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Urteil im Prozess gegen KSK-SoldatenAlles völlig normal

Ein KSK-Soldat wurde verurteilt, weil er Bundeswehr-Munition in seinem Garten vergraben hat. Nur: Was hatte er damit vor?

KSK-Soldat Philipp S. (Mitte) vor der Urteilsverkündung im Landgericht in Leipzig Foto: Sebastian Willnow/dpa

LEIPZIG/CALW taz | Am vorletzten Prozess­tag bringt der Verteidiger von Philipp Sch. ein Dokument in den Prozess ein. Es ist eine dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2018. Da sie voller militärischer Abkürzungen ist, wird der Soldat im Zeugenstand gebeten, sie vorzutragen. Es ist Philipp Sch.s letzter Vorgesetzter, der Chef der inzwischen aufgelösten 2. Kompanie des Kommandos Spezialkräfte. Er hat die Beurteilung verfasst.

Oberstleutnant W. attestiert Philipp Sch. ein „hohes taktisches Verständnis“ und stets beeindruckende Ergebnisse, das gelte insbesondere für die Ausbildungsvorhaben, die er verantworte. Er habe eine soziale Ader, sei „unverzichtbare Stütze der Kompanie“. Und: „Sein Potenzial auf hohem Niveau ist nicht ausgeschöpft.“

Vor ein paar Jahren soll er seinem Sohn, damals kaum im Teenager-Alter, Mein Kampf nahegelegt haben

Doch was in dieser sehr guten Beurteilung steht, die auch KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr bestätigte, zeigt nur eine Seite des Oberstabsfeldwebels Philipp Sch. Zum Zeitpunkt der Beurteilung war er längst wegen Rechtsextremismusverdachts im Blick des Bundeswehrgeheimdienstes MAD. Und nun steht der 45-Jährige vor dem Landgericht Leipzig, weil im Mai 2020 rund 7.000 Schuss Munition, Sprengstoff, Zünder und Waffen gefunden wurden, vergraben im Garten. Im Haus fand man ein SS-Liederbuch, Neonazi-Zeitschriften und Postkarten mit Hakenkreuz.

Vordergründig geht es im Schwurgerichtssaal des Leipziger Landgerichts um Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Aber der Fall hat auch eine enorme politische Dimension. Er war der Anlass für Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), mit dem „eisernen Besen“ beim KSK durchzufegen, wie sie es nannte.

Illegale Munitionsamnestie

Es hätte leicht passieren können, dass es nie zum Prozess gekommen wäre. Denn im Frühjahr 2020, kurz nachdem der MAD Hinweise auf Philipp Sch.s Waffenversteck bekam und diese an das LKA Sachsen weitergab, erlaubte der KSK-Kommandeur in Calw, Baden-Württemberg, seinen Leuten, Munition sanktionsfrei zurückzugeben. Diese als „Aktion Fundmunition“ bezeichnete, wohl illegale Munitionsamnestie, die im Prozess beiläufig zur Sprache kam und die die taz öffentlich machte, ist ein Politikum geworden. Sie stellt die gesamten Reformbemühungen beim KSK infrage.

Philipp Sch. jedoch brachte seine Munition nicht zurück nach Calw, sondern beließ sie bei sich zu Hause, in Collm in Sachsen, 500 Kilometer entfernt – weil ihm das Vertrauen in die Führung fehlte, wie er aussagte.

Am Freitag wurde er nach sechs Prozesstagen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Sobald die Strafe rechtskräftig ist, muss er die Bundeswehr verlassen. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre und sechs Monate Haft ohne Bewährung gefordert, die Verteidigung eine zehnmonatige Bewährungsstrafe. Philipp Sch. verfolgt das Urteil äußerlich regungslos. Als die Sitzung geschlossen ist, kommen seine Verlobte und seine Mutter auf ihn zu und umarmen ihn.

