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Veganer Sternekoch Ricky Saward„Ein guter Koch kombiniert im Kopf“

Das Seven Swans ist Deutschlands einziges veganes Sternerestaurant. Küchenchef Ricky Saward über radikales Kochen, Regionalität und Rote Bete.

Er kocht vegan, regional und ohne Gewürze: Ricky Saward Foto: Seven Swans
Interview von Katharina J. Cichosch

taz am wochenende: Herr Saward, vor Kurzem las ich im New York Magazine eine große Reportage mit einer rhetorischen Frage als Überschrift, die ich gern weitergeben würde: „Are Vegetables Winning?“ Ist Gemüse auf dem Siegeszug?

Ricky Saward: Sehr schwierig. Jein! Einerseits bekommt Gemüse natürlich mehr Aufmerksamkeit, der extra Gemüsegang wird zum Marketingfaktor. Man merkt einfach, dass da mehr Kohle drinsteckt. Aber: Als ich 2018 im Seven Swans angefangen habe, gab es in Deutschland drei vegetarische Sternerestaurants, fünf weltweit. Ich war überzeugt, im nächsten Jahr müsste es eine Verdopplung geben. Und danach hundert. Inzwischen gibt es an die elf, weltweit. Das sieht mir jetzt nicht nach einer Revolution aus. Und vegan ist noch mal eine ganz andere Frage.

Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, waren Sie neu im Seven Swans, damals noch mit vegetarischer Küche. Sie sagten: Eigentlich will ich das viel extremer haben. Noch viel einfacher, noch weniger. Was ist daraus geworden?

Weniger? Auf jeden Fall, von der Produktvielfalt her. Die Prognose war also richtig: Wir sind viel radikaler geworden, was Saisonalität, Regionalität, Nachhaltigkeit angeht. Und komplett vegan sind wir auch noch. Das Korsett ist jetzt so eng gezogen, dass es nicht mehr enger geht. Wir verzichten auf Gewürze, bis auf Salz. Das ist tatsächlich ziemlich krass.

Okay, vegan, regional, saisonal, das lässt sich alles nachvollziehen. Aber warum keine Gewürze? Nehmen Sie die Regionalität so wörtlich?

Ganz genau. Außerdem geht es mir in meiner Küche um den eigentlichen Geschmack der Produkte, den ich nicht verfälschen möchte.

Im Interview: Ricky Saward

geboren 1989, kocht seit 2018 im „Seven Swans“ in Frankfurt am Main, das schon vor über zehn Jahren unter der damaligen Küchenchefin Kimberley Unser für ein nachhaltiges Konzept mit haus­gemachten Produkten und Biozutaten stand. Es ist das einzige vegane Sterne­restaurant Deutschlands und eines von wenigen weltweit (ein Stern im Guide Michelin).

Die Zutaten für Ihre Gerichte kommen fast ausschließlich aus eigenem Anbau vor den Toren Frankfurts.

Das war auch für mich ein Kulturschock: Aus der klassischen französischen Küche, wo mit Luxusprodukten um sich geworfen wird, in ein vegetarisches Restaurant zu kommen, und dann kommt auch noch der eigene Anbau dazu. Wann hat überhaupt etwas Saison? Anfangs hatte ich überhaupt keine Ahnung. Zum Glück hat damals noch David Schäfer bei uns gearbeitet. Er hat das Handwerk der Permakultur in Peru gelernt. Zu Hochzeiten, 2019, hatten wir 340 verschiedene Kräuter- und Gemüsesorten auf drei Hektar. Das war Überraschung, jede Woche. Superspannend für meine Azubis und Jungköche. Und dann kam Corona.

Und Sie konnten die 2020er-Ernte wegwerfen?

Nein, gar nicht. Wir haben viel fermentiert oder eingelegt oder anderweitig verarbeitet. Für 2021 hatten wir nur ein bisschen angebaut, vorsichtshalber. Dann wurde plötzlich geöffnet und es fehlte an allem. Das war ärgerlich und nervig. Nun hatten wir viel angesetzt. Aber man kann den Anbau, das tagesfrische Pflücken vom Feld, nicht komplett ersetzen. Jetzt setzen wir uns wieder zusammen und schreiben den Anbauplan. Man will wieder durchstarten, aber im Hinterkopf ist natürlich immer die Angst.

Sie haben in den letzten Jahren viel über Gemüse gelernt, sagen Sie. Gibt es ein Gericht oder ein Produkt, an dem sich das ganz konkret festmachen lässt?

