Urteil gegen Knockout51: Haftstrafen für Rechtsextreme

Jahrelang verübte der Neonazi-Schlägertrupp Knockout51 Gewalt. Nun wurde die Führung zu Haftstrafen verurteilt – nicht aber für einen Terrorvorwurf.

Polizeibeamte stehen vor dem Verhandlungssaal. Die vier Angeklagten sollen laut Anklage des Generalbundesanwalts die Eisenacher Neonazi-Kampfsportgruppe «Knockout 51» gegründet und dort Mitglieder gewesen sein.

Es werden Plädoyers im Prozess gegen mutmaßliche Neonazis erwartet Foto: Bodo Schackow, dpa

JENA taz | Es ist ein Urteil, dass unter den zahlreich anwesenden Rechtsextremen im Publikum des Oberlandesgerichts Thüringen für beste Stimmung sorgt. Zwar verkündet der Vorsitzende Richter Martin Giebel am Montag Haftstrafen bis zu drei Jahren und zehn Monaten für das Führungsquartett der rechtsextremen Kampfsportgruppe Knockout51. Aber die Bundesanwaltschaft hatte fast doppelt so hohe Strafen verlangt.

Zudem hebt Giebel die U-Haft von Anführer Leon Ringl auf – und teilt gegen die Bundesanwaltschaft aus. „Konstruiert“ und „lebensfern“ seien deren Terrorvorwürfe gewesen. Der Angeklagte Eric K. grinst, die Neonazis im Publikum tun es ihm gleich. „Na bitte“, bemerkt einer zufrieden.

Es ist das vorläufige Ende einer jahrelangen Gewaltserie in Thüringen. Schon vor gut fünf Jahren gründete sich Knockout51 um Anführer Leon Ringl in Eisenach, der dort auch die Szenekneipe Bulls Eye betreibt. Rund 20 Mitglieder soll die Gruppe gehabt haben, auch eine „Jugend“. Trainiert wurde im „Flieder Volkshaus“, der Thüringer Parteizentrale der Ex-NPD, jetzt „Heimat“. Auch ein Waffenlager soll es dort gegeben haben.

Die Gruppe führte „Kiezstreifen“ durch, Migranten wurden in Chats als „Drecksvieh“ beschimpft, auf einem Foto wurde mit Hitlergruß posiert, das örtliche Linken-Büro mit Steinen attackiert. Und immer wieder wurden Menschen schwer verprügelt, teils bis zur Bewusstlosigkeit, weil sie vermeintlich Linke, Polizisten oder Drogenkonsumenten waren. Das Ziel, so die Anklage: einen „Nazi-Kiez“ zu errichten.

Daneben fuhr die Gruppe aber auch in andere Bundesländer, um am Rande von Coronademos linke Gegendemonstrierende oder Polizisten anzugreifen. In Tschechien wurden Schießtrainings abgehalten. Ringl baute sich eine Deko-Waffe scharf um, versuchte auch mit einem 3D-Drucker eine halbautomatische Maschinenpistole herzustellen.

Langer Streit um Terrorvorwurf

Jahrelang ging dieses Treiben so – bis die Bundesanwaltschaft den Fall übernahm und im April 2022 Ringl und drei Mitbeschuldigte festnahm. Seit August vergangenen Jahres stand das Quartett nun vor dem Oberlandesgericht in Jena. Die Anklage führte die Bundesanwaltschaft, die Knockout51 spätestens seit 2021 als terroristische Vereinigung sah. Denn ab da habe die Gruppe – nachdem Autonome zuvor zwei Mal versucht hatten, Ringl anzugreifen – gezielt Auseinandersetzungen mit Linken gesucht, um diese mit Messern zu töten oder einem Auto zu überfahren.

Den Terrorvorwurf aber hatte das Oberlandesgericht schon zu Prozessbeginn nicht zugelassen, sondern nur den einer kriminellen Vereinigung. Auch im Prozess blieb es dabei, im April hob der Senat auch die Haftbefehle gegen die drei Mitangeklagten neben Ringl auf. Die Bundesanwaltschaft kritisierte beides als rechtsfehlerhaft und forderte auch zuletzt noch eine Verurteilung der Angeklagten als Terrorgruppe und Haftstrafen bis zu sieben Jahren.

Richter Giebel räumt am Montag ein, dass die Positionen im Prozess „kontrovers“ gewesen seien. Der Senat habe sich aber letztlich keiner der „Extrempositionen“ angeschlossen, so Giebel. Verurteilt wird das Quartett als kriminelle Vereinigung, für gefährliche Körperverletzungen und Waffenverstöße. „Eindeutig“ sei die Gruppe nicht auf Mord und Totschlag ausgelegt worden, also keine Terrorgruppe, erklärt Giebel. Genauso wenig sei Knockout51 aber ein reines Sportprojekt gewesen, wie es die Verteidigung behauptete. Diese hatte für die Angeklagten Freisprüche, Geldstrafen und für Ringl höchstens drei Jahre Haft gefordert.