Aufgeklärt ist der Fall mit dem Urteil nicht. Es bleibt offen, was Philipp Sch. mit der Munition tatsächlich vorhatte. Und welche Rolle dabei seine rechts­extremistische Einstellung spielte, die im Prozess vor allem von der Verteidigung heruntergespielt wurde. Auch der Richter sprach in der Urteilsbegründung lediglich davon, dass es „genügend Anhaltspunkte für eine rechtsnationale Einstellung“ gebe. Man werde bei der Bundeswehr aber auch kaum Linke und Grüne finden, „ich will gar nicht von Autonomen sprechen“.

Abzwacken war nicht schwer

Im Prozess haben mehrere KSK-Soldaten ausgesagt, sie gewährten ungewohnte Einblicke in eine militärische Spezialeinheit, über die es bis vor nicht allzu langer Zeit mehr Mythen als Fakten gab. Manchmal schauen sie dabei nach links zur KSK-Presseoffizierin im Saal, ob sie gerade doch nicht zu viel ausplaudern.

Es gab immer viel Munition in Calw, das KSK verschießt etwa zehnmal so viele Patronen wie andere Einheiten. Zwar betonen alle der Befragten irgendwie, dass natürlich die Regeln eingehalten werden, aber am Ende ist klar: Es war nicht so schwer, Patronen oder Sprengstoff abzuzwacken. Weil das Vieraugenprinzip bei der Muni­tionsausgabe nicht immer eingehalten wird und weil es nicht unbedingt auffällt, wenn an einem Übungstag von 50 Kilogramm Sprengstoff 2 Kilo eingesteckt werden.

Wann und wie genau die Patronen und der Sprengstoff von Calw in Philipp Sch.s Besitz kamen, konnte das Gericht nicht klären. Seine Erklärung dazu sei „in allen Punkten seltsam“, sagte der Richter in der Urteilsbegündung.

Munitionskisten im Ausbildungszentrum des Komando Spezialkräfte in Calw Foto: Franziska Kraufmann/dpa/picture alliance

Philipp Sch. hatte behauptet, es habe Engpässe gegeben und das Material sei für Ausbildungszwecke bestimmt gewesen. Er habe Restbestände erst im Kasernenkeller gelagert, dann Mitte 2017 im Garten vergraben. Er habe Angst vor Ermittlungen gehabt, die sich nach der Abschiedsfeier für Pascal D., den Chef der 2. Kompanie im April 2017, ankündigten. Eine Party, auf der Schweineköpfe geworfen, Rechtsrock gehört und Hitlergrüße gezeigt wurden.

Was ist schon normal?

Die Kameraden vom KSK wurden auch zur politischen Einstellung von Philipp Sch. befragt. Ob da irgend­etwas bekannt sei, will der Vorsitzende Richter wissen. Eine rechte, eine na­tio­nalsozialistische Einstellung?

taz am wochenende

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Politische Aspekte hätten bei ihren Gesprächen keine Rolle gespielt, sagt ein Stabsfeldwebel, der mit Philipp Sch. bei Großübungen zu tun hatte. Philipp Sch. sei konservativ, so die Aussage eines Soldaten, mit dem er zusammen in Afghanistan war, also „so wie die CDU vor 10 bis 15 Jahren“. Auch ein Soldat, mit dem Sch. eine Fahrgemeinschaft bildete, wird gefragt, wie er dessen politische Orientierung einordne. „Völlig normal“, sagt er. Aber was ist schon normal beim KSK in Calw?

Bei Abschiedsfeiern kam es taz-Recherchen zufolge in Calw immer wieder zu Grenzüberschreitungen, so erzählen es mehrere Personen aus dem Umfeld von Philipp Sch. und dem KSK. Einmal soll etwa die Frau eines Soldaten in einer Burka durch den Wald gescheucht worden sein.

Und auch beim sogenannten Teichfest, das immer im Sommer von der 2. Kompanie für das gesamte KSK ausgerichtet wurde, gab es nicht nur Bratwürste vom Grill, sondern auch sehr leicht bekleidete Frauen, weswegen es in Calw mitunter hieß: Die Ehefrauen sollten besser nicht dabei sein, weil sonst die Ehe nicht mehr lange halte. Hitlergrüße auf diesen jährlichen Kasernenfeiern wurden der taz geschildert, Hitlergrüße beim Tanzen. Niemand soll das unterbunden haben.