So viele. Beginnen wir mit der Roten Bete: Die war früher so ein Beilagengemüse, was man einfach gekocht, in Butter geschwenkt und gesalzen hat oder püriert. Hauptsache, weich, süß und erdig. Das anders zu machen, hat ein bisschen gedauert. Wir haben den Saft fermentiert, karamellisiert, Eiscreme draus gemacht, roh aufgedreht und fermentiert … Aber das Krasseste war der Rote-Bete-Schinken.

Was hat es damit denn auf sich?

Dafür haben wir die Bete wie rohes Fleisch behandelt, 24 Stunden eingelegt, gewässert, sechs Monate an der Luft getrocknet, kalt geräuchert – das Resultat sah aus und schmeckte hundert Prozent wie Schinken. Selbst die Konsistenz: Dieses Wachsweiche, Zähe. Das war schon ziemlich cool und auch erschreckend, was man alles mit Gemüse machen kann. Auch die Kartoffel ist einfach so vielseitig!

Kartoffelküche neu interpretiert Foto: Seven Swans

Was stellen Sie damit so an?

Als kleiner Junge musste ich so viele Kartoffeln essen, ich habe sie gehasst. Hätte nie gedacht, dass sie wieder so durchstartet bei mir. Allein die Vielfalt an Sorten: Geschmack, Farben, das Visuelle. Die Mehligen, die Knüppelharten, die Buttrigen. Einmal gab es einen kompletten Kartoffelgang: in Erde gebacken, rausgeholt, ausgestochen, noch mal angeröstet, dazu eine ganz dünn gehobelte Kartoffel, mariniert mit Kartoffel-Vinaigrette, dann noch eine Kartoffelhippe … und dazu ein Sud von der Kartoffelschale, nur mit Zwiebel geröstet, bisschen Wein und Brühe dazu, reduzieren – so bekommst du eine tolle Jus hin. Die Schale allein hat so viel Power, so eine tiefgründige Note.

Diese ganzen Limitierungen, sind die eigentlich Ausdruck Ihrer persönlichen Überzeugung? Oder spielt da eher die kreative Herausforderung eine Rolle?

Mittlerweile lebe ich auch privat vegan. Das war allerdings, wie meine Küche, ein Prozess. Denn man kann es sich natürlich leicht machen dabei, mit Limette, Kokosmilch – da gibt’s ja endlose Auswahl, schöne Produkte. Aber mit Nachhaltigkeit hat das an sich nichts zu tun, das ist ja kein veganer Automatismus. Mir ist aber Nachhaltigkeit zu achtzig Prozent wichtig, der vegane Aspekt macht zwanzig Prozent aus. Ich habe oft Gäste bei mir, die sagen, sie ernähren sich bewusst, hin und wieder Fleisch vom Biobauern um die Ecke – das finde ich schön zu hören. So einen Gast finde ich interessanter als einen Veganer, der sich jeden Morgen die Avocado aufs Brot schmiert.

Apropos Gäste: Wer bei Ihnen essen möchte, fährt erst einmal mit dem Aufzug hoch und landet direkt bei den Köchen in der mikrodimensionierten Küche. Der Kontakt war immer schon eng, jetzt machen Sie auch noch den Service selbst – unter Co­ro­na­be­din­gungen für 14, bei voller Besetzung dann für 24 Gäste.

Ja, das war Neuland, mich in die Weine reinzufuchsen. Aber auch keine Geheimwissenschaft – entweder er schmeckt jemandem oder eben nicht. Ich bin natürlich ein bisschen plumper als ein Kellner – erzähle ’ne Runde, und dann wird ausgeschenkt. Und siehe da, es kommt gut an. Ich finde aber ohnehin, Essen ist viel komplexer als Wein. Die Informationsbrücke – was haben wir gemacht, wo gepflückt, was dabei gedacht – das können wir als Köche am besten erklären. Ich schreibe meine Gerichte, ohne sie zu probieren. Ein guter Koch kann im Kopf kombinieren.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Kann es von hier aus eigentlich noch weitergehen? Kann das Seven Swans noch radikaler autark werden? Oder können Sie sich vorstellen, in ein paar Jahren nochmals eine völlig andere Richtung einzuschlagen?

Mein Kochlehrer in der Berufsschule hat immer gesagt: Was ihr nach drei Jahren Lehre perfekt könnt, macht nur das. Versucht nicht, in allem gut zu werden. Damals hab ich ihn dafür belächelt, mittlerweile rate ich das selbst jedem Jungkoch. Die wollen so viel und alles: Gestern Bistro, heute Hotellerie, dann Streetfood, im nächsten Jahr Fine Dining. Man muss seinen roten Faden finden. Ich bin jetzt so langsam dort angekommen, wo es ein rundes Paket wird. Sicher kann man noch feilen: Müll, Wasserverbrauch, Plastik. Das sind so Dinge, die mich beschäftigen – das Drumherumgeschäft.

