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Urteil im Fall George FloydSchuldig

Tränen und Freudentänze: Nach der Urteilsverkündung feiern Menschen bis tief in die Nacht. „Wir können jetzt wieder atmen“, sagt Floyds Bruder.

Courteney Ross, die Freundin von George Floyd, reagiert auf die Nachricht des Schuldspruch Foto: Joel Marklund/BILDBYRAN/imago

Washington taz | Schuldig. Selten klang das Wort süßer als am Dienstag in den USA. Selten löste es zugleich so große Überraschung und so viel Erleichterung aus. Kaum hatte Richter Peter Cahill in Minneapolis am späten Nachmittag die Entscheidung der Geschworenen über den Ex-Polizisten Derek Chauvin verkündet, ging ein lautes, tiefes Stöhnen durch die Menschenmenge, die sich vor dem Gericht versammelte hatte.

An zahlreichen Orten im Land folgten Tränen, Freudentänze und Hupkonzerte, die bis tief in die Nacht dauerten. Im Namen der Familie von George Floyd sagte sein Bruder Philonise bei einer ersten Pressekonferenz: „Wir können jetzt wieder atmen.“ US-Präsident Joe Biden erklärte in einer Ansprache an die Nation, dass „der Mord bei vollem Tageslicht die Scheuklappen von dem systemischen Rassismus gerissen hat“.

Auf den Nachrichtenkanälen im Fernsehen begann ein langer Abend, an dem mehr schwarze InterviewpartnerInnen zu Wort kamen als sonst. Es war Mord und es war Totschlag. Derek Chauvin, der Polizist, unter dessen Knie der gefesselte, unbewaffnete und um sein Leben flehende George Floyd am 25. Mai vergangenen Jahres seinen letzten Atemzug getan hat, ist in allen Punkten schuldig.

Zu diesem klaren Ergebnis kamen die zwölf Geschworenen in Minneapolis. Sie haben dafür weniger als zwei Tage gebraucht. Der Verurteilte Derek Chauvin, der während seines Prozesses geschwiegen und seinen Blick nur selten von dem gelben Notizblock, auf dem er sich Aufzeichnungen machte, abgewandt hatte, reagierte auch auf das Ende ohne Worte. Er hielt seine Hände auf dem Rücken, ließ sich Handschellen anlegen und abführen. In zwei Monaten wird er sein exaktes Strafmaß erfahren.

Nach dem dreifachen Schuldspruch kann es mehr als 40 Jahre Gefängnis bedeuten. Nach Jahren von Polizeigewalt gegen Schwarze und People of Colour, die nur in seltenen Ausnahmefällen zu Anklagen und kaum je zu Verurteilungen geführt haben, unterscheidet sich das Urteil von Minneapolis radikal von der bisherigen Polizei- und Justizgeschichte.

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Der schwarze Anwalt Benjamin Crump, der nicht nur die Familie Floyd, sondern auch die Angehörigen von zahlreichen anderen Polizeiopfern vertreten hat, sprach am Dienstagabend in Minneapolis von einem „Sieg für alle Amerikaner“. Für seine Landsleute hatte er folgende Empfehlung: „Wir sollten uns in diesen Moment hinein lehnen“. Der schwarze Prediger Al Sharpton, der in den zurückliegenden Monaten ebenfalls häufig bei der Familie Floyd präsent war, richtete sich bei bei der selben Pressekonferenz an Gott. Er bat ihn, George auszurichten, dass er eine Figur für die Geschichte geworden sei.

Der Mord an der Straßenkreuzung in Minneapolis, die heute nach George Floyd benannt ist, war zugleich ähnlich und radikal anders als andere Fälle tödlicher Polizeigewalt in den USA. Ähnlich war, dass die örtliche Polizei – inklusive der drei anderen Polizisten, die mit Chauvin im Einsatz waren und sich in getrennten Verfahren vor Gericht verantworten müssen – zunächst versuchte, die tödliche Gewalt zu vertuschen.

Ein Festgenommener sei nach der Einlieferung in ein Krankenhaus verstorben, hieß es in einer ersten Version. Anders war, dass eine junge Passantin – die zum Tatzeitpunkt 17-jährige Gymnasiastin Darnella Frazier – die komplette Gewaltszene gefilmt hat. Ihr Video, das sie noch am Tatabend auf Facebook stellte, änderte alles. Am Morgen danach wandte sich der Polizeipräsident von Minneapolis von allen vier beteiligten Polizisten ab.

Vielerorts Polizeireformen

In dem Prozess war Polizeipräsident Medaria Arradondo einer von zahlreichen PolizistInnen, die Derek Chauvin offen kritisierten. Dessen Verhalten, so erklärten Polizeichefs und Polizeiausbilder im Zeugenstand, habe sowohl gegen die Regeln als auch die Ausbildung von PolizistInnen verstoßen und sei unangemessen und unverhältnismäßig gewesen.

