Urteil nach Abschuss der MH17: Letzter Akt einer Tragödie
298 Menschen verloren beim Abschuss der MH17 ihr Leben. Mehr als acht Jahre später endet nun der Prozess – unter anderem mit drei Schuldsprüchen.
Als erwiesen sieht das Gericht an, dass eine BUK-Rakete von einem Feld nahe der Stadt Perwomajskyj im Rebellengebiet abgefeuert wurde. Dafür gebe es „Beweise im Überfluss“, so der vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis. Gleiches gelte für die Beteiligung der russischen Autoritäten. Während der Angeklagte Dubinsky den Einsatz dieser Rakete veranlasst habe, habe Chartschenko bei Transport und Installation aus der Russischen Föderation eine zentrale Rolle gespielt. Girkin habe als militärischer Oberbefehlshaber der selbsternannten Volksrepublik Donezk den Einsatz der Rakete nicht verhindert.
Mit dem Urteil kommt ein Marathonprozess mit 68 Sitzungstagen zu seinem Ende, den der Gerichtshof Den Haag im März 2020 im Justizkomplex am Flughafen Schiphol eröffnete. Die vier Verdächtigen Girkin, Dubinsky, Pulatow (alle russische Staatsbürger und hohe militärische Funktionäre der selbsternannten Volksrepublik Donezk) und der Ukrainer Chartschenko, Befehlshaber einer paramilitärischen Einheit im Gebiet Donezk, waren wie während des gesamten Verfahrens abwesend, einzig Pulatow ließ sich durch zwei Anwält*innen vertreten.
Piet Ploeg, Vorsitzender der Stiftung „Flugzeugkatastrophe MH17“, die sich als Plattform von Familienmitgliedern der Opfer versteht, beschrieb deren Erwartungen an das Urteil zuvor so: „Die Angehörigen wollen, dass Recht gesprochen wird und die Wahrheit ans Licht kommt. Aber es ist auch in präventiver Hinsicht wichtig. Es darf nicht sein, dass ein Staat, der faktisch an einem Massenmord beteiligt ist, damit davonkommt“, so Ploeg, der 2014 seinen Bruder, Schwägerin und Neffen verlor. Im niederländischen Nachrichtensender BNR sagte er, am wichtigsten sei daher die Frage nach der russischen Beteiligung am Abschuss des Flugzeugs.
Historisches Urteil
Gerade zu diesem Thema gab es in der Zeit vor dem Urteil viel Aufmerksamkeit für den Angeklagten Girkin. Der einstige FSB-Offizier und damalige Verteidigungsminister der selbsternannten Volksrepublik Donezk ist aktuell als Freiwilliger am Krieg gegen die Ukraine beteiligt. Ende Oktober wurde er im Süden Russlands nahe der ukrainischen Grenze fotografiert. Die Ukraine hat ein Kopfgeld von 100.000 Dollar auf seine Festnahme ausgesetzt.
Der 51-jährige Girkin war im April 2014 an der Besatzung von Slowjansk beteiligt, mit der der Krieg im Donbass begann. Als junger Student hatte er zuvor am Krieg in Transnistrien teilgenommen, später kämpfte er in Bosnien und Tschetschenien. In sozialen Medien kritisierte er jüngst das russische Militär für seine Strategie im Ukrainekrieg. Im Oktober ging Girkin selbst zurück an die Front. Seine Beteiligung am MH17-Abschuss hat er, wie die übrigen Angeklagten, immer bestritten. Über eine BUK-Installation hätten die Separatisten nicht verfügt, sagte er.
In den Niederlanden, aus denen mit 196 Toten die meisten Opfer stammen, hat MH17 die Dimension einer nationalen Katastrophe. Darum war gerade in den ersten Jahren der langsame Fortgang der Untersuchungen Anlass wachsenden Unmuts bei Angehörigen und in der Öffentlichkeit.
Er stand im Kontrast zur anfänglichen Ankündigung von Premier Mark Rutte, man werde jeden Stein umdrehen und nicht ruhen, bis die Schuldigen gefunden sind. Dem gegenüber fühlte man sich lange missachtet: Bei einem größeren Land wäre der internationale Druck auf Russland höher, hieß es oft. Mit entsprechenden Erwartungen blickte man im Vorfeld auf das Urteil, das die Tageszeitung Volkskrant am Tag der Verkündigung „historisch“, nannte. „Es wird entscheiden, wie der Anschlag auf MH17 in die Geschichte eingeht.“
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