Zum Schluss noch einmal zu Ihrem aktuellen Menü. Was gibt es im Seven Swans jetzt im Januar, Februar zu essen? Muss man vorgesorgt haben?

Ja, das ist essenziell. Sonst würden wir die langen Wintermonate gar nicht überleben. Wir haben gerade zu achtzig Prozent Fermentiertes auf dem Teller. Unsere stressigste Phase beginnt im März. Gerade die unreife Saison ist super interessant – da werden Vogelkirschen zu Oliven, unreife Feigen und unreife Erdbeeren machen wir ein. Diese grünen Nuancen, die holen wir dann im Winter aus dem Glas und servieren. Die Leute erwarten natürlich jetzt Wurzel- und Rübengemüse, erhalten dann aber doch eine frische, grüne Küche.

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7 Kommentare

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  • Ich denke hier ist mehr Differenzierung notwendig. Zur Einordnung, meine Frau und ich leben vegan und beschäftigen uns laufend damit in Bereichen wie Abfall, CO2 und natürlich Wasserverbrauch besser zu werden.



    Zu diesem Thema empfehle ich die Studie "Kulinarischer Kompass" des WWF. Hier eine Kurzfassung: www.wwf.de/fileadm...usammenfassung.pdf



    In der verlinkten Podcastfolge sprechen die Co-Autorinenn Dr. Ulrike Eberle und Tanja Dräger über einige wichtige Punkte und erklären die Begriffe Wasserknappheitsfußabdruck, blaues, grünes und graues Wasser.



    Eine sehr freie Zusammenfassung einiger Erkenntnisse:



    Betrachtet man die "Ist-Situation" Wo und Wie Lebensmittel produziert werden, ist der Vergleich der absoluten Wassermengen nicht zwingend Zielführend. Avocados und z.B. Mandeln (als Grundlage einer der verbreitetsten Pflanzendrinks) werden meist in ariden Klimazonen angebot (es wird Bewässerung benötigt). So ist es möglich das zwar 10-15 mal so viel Wasser für das Rindfleisch benötigt wird, aber die Avocado oder Mandelproduktion eine wesentlich dramatischer Auswirkung auf die Wasserknappheit an einem spezifischen Ort hat.

    "Kein Nachhaltiges leben in einer nicht nachhaltigen Welt"

    open.spotify.com/e...i=06b5a310cad2462a

  • Immer dieses Veganer*innen-Avocado-Klischee. -.- Sicherlich gibt es wesentlich nachhaltigere Nahrungsmittel als Avodaco und somit sollte mensch davon nicht viel und regelmäßig essen. Wie hoch ist denn aber Wasserverbrauch und CO2-Emissionen im Vergleich zu tierlichen Produkten?



    1kg Avocado - 1000-1500 l Wasser, 850g CO2-äquicvalente



    Rindfleisch 15.000 l Wasser, 10-30 kg CO2-äquivalente



    Statt 3 Rindersteaks könnte mensch also quasi 10 kg (!) Avocado essen!

    • @Uranus:

      Immer diese Rechnungen mit dem Wasserverbrauch -.-

      Schon mal den Begriff "virtuelles Wasser" gehört?



      (Siehe: de.wikipedia.org/w...spiel_Rindfleisch).

      15.000 Liter für ein Kilo Rindfleisch klingt nämlich längst nicht mehr so krass, wenn man bedenkt, dass über 93% davon Regenwasser sind.

      Der zweite Irrtum, den ich in diesem Zusammenhang oft vernehme, ist dass davon ausgangen wird, 1 Kilo Gemüse/Obst würde 1 Kilo Fleisch entsprechen. Fleisch hat aber eine sehr viel größere Energiedichte. Schau mal hier:



      www.bmi-rechner.ne...dichte-tabelle.htm



      Ich will mir nicht mal vorstellen 1 ganzes Kilo Rindfleisch zu essen, da wäre ich wohl zwei Tage satt (und ungesund wärs wohl auch in dieser Menge). Für 1 Kilo Fleisch müsste man zB knapp 10 Kilo Kohl essen.