Alles andere als unpolitisch

Und Philipp Sch. stand dort nicht nur am Rand. Er war den Schilderungen zufolge ein enger Vertrauter des damaligen Kompaniechefs Pascal D., der inzwischen wegen der Hitlergrüße auf seiner Feier rechtskräftig verurteilt ist. Neben ihm soll auch Philipp Sch. den Arm gehoben haben. Die einzige anwesende Frau, die als Trophäe für den Gastgeber vorgesehen war und die die Ermittlungen damals ins Rollen brachte, will Sch., den glatzköpfigen „Nazi-Opa“, erkannt haben. Und sie ist nicht die Einzige außerhalb des Gerichtssaals, die ihn für alles andere als unpolitisch hält.

Philipp Sch. sei „sehr deutsch“, heißt es in seinem Umfeld. Sein Interesse am Zweiten Weltkrieg sei groß, in seinem Regal hätten Bücher zur Waffen-SS und das Buch „Der Krieg, der viele Väter hatte“ gestanden. Dieser Klassiker der geschichtsrevisionistischen Literatur ist bei mehreren KSK-Soldaten beliebte Lektüre. Und vor ein paar Jahren erst soll sich Philipp Sch. „Mein Kampf“ bestellt und seinem Sohn, der damals kaum im Teeanger-Alter war, die Lektüre nahegelegt haben.

Doch Philipp Sch. sticht mit seiner Gesinnung im KSK offenbar nicht heraus. Manche Soldaten im KSK zieht es zur rechtsextremen Identitären Bewegung, für andere war Pegida in Dresden ein Ausflugsziel, wie es im Umfeld der Einheit heißt. Ab 2015 trat die Gesinnung bei Philipp Sch. und anderen Kameraden stärker hervor. Gegen Flüchtlinge, gegen Merkel, gegen die Regierung. Manche sollen sogar damit geprahlt haben, im Falle eines gewaltsamen Konflikts in Deutschland könnten sie eine Führungsrolle übernehmen und sagen, wo es langgeht.

Die JVA Dresden, wo Philipp Sch. in Untersuchungshaft saß, hielt ihn für gefährlich. Über Monate galten höchste Sicherheitsstandards, inklusive Einzelhaft und ständiger Beobachtung. Ein Psychologe habe bei Philipp Sch. ein „manipulatives Verhalten“ feststellen können, sagte die kommissarische JVA-Leiterin vor Gericht. Weil er so gut in Kampf- und Befreiungstechniken ausgebildet war, sei die JVA von einer möglichen Eigen- und Fremdgefährdung ausgegangen. Die Verteidigung kritisierte das Vorgehen als völlig überzogen.

Ein Netzwerk?

Ob es ein Netzwerk rund um Phi­lipp Sch. gegeben hat, wurde im Prozess nicht geklärt. Sicher ist: So wie Philipp Sch. Munition gehortet hat, haben andere KSKler Lebensmittel und Vorräte eingelagert. Als Vorbereitung auf eine drohende Katastrophe. Die Kaserne in Calw sollte auch ein Safe-House des Hannibal-Netzwerkes sein, ein Rückzugsort für einen ominösen „Tag X“.

Es gibt bislang allerdings keine Hinweise auf eine direkte Verbindung zwischen Philipp Sch. und dem Netzwerk des KSK-Soldaten André S. alias Hannibal. Es gibt aber Verbindungen von Philipp Sch. ins Umfeld der Preppergruppe Nordkreuz in Mecklenburg-Vorpommern, die Teil dieses Netzwerkes ist. Zwei ihrer Mitglieder stehen unter Terrorverdacht, ihr Chef wurde verurteilt, weil er Waffen und Zehntausende Schuss Munition zu Hause hortete.

Philipp Sch. hatte per Whatsapp Kontakt zu Sven J., einem Wasserschutzpolizisten aus Rostock. Im Februar hat die dortige Staatsanwaltschaft Anklage gegen diesen Polizisten erhoben, weil er Munition und Waffen in seinem Haus lagerte, auch solche, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen.