Doch der Hauptunterschied zu vorausgegangenen polizeilichen Gewalttaten war die Reaktion auf den Straßen der USA. Unter dem Banner von Black Lives Matter und anderen Bürgerrechtsgruppen gingen Millionen US-AmerikanerInnen auf die Straße. Sie trotzten der Pandemie und verlangten weitgehende Polizeireformen, die von der Kürzung der finanziellen Ressourcen und der Waffen bis zur Abschaffung der Polizei reichten.

„Das Urteil bringt niemanden zurück ins Leben. Aber hoffentlich wird es uns in Zukunft helfen

Kongressabgeordnete Joyce Beatty

Sie ließen sich nicht beeindrucken: weder von brutalen Polizeieinsätzen mit Pfefferspray, Knüppeln und Tränengas, noch von Massenfestnahmen und dem Versuch, ihre Bewegung als „gewalttätig“ zu kriminalisieren. Sie blieben über Monate aktiv. Anders als bei früheren Protesten gegen Rassismus – inklusive der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre – beteiligten sich erstmals auch große Gruppen von weißen und asiatischen US-AmerikanerInnen an den Protesten.

Ihre Forderungen haben vielerorts bereits zu ersten Polizeireformen geführt. Und das Echo ihrer Bewegung hallte in die Präsidentschaftswahlen hinein. Seit dem Beginn der neuen Legislaturperiode sind mehrere Gesetzentwürfe, die auf ihre Forderungen zurück gehen, in den Kongress gekommen.

Am Dienstagabend warteten die Mitglieder der schwarzen Fraktion im US-Kongress gemeinsam auf die Verkündung der Entscheidung der Geschworenen. „Das Urteil bringt niemanden zurück ins Leben“, sagte anschließend ihre Sprecherin, die Abgeordnete Joyce Beatty aus Ohio, in Washington. „Aber hoffentlich wird es uns in Zukunft helfen“.

Ex-Präsident Donald Trump zeigte weder Mitgefühl mit den Floyds noch Interesse an polizeilichen Reformen. Stattdessen versuchte er, seine Rückendeckung für die Polizei wahltaktisch zu nutzen. Seine rechte Basis mobilisierte zugleich gegen Black Lives Matter und für die „Blauen“ – die Farbe der Polizeiuniform. Die großen Polizeigewerkschaften gehörten zu Trumps entschiedenen Unterstützern. Joe Biden stützte sich im Wahlkampf auf die Netzwerke von afroamerikanischen DemokratInnen in den Südstaaten. Nach seiner Wahl holte er zahlreiche VertreterInnen aus den „Minderheiten“ in sein Kabinett.

Seit seinem Wahlkampf stand Biden in Kontakt zu den Angehörigen des ermordeten George Floyd. Aber während des Prozesses gegen Derek Chauvin enthielt sich Biden jeder Äußerung. Erst am Dienstagabend reagierten er und Vizepräsidentin Kamala Harris im Weißen Haus.

Chauvin zeigte keine Geste des Bedauerns

Der Anlass für den Polizeieinsatz, der George Floyds Leben kostete, war eine Lappalie. Ein Supermarktbesitzer hatte wegen eines gefälschten 20-Dollar-Scheins die Polizei geholt. Die Unverhältnismäßigkeit, mit der die Polizei vorging, löste bei PassantInnen, die am 25. Mai die tödliche Szene sahen und versuchten, den Mord verbal zu verhindern, Schuldgefühle aus, die bis heute anhalten.

Aber Derek Chauvin hat in seinem Prozess kein einziges Wort und keine Geste des Bedauerns gezeigt. Sein Verteidiger bezeichnete sein mörderisches Vorgehen als „vernünftig“. Nach den Schuldsprüchen gegen Derek Chauvin suchten konservative Juristen nach Erklärungen und Auswegen aus dem Dilemma für die Polizei. Auf dem rechten Fernsehsender Foxnews bemängelte der Jurist Alan Dershowitz, dass der Prozess in Minneapolis stattgefunden habe sowie dass die Geschworenen nicht während des kompletten Prozesses isoliert worden seien.

Beides, so eine häufige Kritik von rechts, habe angeblich die Atmosphäre im Gericht beeinflusst. Vor Bekanntwerden der Entscheidung der Geschworenen war die Polizei an vielen Orten der USA auf wütende Reaktionen auf den Straßen vorbereitet. Stattdessen erlebte sie Freudenausbrüche und Hoffnung auf Veränderung.

George Floyd war kein Einzelfall. Auf dem Platz, an dem er ermordet worden ist, stellten AktivistInnen am Abend der Geschworenenentscheidung auch die Bilder von Dutzenden anderer Opfer von tödlicher Polizeigewalt auf. Einer der neueren Namen auf der Totenliste ist Daunte Wright. Der 20-jährige Afroamerikaner wurde wenige Tage vor dem Prozessende nur 16 Kilometer entfernt von einer weißen Polizistin bei einer Verkehrskontrolle erschossen. Die Hoffnung nach der Geschworenenentscheidung von Minneapolis lautet, dass nach Jahrzehnten der Verweigerung von Gerechtigkeit für die Opfer von Polizeigewalt nun eine neue Ära beginnen könnte.