      Dritter häufig gehörter Irrtum (den Du nicht geäußert hast) wäre übrigens noch, davon auszugehen, man könne überall dort wo Vieh gehalten wird, einfach Gemüse anpflanzen. Die Bodenbeschaffenheit (ja, auch in Deutschland) gibt das aber gar nicht her. Teilweise würde das sogar zu Erosionen führen.

      Von daher finde ich es richtig, was Ricky Saward bzgl "Lifestyle-Veganern" sagt. Es ist eben nicht so einfach wie manche meinen. Am schlimmsten finde ich, dass ausgerechnet die Firmen wie Gutfried oder Tönnies sog. "Fleischersatz" (ist es eigentlich Rind- oder Schweinefleischersatz ?) produzieren. Was früher noch ein Lebensmittelskandal war (Stichwort: Panschen von Fleisch, Analogkäse) wird jetzt mit großem Reibach (30 % Umsatz mittlerweile nur mit vegan) verkauft. Und nein dadurch wird nicht weniger geschlachtet, der Überschuss geht zb nach Afrika.

      Und auch wenn ich schon oft Veganer in Schutz nehmen musste (bin Omnivore), wegen den üblichen dummen Sprüchen und ich insofern das Motiv für Deinen Einwand verstehe, haust Du halt anschließend trotzdem die üblichen Halbwahrheiten raus.



      Und ja, auch ich finde den Fleischverbrauch zu hoch.

    • @Uranus:

      Gerne mal die Quellen checken, welche ich in meinem Post oben genannt habe. Ich möchte noch klar stellen: Ich habe keinen Zweifel das eine vegane Ernährung die einzige zukunftsweisende ist. Ich bin aber überzeugt das man sehr präzise sein muss. Und wenn jemand die These aufstellt: "Eine bewusste omnivore Ernährung (wenig Fleisch/moderat Milchprodukte, regionaler Ursprung (bio)), schneidet beim Wasserknappheitsfußabdruck,der Menge an Verpackungsmüll besser und bei den CO2-Emissionen ähnlich einer "unüberlegte" vegane Ernährung ab." Dann kann ich das nicht ausschließen.



      Natürlich sind politisch gewollte Entwicklungen basis für dieses Ungleichgewicht. Ändert aber nichts an der IST-Situation.

      Gruß

      Felix

    • @Uranus:

      Oh, da fühlt sich jemand auf den Schlips getreten... beide Produkte haben einen enormen Ressourcenverbrauch.

      Ricky Saward, wow - bin schwer beeindruckt, was der Typ macht. Falls der mal ein Anleitungs-/ Kochbuch (für Normalsterbliche) rausbringt, ich bin dabei.

      Interessanter Bericht!

      • @independent:

        Tatsächlich nicht. Ich selbst esse selten Avocado. Ich mag allerdings dieses Klischee nicht, Veganer*innen würden aber auch dies oder das schlimme tun. Diese Darstellung wird häufig im antivegan-Kontext verwendet, um omnivoren Lebensstil bzw. Karnismus [1] zu verteidigen. Dabei ist der meiste Tierproduktkonsum problematischer - für 1 kg Käse werden 5000 l Wasser verbraucht. Und auch omnivor Lebende essen sicher auch Avocado ...



        In obigen Interview macht der Koch ja diesen Vergleich auf, dass geringer "Bio"-Fleischkonsum besser wäre als Avocadokonsum - und das stimmt einfach nicht.



        [1] de.wikipedia.org/wiki/Karnismus

        • @Uranus:

          Der gute Herr Saward hat aber gar nicht spezifiziert... Meinetwegen wird mehr Wasser verbraucht, ist möglich. Aber bitte denken Sie doch auch einmal über den Tellerrand. Wenn jemand ab und zu "um die Ecke" zum Biobauern fährt/läuft kommen dadurch schonmal weniger Emissionen zustande als bei Leuten die regelmäßig Avocado essen. Bei ca. 120.000 Tonnen Avocado import pro Jahr, ist das schonmal relevant. Soll nciht heißen, dass das den Verzehr von Fleisch besser macht, aber vielleicht denken Sie mal drüber nach. Das das eine schlechter wäre, ist reine Moral- und Umweltbewusstseinsfrage. Und nein, den Vergleich macht der Koch auch nicht auf. Er sagt, dass ihm die Gäste interessanter sind. Die Kollegen die die Avocado jeden Tag auf's Brot schmieren denken an solche Themen nämlich offenbar nicht. Es gibt immer solche und solche auf BEIDEN Seiten. Ich hoffe, Sie setzen sich noch einmal mit Ihren Standpunkten auseinander. Sie machen sich sonst lächerlich!