg wurden Frauen von Militärs vergewaltigt. 2016 gewannen erstmals Opfer vor Gericht. Die Entschädigung steht aber aus.
Sepur Zarco liegt im Nordosten Guatemalas am Rande der Ölpalmenregion von Izabal und ist fünf Fahrtstunden von Guatemala Stadt entfernt. Das Militärcamp, das dort war, haben Demesia Yat und ihre Mitstreiterinnen in traumatischer Erinnerung. „Dort haben wir unser Martyrium erlebt, wurden festgehalten, vergewaltigt, mussten den Soldaten über Monate zu Diensten sein. Das haben wir nach langem Schweigen angezeigt und seit dem Prozess haben wir einen Anspruch auf das Areal“, sagt sie. Dort wollen sie sich mit ihren Familien niederlassen und einen Ort der Erinnerung schaffen.
Der Prozess war ein Wendepunkt im Leben von Demesia Yat. Sie gehört der Ethnie der Maya-Q’eqchi an, kann weder schreiben noch lesen und hat aus Angst, wie viele andere Frauen auch, lange geschwiegen. „Erst mit der Klage haben wir die Angst überwunden, das Schweigen gebrochen und unsere Würde wiedererlangt. Das ist nicht nur für uns, sondern für alle Frauen in Guatemala wichtig“, meint die Sprecherin des „Colectiva Jalok U“.
Zu diesem Kollektiv haben sich die missbrauchten Frauen der Region zusammengeschlossen. Haupttäter waren zwei Militärangehörige, die sich zu Beginn der 1980er Jahre wie Allmächtige aufführten: Leutnant Esteelmer Reyes Girón und Militärkommissar Heriberto Valdez Asij.
Das Unaussprechbare erinnern
Die beiden sind für die Ermordungen von mindestens sieben Männern, darunter der damalige Ehemann von Demesia Yat, verantwortlich, aber auch für den wiederholten Missbrauch und die monatelange sexuelle Versklavung von mindestens fünfzehn Frauen aus der Umgebung von Sepur Zarco.
Die Frauen des Colectiva Jalok U haben sich 2011, mehr als zwanzig Jahre nach den Taten, entschieden, auszusagen und Klage gegen ihre Peiniger zu erheben. „Wir hatten Angst vor Vergeltung, die beiden Männer liefen hier in der Region frei herum, waren einflussreich“, erinnert sich Demesia Yat. Erst als andere Opfer der Militärgewalt nach Sepur Zarco gekommen seien und ihre Erfahrung schilderten, hätten sie umgedacht.
Ihr fällt es bis heute schwer, sich an das „Unaussprechbare“ zu erinnern, sie muss sich überwinden, dabei half der Kontakt zu den Psychologen der Hilfsorganisation ECAP und später der zur Anwältin Paula Barrios. Erst die Aussagen der Frauen führten schließlich im Februar 2016 zu dem aufsehenerregenden Prozess.
Für viele guatemaltekische Frauen war der Sepur-Zarco-Prozess sogar wichtiger als der gegen Ex-Diktator Efrain Rio Montt, weil er das Thema der sexuellen Gewalt im Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 zum ersten Mal in die Öffentlichkeit trug. Dass zwei Militärangehörige wegen wiederholter Vergewaltigung, sexueller Versklavung und mehrfachen vorsätzlichen Mordes angeklagt wurden, war ein Novum in ganz Mittelamerika.
Warten auf das Land
Als die beiden Angeklagten am 26. Februar 2016 von der Richterin Yassmín Barrios und ihren beiden Kollegen einstimmig für schuldig befunden und zu Haftstrafen von 120 Jahren beziehungsweise 240 Jahren verurteilt wurden, war das eine Sensation und zugleich für viele Frauenorganisationen in Mittel- und in Südamerika ein Hoffnungsschimmer.
„Mit dem Urteil hat sich für uns vieles geändert“, sagt Demesia Yat und fährt sich über die graumelierten, zum Zopf zusammengebundenen Haare. „Heute werden wir in der Gemeinde respektiert, nicht mehr als Soldatenbräute diskriminiert. Das ist viel wert, aber wir warten weiterhin auf die vollständige Umsetzung des Urteils. Uns fehlt noch das Wichtigste“, sagt sie: das Areal der einstigen Militärbasis.
