Verfrühter Sommerurlaub: An berufstätige Eltern denkt niemand
Jetzt gehen wieder die Debatten um die Fehlzeiten kurz vor Ferienbeginn los. Die wahren Schulverweigerer sind jedoch die Schulen.
S eit zirka zwei Wochen, da begannen die Sommerferien in NRW, werde ich mit Artikeln belästigt, die mir erklären, warum man seine Kinder nicht früher aus der Schule nehmen darf, um billiger in der Urlaub zu fliegen.
Wenn man genauer hinschaut, fällt schnell auf: Wie groß das Problem tatsächlich ist, weiß keiner. Es gibt keine Statistik, die Fehlzeiten vor den Ferien oder eventuelle Bußgeldverfahren wegen eines Verstoßes gegen die Schulpflicht erfasst – nur sporadische Anekdoten von jemanden, der jemanden kennt, der mit einem Schuldirektor verwandt ist oder Bundespolizisten, der schon einmal ein Schulkind am Flughafen gesehen haben will. Die Artikel sollen ganz offensichtlich dazu dienen, Eltern zu ermahnen und zu erziehen. Das ist aber nur einer der Gründe, warum sie mir auf die Nerven gehen.
Der zweite und viel gewichtigere ist, dass die Gegenperspektive vollständig fehlt. Es gibt nämlich ein Phänomen, ich nenne es mal „Vorferien“, das berufstätigen Eltern das Leben schwer macht. Es ist ja nicht nur so, dass ich nicht billig in den Urlaub fliegen darf. Oder mir ein Bein ausreißen muss, bei dem Versuch, mit 32 Urlaubstagen 63 Ferientage betreuungsmäßig abzudecken. So richtig arbeiten soll ich halt lieber auch nicht. Zuverlässig werden in den letzten zwei, drei Wochen vor den Ferien alle Tagesroutinen außer Kraft gesetzt.
Eine kleine persönliche Auswahl der vergangenen zwei Wochen: Mittwoch bis Donnerstag, Projekttage, „der Unterricht endet am Mittwoch und Donnerstag um 12.30 Uhr, am Freitag um 11.25 Uhr, einzelne Projekte können von diesen Zeiten abweichen“. Montag, „Mobilitätstag“ (früher hieß das Schulausflug), ein Kind muss um 8 Uhr da sein, das andere um 10.30 Uhr, dafür muss die Rückfahrt von verschiedenen außerschulischen Lernorten geklärt werden. Dienstag, Sportfest, endet um 13 Uhr. Mittwoch, letzter Schultag, endet um 11.25 Uhr.
Projekttage und Abschiedsfrühstücke
Dazu sind natürlich diverse Dinge zu organisieren: Fahrkarten, Materialien für die Projekttage, Kuchen fürs Picknick, Zeug fürs Abschiedsfrühstück. Ein halbes Dutzend Einverständniserklärungen (die erst im Schulranzen gesucht, unterschrieben und dann hinterhergetragen werden müssen, weil meine Kinder sie grundsätzlich vergessen).
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde soziales Lernen wichtig und gut. Ich glaube sogar, dass es die wichtigsten Lektionen der gesamten Schulzeit enthält – der Schulstoff wird ja eh vergessen oder ist bald überholt. Aber spricht irgendetwas dagegen, es zwischen 8 und 13 Uhr stattfinden zu lassen? Sind mickrige fünf Stunden ungestörter Arbeitszeit am Tag wirklich so viel verlangt?
Aber natürlich beschränkt sich das auch gar nicht auf die Vorferien. Hier erscheint es nur besonders willkürlich, weil es ja organisatorisch leicht vermeidbar wäre. Anders als die Unterrichtsausfälle im gesamten Rest des Jahres, an die wir uns schon gewöhnt haben. In diesem Jahr wurden meine Kinder sogar nach Hause geschickt, damit in der Schule in Ruhe die Abiprüfungen abgenommen werden können.
Natürlich sind die als Schüler einer weiterführenden Schule auch alt genug, um mal ein paar Stunden allein zu bleiben. Nur verbringen sie sie halt vorzugsweise damit, all die Medieninhalte zu konsumieren, die ich ihnen sonst verbiete. Was Lehrer meiner Erfahrung nach auch nicht richtig finden. Wie man es auch dreht und wendet: Berufstätige Eltern sind in diesem System einfach nicht vorgesehen.
Wem darf ich denn eigentlich einen Bußgeldbescheid zustellen für die unzureichende Beschulung meiner Kinder? Gilt diese Schulpflicht immer nur auf der einen Seite? Gut, dass jetzt Ferien sind. Dann muss ich mich nicht weiter aufregen. Und die Kinder müssen nicht so früh aufstehen, bevor sie eh wieder nichts lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“