Verfassungsschützer beim NSU-Prozess: Nichts gehört, nichts gesehen

Ein ehemaliger Mitarbeiter des Verfassungsschutzes war an einem Tatort eines NSU-Mordes. Und will nichts bemerkt haben. Zum „Hitman“ wird er dadurch nicht.

Ayse Yozgat, Mutter des Opfers Halit Yozgat, sprach Beate Zschäpe im Saal direkt an. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Mit Spannung war im NSU-Prozess von allen Prozessbeteiligten die Aussage des heutigen Beamten des Landes Hessen, Andreas T., erwartet worden. T. soll der wichtigste Zeuge zum Mord an Halit Yozgat sein. Mutmaßlich ist dies der neunte Mord des NSU gewesen. Ein BKA-Beamter führte dann auch recht schnell aus, wie er Andreas T. einschätzte – früherer Tatverdächtiger und anhaltende Verschwörungsvorstellungsfigur.

An dem Tag des Todes von Halit war der damalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort, im „Tele-Internet-Café“ der Familie Yozgat. Der Kriminalhauptkommissar sagte, dass T. im Kollegenkreis „Klein Adolf“ genannt wurde und auch im privaten Umfeld diesen Spitznamen hatte, da er in seiner Jugend einschlägig aufgefallen war. Doch als die Polizei gegen ihn wegen Verdacht des Mordes von Halit Yozgat ermittelte, stellten sie fest, dass er nicht „rechtsextrem“ sei.

T., heute 48 Jahre alt, äußerte unlängst selbst, die Bezeichnung „Klein Adolf“ sei als Schimpfwort zu verstehen. Am Tag zuvor hatte der 1,90-Meter große, stämmige T. mit fast kahlem Schädel nur ausgesagt, was er seit sieben Jahren Ermittlungsbehörden und dem NSU-Bundtagsuntersuchungsausschuss berichtet: nichts gehört, nichts gesehen und nichts gerochen zu haben.

Noch vor der Vernehmung löste ein Antrag ein heftiges Wortgefecht zwischen Gericht, Bundesanwalt und Nebenklägern aus. Die Nebenkläger beabsichtigten, die Ermittlungsakten gegen T. in das Verfahren hinzuziehen, da der Verdacht bestünde, T. könne nicht alles erzählen. Fast wäre die Vernehmung gescheitert, doch alle einigten sich erst einmal darauf, sie zu beginnen. Nach wenigen Minuten wurde aber deutlich, dass auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl dem Zeugen nicht so recht glauben wollte.

„Völlig falsch“

Nach vorne gebeugt saß der große Mann auf dem Zeugenstuhl und wurde immer kleiner. „Aus heutiger Sicht war meine Handlungsweise damals völlig falsch“, sagte T., damals V-Mann-Führer für fünf V-Männer in der islamistischen Szene und einen V-Mann im rechtsextremen Spektrum. „Ich kann mir selbst nicht mehr erklären, warum ich so gehandelt habe“, sagte er stockend.

Zuvor hatte T. ausgeführt, an jenem Donnerstag nach seinem Dienst gegen 16.50 Uhr im nahe gelegenen Internetcafé in der Holländischen Straße 82 nur kurz Zwischenstation gemacht zu haben, um Mails zu überprüfen.

Am PC Nr. 2, wie die Ermittlungen ergaben, saß der frisch verheiratete Mann und werdende Vater und surfte bei der Singlebörse ilove.de. Nach etwa zehn Minuten wollte er zahlen, sah Halit Yozgat aber nicht am Tresen, suchte vor dem Geschäft und im Laden. Ohne Erfolg – angeblich. Er legte 50 Cent auf den Tresen und ging.

