Vattenfall stößt Stromnetz ab: Berlin fischt sich das Netz

Vattenfall will seine Tochter Stromnetz Berlin überraschend dem Land verkaufen – offenbar das Ergebnis langer Verhandlungen im Hintergrund.

Schild "Stromnetz Berlin" an Gebäude

Objekt der Begierde: die Stromnetz Berlin GmbH, zurzeit noch Teil des Vattenfall-Konzerns Foto: dpa

BERLIN taz | Die Nachricht am Freitagmorgen kam überraschend: Der Vattenfall-Energiekonzern will dem Land sein Tochterunternehmen Stromnetz Berlin GmbH verkaufen. Aus Stockholm hieß es, man habe dem Senat sämtliche Anteile angeboten, inklusive der kompletten Infrastruktur, der IT und dem Personal.

„Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir einen Ausweg aus der verfahrenen Situation finden müssen“, so CEO Magnus Hall. „Es ist nicht gut, diese Unsicherheit weiterhin bei all unseren Geschäftsaktivitäten und Investitionen mit uns rumzuschleppen.“

Was Hall damit meint: Konzern und Senat sind seit Jahren in einen Rechtsstreit verstrickt. Hintergrund ist der politische Wille der Landesregierung, den Netzbetrieb wieder unter ein kommunales Dach zu bringen. Vor anderthalb Jahren hatte es auch schon so ausgesehen, als sei es soweit – da machte das landeseigene Unternehmen Berlin­Energie das Rennen um die 2014 ausgelaufene Netzkonzession. Dagegen klagte die Stromnetz GmbH und bekam gleich zweimal Recht, zuletzt im September vor dem Kammergericht. Es entschied, grob gesagt, die Vattenfall-Tochter sei unfair bewertet worden.

Nun sieht der Befreiungsschlag ganz anders aus: Auf einer schnell anberaumten Pressekonferenz nannte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Freitag das Angebot eine „einen wichtigen Schritt nach vorn“. Mehrmals betonte er, man habe „nie den Gesprächsfaden abreißen lassen“. Das zahle sich jetzt aus.

„Wir haben nun wirklich eine Chance, bei der Klima- und Energiewende entscheidend voranzukommen“, so ein sichtlich zufriedener Müller, der darauf hinwies, dass er noch als Stadtentwicklungssenator die Rekommunalisierung auf den Weg gebracht habe. Es sei „wichtig, auf Netze Einfluss zu nehmen und entscheiden zu können, wie Investitionen aussehen“, gerade wenn man von Kohle und Atom weg müsse und optimale Voraussetzungen für eine dezen­trale Stromerzeugung schaffen wolle.

„Geringes Konfliktpotenzial“

Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) erläuterte den offenbar hinter den Kulissen ausgehandelten Plan, wie die Übernahme zum 1. Januar 2021 ablaufen soll: Man habe sich auf ein Bewertungsverfahren verständigt, auf dessen Grundlage ein unabhängiger Gutachter einen Preisvorschlag machen werde. „Über den muss man sich dann einigen.“ Das Konfliktpotenzial sei aber „ausgesprochen gering. Wir wollen das in den nächsten Wochen hinbekommen.“

Um welche Summe es am Ende geht, ließ Kollatz offen. Darauf angesprochen, dass in der Vergangenheit schon einmal Kosten von 1 bis 3 Milliarden Euro im Raum standen, erwiderte er vielsagend, das werde sich vermutlich „irgendwo in der Mitte“ einpendeln – mit Betonung auf „Mitte“.

Als Käufer wird möglicherweise nicht unmittelbar das Land, sondern der Landesbetrieb BerlinEnergie auftreten, der dann auch die gesamte Belegschaft übernehmen würde. Finanziert werden soll der Deal laut Kollatz nicht aus Haushaltsmitteln, sondern über die Aufnahme von Darlehen, für die das Land teilweise bürgen würde. Noch nicht wirklich klar ist, was mit dem Konzessionsverfahren geschieht – das sich im Grunde ja nun erübrigt hat.

Vattenfall dürfte im Übrigen nicht nur an einem Ende des juristischen Hickhacks interessiert sein: Kollatz sagte, der Senat stelle sich auf eine „langfristige Partnerschaft mit Vattenfall beim Wärmenetz“ ein. Hier zieht man ohnehin schon an einem Strang, weil es darum geht, bis 2030 die verbliebenen Steinkohlekraftwerke abzuschalten.

Nicht zu viel bezahlen

Der energiepolitische Sprecher der Grünenfraktion, Stefan Taschner, sprach in einer ersten Reaktion von einer „zunächst guten Nachricht“: Als Netzbetreiber könne BerlinEnergie „zusammen mit den Stadtwerken die Energiewende in Berlin noch stärker vorantreiben“. Wichtig sei aber, dass Berlin keinen überhöhten Preis für die Stromnetz GmbH zahle. Dazu müsse man sich am sogenannten Ertragswert orientieren, wie ihn das Energiewirtschaftsgesetz definiere.

Auch die CDU warnte davor, das Mitte der 90er Jahre privatisierte Stromnetz für Milliarden zurückzukaufen. „Der durch die Pandemie erhöhte Schuldenberg würde dadurch erheblich wachsen“, so Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion. Erst müsse durch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung sichergestellt sein, „dass sich ein Kauf für die Berliner rechnet“. Vor allem müsse das Parlament an der Entscheidung beteiligt werden. Genau das kündigten Kollatz und Müller auf der Pressekonferenz allerdings schon an.

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