Sie ist es leid darauf zu warten, dass der guatemaltekische Staat die Wiedergutmachungsleistungen erfüllt, zu denen er verurteilt wurde. Im Urteil ist festgelegt, dass die Schulsituation sowie die Gesundheitsversorgung in der Region verbessert und dass das Grundstück, auf dem sich das Militärcamp befand, vom Staat gekauft werden muss. Es soll den Opfern zugutekommen.
Auf dem Gebiet wollen die Opfer ein Sozialzentrum sowie einen Ort der Erinnerung aufbauen, aber auch in den Häusern wohnen, die die Regierung ihnen bauen muss. Das ist die einzige persönliche Entschädigung, die die fünfzehn Frauen, von denen eine bereits vor Prozessbeginn verstarb, verlangt haben.
Regierung und Militärs sind eng verbandelt
Das Urteil hat zwar Bestand, jedoch haben längst nicht alle betroffenen Frauen die Energie von Demesia Yat. Sie fährt weiterhin nach Guatemala-Stadt, zeigt Präsenz und wird gemeinsam mit Anwältin Paula Barrios und ihrem Team von der Frauenorganisation Mujeres tranformando el Mundo (Frauen, die die Welt verändern) in den Ministerien vorstellig und fordert die Umsetzung des Urteils ein.
Rosa Tuil, die direkt um die Ecke der Kirche von Sepur Zarco auf dem Grundstück ihres Sohnes lebt, ist müde. „Wir stehen mit leeren Händen da. Ich habe den Eindruck, dass die Regierung das Urteil nicht interessiert. Vielleicht weil wir Maya, weil wir Indigene sind“, sagt sie genervt und schüttelt den Kopf, so dass ihre langen Ohrringe ins Schwingen kommen.
Sie hat die letzten Fahrten nach Guatemala-Stadt nicht mehr mitgemacht, weil sie weiß, dass die noch amtierende Regierung von Jimmy Morales eng mit den Militärs verbandelt und obendrein korrupt ist.
Das Grundstück ist noch immer in Privatbesitz. Es wurde den Militärs im Bürgerkrieg von einer Großgrundbesitzerfamilie zur Verfügung gestellt – nicht zuletzt, um den Forderungen der Bevölkerung nach einer Landreform entgegenzutreten.
Korrupte Unternehmen und patriarchale Morde
Die Konzentration des Ackerlandes in den Händen weniger Familien war und ist auch heute noch ein Kernproblem in Guatemala. Daran hat sich auch mit dem Friedensvertrag von 1996, der den seit 1960 währenden, extrem blutigen Konflikt beendete, kaum etwas geändert.
„Daran will auch Guatemalas Präsident Jimmy Morales, hinter dem das Militär und ein erzkonservativer und korrupter Kreis von Unternehmern steht, nichts ändern“, meint Paula Barrios, die Anwältin der „Großmütter von Sepur Zarco“ wie die Frauen in Anlehnung an die Mütter des Playa de Mayo aus Argentinien in Guatemalas genannt werden.
„An den patriarchalen Strukturen hat sich nichts geändert. Im Jahresdurchschnitt werden mehr als 700 Frauen in Guatemala ermordet – von ihren Männern, von Vergewaltigern. Kaum eines dieser Verbrechen wird aufgeklärt“, kritisiert Paula Barrios, Juristin und Frauenrechtlerin.
Aufgrund ihrer hartnäckigen Recherchen weiß sie mittlerweile, wem das Grundstück gehört und was der Besitzer dafür haben will. „23 Millionen Quetzales sind es, rund drei Millionen US-Dollar“. Geld, welches die Ministerien in Guatemala-Stadt bisher nicht bewilligt haben.
Immerhin hatte das ständige Insistieren von Barrios und der Frauen um Demesia Yat in drei anderen Punkten Erfolg. Sowohl die Grund- als auch die weiterführende Schule in Sepur Zarco sind renoviert und erweitert worden. Am Ortseingang steht zudem ein weißer Lkw-Anhänger: die mobile Klinik.
Es sind kleine Erfolge, die dazu beitragen, dass Demesia Yat weitermachen will. „Zwar ist es unwürdig, wie die aktuelle Regierung mit uns umgeht, aber ich habe gelernt, dass wir der nachwachsenden Generation ein Beispiel sein müssen. Also kämpfe ich“, sagt sie. Dann blickt sie zu ihren drei Enkelkindern, die gerade durch die Hintertür ins Haus kommen. Am 11. August wird die Stichwahl um die Präsidentschaft in Guatemala stattfinden. Die Chancen, dass eine progressive Regierung übernimmt, stehen nicht allzu gut.
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