Hinter dem Tresen fand wenig später der Vater Ismail Yozgat seinen Sohn tot in einer großen Blutlache liegend. Erst am darauffolgenden Sonntag will T., der regelmäßig auch in anderen Internetcafés Datingbörsen besuchte, von dem Mord erfahren haben. Er sei geschockt gewesen, das er das Opfer kannte, sagte T. und erklärte, überlegt zu haben, wann genau er im Laden gewesen sei.

Ergebnis dieser Überlegungen: am Mittwoch, 24 Stunden vor der Tat. Denn laut seiner Stempelkarte habe er an dem Tag früher Schluss gemacht und schloss daraus, danach das Internetcafé aufgesucht zu haben – und nicht am Mordtag, wie die Ermittlungen dagegen bewiesen haben.

„Wie kam es zu der Fehleinschätzung“, fasste Richter Götzl mehrmals nach, und der Zeuge Andreas T. musste sich mehr und mehr als Beschuldigter fühlen. Wie T. als Experte für Observationen nichts bemerkt haben konnte, wollte der Richter wissen, da andere Zeugen zum Tatzeitpunkt sehr wohl etwas gehört hatten. So wie Emre E., damals 14 Jahre alt, der am Dienstag vor Gericht aussagte: „Ich hörte ein dumpfes Geräusch.“

„Angst vor Konsequenzen“

Auch hatte sich T. nicht selbst bei der Polizei gemeldet – aus Angst vor privaten und dienstlichen Auseinandersetzungen. Götzl ließ das nicht gelten. Er hielt T. vielmehr vor, dass seine „Angst vor Konsequenzen“ objektiv völlig unbegründet gewesen wäre, wenn er denn nichts gesehen hätte. „Angst“, so Götzl, hätte T. nur haben können, wenn es anders gewesen sei, als er ausgesagt hätte." „Es war falsch, ich habe es mir leicht gemacht“, sagt T. daraufhin wieder stockend und räumte ein: „Ich war geschockt. Ich komme auch für mich zu keiner logischen Erklärung.“

Wieder fasste Richter Götzl nach: „Die Frage stellt sich, ob Sie sich heraushalten wollten, aus welchen Gründen auch immer.“ Dann räumte er dem Zeugen eine kurze Pause ein. Doch T. blieb bei „dem Trugschluss“, den er selbst „nicht begreift“.

Schon bei den ersten Ermittlungen stellten die Beamten allerdings fest: „Halit Yozgat wurde ziemlich genau um 17:01:25 erschossen. Zu dieser Zeit saß T. an PC Nr. 2 und surfte im Internet.“ Über eine Telefonnummer, die er in einem Internetforum verwendete, fanden die Ermittler den heute 48-Jährigen.

Als die Polizei 2006 weiter ermitteln und mit dem V-Mann aus der rechten Szene sprechen wollte, mit dem T. an dem Tag nach dem Mord telefonierte, wurden sie ausgebremst. Der damalige hessische Innenminister und heutige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) war eingeschritten.

In der Vernehmung im Saal A 101 blieb vieles offen. Wollte T. bloß sein Chatten bei Singlebörsen vor seiner Frau verschweigen? Hatte er Angst, bei einem Mord aussagen zu müssen? Eine weitere Ladung von T. ist geplant – sie dürfte wieder unangenehm für ihn werden. Die Ermittlungen offenbaren aber eins längst: T. ist nicht, wie in Verschwörungsvorstellungen von links und rechts angenommen, der „Hitman“ einer geheimen Geheimdienstzelle, die den NSU instrumentalisierte. Ein professioneller Killer würde kaum in jenem Internetcafé morden, in dem auf den Rechnern seine Daten sind und dazu noch eine Nummer hinterlassen.

Am Mittwoch richtete die Mutter von Halit Yozgat dann eindringliche Worte an die Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe. „Ich bitte Sie, dass Sie all diese Vorfälle aufklären. Weil Sie eine Frau sind, denke ich, dass die Frauen sich gegenseitig verstehen“, sagte Ayse Yozgat. Ihr Schweigen brach Zschäpe nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.