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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Der Schuldspruch entspricht dem Tatbestand. Wenn die US-Gesellschaft ihren Zusammenbruch vermeiden will, muss klargestellt sein, dass Polizisten nicht machen können was sie wollen. Bessere Ausbildung der Polizei und



    ( Achtung Binsenweisheit) soziale Gerechtigkeit können langfristig die Situation besern.

    • @aujau:

      Bessern bitte.

  • So sehr das Urteil zu begrüßen ist, ist es natürlich ein Problem, dass die Geschworenen nicht während des kompletten Prozesses isoliert worden waren. Das ist nämlich Usus, um sie vor Druck zu schützen. Auch hatte sich der Präsident schon am Dienstag, also vor der Urteilsfindung, eingemischt (Gewaltenteilung). Das sind Punkte, welche wohl von FOX und den Reps ausgeschlachtet werden, um das Urteil als unrechtmäßig darzustellen.

  • Gutes Urteil, hoffentlich zeigt es eine abschreckende Wirkung. Allerdings stört mich der Slogan "Black lives matter", sollte er nicht "Every lives matter" heißen, denn in den USA haben nicht nur Schwarze ein Problem mit manchen Polizisten.

    • @Rudi Hamm:

      "Every lives matter" steht sinngemäß ja schon in der UN-Deklaration der allgemeinen, unveräußerlichen Menschenrechte. "Black Lives matter" ist aber die Ermahnung, die an die Welt ergeht eben genau im Zusammenhang mit diesem Vorfall von exzessiver Polizeigewalt, dass eben nicht Hautfarbe Grund sein darf für Folter jeder Art, wie sie bei dieser Verhaftung mit Todesfolge stattfand. "Black lives matter" ist in dieser Beziehung eben genau die Forderung danach, dass "Every live matters - equally" gelten möge, wie das Menschenrecht es vorsieht.

      Die Grundlage dazu muss ein Ethik-Unterricht sein, schon in der Schule, aber auch nochmal vertieft in der Polizeischule. Dieser muss auch die Mechanismen der Vorurteilsbildung und entsprechender Denkverkrustung eben durch Bildung ein gutes Stück weit durchbrechen, wie ein Impfstoff gegen falsche Reflexe im Miteinander.

    • @Rudi Hamm:

      Nun, "All lives matter" ist der Spruch der auf zumindest konservativen, teilweise faschistischen, Gegendemos skandiert wird.



      Natürlich haben Sie Recht dass es vielleicht klug gewesen wäre, den Satz proaktiv für die Bewegung einzunehmen... aber Jedem/r der/die sich wirklich "Rassengerechtigkeit" wünscht ist klar, dass BLM nunmal genau "All lives matter" heisst. Daraus sollte man der Bewegung wirklich keinen Vorwurf machen.

    • @Rudi Hamm:

      Sicher haben Sie im Prinzip recht.

      Nach den Statistiken sind die meisten Personen, die von Politist_innen erschossen werden, weiß.

      Allerdings würde es das Anliegen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung verwässern und deren Benachteiligung aus ihrer Sicht relativieren.

      Sollte bei rechtlichen Änderungen und einer besseren Polizist_innenausbildung bei rauskommen, dass auch weniger Weiße erschossen werden, wäre niemand traurig.

      Das ist dann wie bei Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen hierzulande.

      Bei Maßnahmen, die Müttern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern sollen, profitieren immer auch die Väter.

    • @Rudi Hamm:

      Ja, Ihren Punkt habe ich auch schon für mich (leicht abgewandelt) überprüft: Ein Mensch hat einen anderen umgebracht! Dass ist zunächst der Sachverhalt und ist eindeutig.



      Motiv: Der Mörder hat gedacht ihm passiert nix, weil er privilegiert weiß ist und sein Opfer schwarz.



      Dann wird die Verwerflichkeit viel klarer.

      • @Tom Farmer:

        "Motiv: Der Mörder hat gedacht ihm passiert nix, weil er privilegiert weiß ist und sein Opfer schwarz."



        Wurde dieses Motiv ihm auch nachgewiesen? Was ist dann mit all den Weißen, die ebenfalls von der Polizei getötet werden und in Summe mehr sind als die schwarzen Opfer?



        Dass er verurteilt wurde, ist sicher gut. Aber mir scheint, dass das größere Problem eben die Polizeigewalt an sich ist, Rassismus bei der Polizei ist zwar auch ein wichtiges, anzugehendes Problem, verglichen mit der Gewalt aber auf jeden Fall sekundär.