Die Er­mitt­le­r*in­nen waren nur auf Sven J. aufmerksam geworden, weil er mit dem später verurteilten Nordkreuz-Chef Chatnachrichten mit rechtsextremen Inhalten austauschte. Auf dem Handy von Philipp Sch. war außerdem die Nummer eines Mannes gespeichert, der einen Schießplatz in Mecklenburg-Vorpommern betreibt. Und über diesen Schießplatz beschaffte sich der Nordkreuz-Chef einen Großteil der Munition.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 2G
    29449 (Profil gelöscht)

    Was man damit vor hat Wenn man etwas in seinem Garten vergräbt ist wohl leicht zu erklären:



    1) man tut es in der Absicht einen Munitionsbaum zu züchten



    2) man tut es dem Eichhörnchen gleich und schafft sich einen Vorrat für den bevorstehenden Winter



    3) man will das sensible Material vor sauerstoffverursachter Korrosion schützen



    ...

  • Kommandeur Kreitmeyr lag doch mit seiner Amnestie gar nicht so daneben. Denn offenbar hat man ohne diese Amnestie ja selbst dann nicht viel zu befürchten, wenn man nicht nur Munition sondern auch Sprengstoff und Waffen hortet und nebenbei Nazi ist. Die Höhe der Bewährungsstrafe kann dem Täter hier völlig wurscht sein; die einzige tatsächliche Bestrafung ist der Status 'vorbestraft'.

  • Wenn man Hitler und das Dritte Reich verehrt, gilt man also vor einem Gericht als "nationalkonservativ". Was muss man sich wohl alles leisten, um als nationalsozialistisch betrachtet zu werden?

  • Ein ebenfalls in dieser Woche ergangenes Urteil: drei Jahre Haft für eine junge Mutter in Plauen, die ihre Schwangerschaft verheimlicht und ihr Neugeborenes unversogt haben soll.



    Wem ist mit diesem Urteil geholfen?



    Wirkt es erzieherisch auf die junge Mutter?



    Soll es ihre anderen beiden kleinen Kinder vor ihrem Einfluss schützen?



    Geht eine Gefahr für die Gesellschaft von der jungen Mutter aus?



    Besteht Wiederholungsgefahr?



    Hätte es mildere Mittel gegeben?



    Wurden die Tat-/Unterlassungsumstände berücksichtigt?



    Ist die junge Mutter gefährlicher als Philipp Sch.?



    Für mich gibt es mehr Fragen als Antworten.

    • @#Sascha:

      Der von Ihnen genannte Fall von einer Mutter, die ihr Neugeborenes nicht versorgt hat (habe den Fall nicht überprüft), hat mit dem oben genannten Artikel nichts zu tun, außer, dass es sich auch um eine strafrechtliche Verurteilung handelt. Der Zusammenhang erschließt sich mir daher nicht.

      Zu Ihrem Kommentar: Neben den von Ihnen angesprochenen überwiegend spezialpräventiven Punkten sind auch generalpräventive Aspekte zu berücksichtigen.

      • @DerGerry:

        Ja genau darum ging es mir, um den generalpräventiven Aspekt. Es wird mit zweierlei Maß gemessen, auch wenn, wie Sie richtig festgestellt haben, die beiden Fälle nicht vergleichbar sind.

  • 9G
    91751 (Profil gelöscht)

    Wie reagiert man auf ein derart absehbares Urteil? Zynisch? Resigniert? Wütend?



    Anscheinend wird jeder Neonazi vor Gericht durchgewunken, und mit derart laschen Urteilen muss man dann auch nicht von Problemen reden. Waren ja eher viele kleine Vergehen. Und während man sonst von Terrorismus orakelt, wo ein paar Autos brennen hört man hier nur schweigen.



    Was sich unter Jahrelanger CDU-Führung aufgebaut hat ist bedrohlich, leider traue ich weder der SPD noch den Grünen zu etwas daran zu ändern, selbst wenn diese die Wahl gewinnen würden.