Verbot der Werbung für Abtreibung: Hilfe wird strafrechtlich verfolgt
Der Paragraf 219a wird von vielen Seiten scharf kritisiert. Trotzdem erhebt die Kasseler Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei Ärztinnen.
Gleich dreimal seien sie und ihre Kollegin Natascha Nicklaus im vergangenen Jahr angezeigt worden, sagt Szász. Einmal im Juli, einmal Anfang Oktober und dann noch mal Ende Oktober. Eine der Anzeigen geht auf den Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen aus Weinheim zurück, der auch die Webseite Babykaust.de betreibt, auf der er Ärzt*innen als „Tötungsspezialisten“ bezeichnet, ihre Namen neben Bildern blutiger Föten veröffentlicht und dazu aufruft, sie zu belästigen.
Im September hätten sie erstmals Post von der Staatsanwaltschaft bekommen, sagt Szász. Nun ist diese offenbar zu dem Schluss gekommen, dass ein hinreichender Tatverdacht besteht, um die Ärztinnen anzuklagen. Damit ist es am Kasseler Amtsgericht, über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden. Als sie den Hinweis auf ihre Webseite stellten, hätten die Angeschuldigten in der Absicht gehandelt, für sich zu werben, „um bei Inanspruchnahme der Leistung das entsprechende Honorar vereinnahmen zu können“, heißt es in der Anklageschrift, die der taz in Auszügen vorliegt.
„Das suggeriert ja, dass es uns dabei ums Geld geht“, sagt Szász. „Bizarr“ sei das. „Als Ärztinnen haben wir doch den Auftrag, Frauen zu helfen, die ungewollt schwanger sind. Wer soll das denn sonst tun?“ Sie und ihre Kollegin Nicklaus wollen den Hinweis auf keinen Fall von der Webseite nehmen.
Das Schweigen hat ein Ende
Genau das aber ist es, was viele Ärzt*innen aus Angst vor Anzeigen tun. Andere stellen den Hinweis gar nicht erst auf ihre Seite. Lange Jahre herrschte Schweigen über die Schikane durch Abtreibungsgegner*innen. Das hat sich geändert, nachdem im September 2017 die Ärztin Kristina Hänel angeklagt worden war und sich an die Öffentlichkeit wandte. Im November wurde sie am Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. „Wir knicken nicht ein“, sagt Szász. „Dieses Schweigen muss unbedingt gebrochen werden.“
Maria Wersig, Juristin
Paragraf 219a bestraft nicht nur Werbung mit bis zu zwei Jahren Haft oder Geldstrafe; verboten ist auch, dass Ärzt*innen öffentlich darüber informieren, Abtreibungen vorzunehmen. „Es bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Norm“, sagt Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Falls auch das Gericht dieser Auffassung ist, kann es die Frage direkt dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Ansonsten müssten die angeklagten Ärztinnen den Weg durch alle Instanzen nehmen. „Das kann Jahre dauern“, sagt Wersig. Falls nötig, sind Szász, Nicklaus und Hänel bereit, diesen Weg zu gehen.
Im Bundestag fordern die Fraktionen von SPD, Grünen, Linken und FDP eine Streichung oder Änderung des Paragrafen 219a. Union und AfD wollen daran festhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“