Giebel sieht in Knockout51 eine „Kampfgruppe nationalsozialistischer Prägung“, die ihre Ziele auch mit Gewalt vertreten habe und auf ein „offensives Verbreiten rechtsextremer Ideologie“ ausgerichtet gewesen sei. Ziel sei es gewesen, jenseits der Polizei eine eigene „Ordnungsmacht“ in Eisenach zu etablieren.

Die Opfer noch verhöhnt

Und Giebel zählt noch einmal das Dutzend schwerer Übergriffe der Angeklagten auf: Die Opfer erlitten dabei teils mehrfache Knochenbrüche in Gesichtern, einige mussten mehrere Wochen ins Krankenhaus. Die Angriffe seien teils öffentlich inszenierte Bestrafungsaktionen gewesen, so Giebel. Vor allem der Mitbeschuldigte Eric K. habe völlig empathielos zugeschlagen, die Opfer später noch verhöhnt. Der 21-Jährige verfolgt die Urteilsbegründung weitgehend belustigt. Er erhält eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren.

Dann holt Giebel gegen die Bundesanwaltschaft aus. Der Terrorvorwurf dürfe nicht inflationär verwendet werden, weder bei den „Klimaklebern“ noch hier bei Knockout51, zieht Giebel einen gewagten Vergleich. „Sonst verliert der Begriff jede Kontur.“ Auch später, als die Gruppe darüber diskutierte, Linke zu töten, falls diese sie erneut angreifen würden, sei dies lediglich angedachte Notwehr gewesen, so Giebel. Und auch die Waffenbeschaffung habe nur der Selbstverteidigung und Abschreckung gedient. Auch hier reagieren die Rechtsextremen im Publikum mit breitem Grinsen. Andere Zuhörende im Publikum schütteln den Kopf.

Die Bundesanwaltschaft hatte diesen Annahmen im Prozess zuvor deutlich widersprochen. Die behauptete Notwehr sei nur ein Deckmantel gewesen, um politische Gegner zu töten, erklärten ihre Vertreter. Die rechtsextreme Kampfsportszene dürfe nicht unterschätzt werden. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft ließ am Montag vor Ort offen, ob seine Behörde Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird.

Ringl und die Mitangeklagten wurden nach dem Urteil derweil von ihren Gesinnungskameraden freudestrahlend in die Arme genommen. Die waren teils bis aus Dortmund angereist – Knockout51 war gut vernetzt. Ringls Mutter saß weinend im Saal, als dort die U-Haft ihres Sohnes aufgehoben wurde. „Nach dem Urteil geht’s nach Sylt“, flachste Eric K. im Saal.

Harsche Kritik am Urteil

Die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss nannte das Urteil einen „Skandal“ und „Freifahrtsschein für extreme Rechte“. Auf die Verurteilten werde es kaum Eindruck machen. Erneut zeigten sich Thüringer Gericht unfähig, „einen adäquaten Umgang mit der extremen Rechten zu finden“. Schon zuletzt hatte es in dem Freistaat milde Urteil für Rechtsextreme nach schweren Gewalttaten in Ballstädt oder Fretterode gegeben. Auch die Opferberatungsstelle ezra nannte das Urteil eine „gefährliche Verharmlosung“ von Knockout51. Die Gefahr für Betroffene vor Ort sei nicht gebannt.

Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf, die auch als BSW-Spitzenkandidatin zur Thüringer Landtagswahl antritt, sagte der taz, das milde Urteil habe sich „leider angedeutet“. Für sie blieben nach dem Prozess „viele Fragen offen“. Es sei aber „gut, dass mit einem solchen Ermittlungsaufwand und Verfolgungsdruck auf die rechtsradikalen Strukturen in Eisenach und Thüringen geblickt wurde“, so Wolf. „Ich hoffe, dass die Erkenntnis bleibt, dass man zukünftig eher auf die Hinweise aus der Zivilgesellschaft reagiert.“

Die Ermittlungen offenbarten zudem, dass Knockout51 auch Kontakte zu Eisenacher Polizisten hatte. In Gruppenmitglied nannte einen Beamten in einem Chat einen „Kumpel“. Richter Giebel verliert dazu kein Wort. Gegen sechs Polizeibeamte wurde zuletzt ermittelt, denen vorgeworfen wird, Interna an die Gruppe weitergegeben und Informationen zu Knockout51 ohne dienstlichen Grund abgerufen zu haben. Ein Verfahren wurde inzwischen eingestellt, die anderen fünf laufen noch. Als am Ende das Bundeskriminalamt gegen die Knockout51 ermittelte, wurde die Thüringer Polizei nicht mehr involviert.

Noch während des Prozesses kam es zu Festnahmen und Durchsuchungen von 15 weiteren Rechtsextremen, denen Straftaten oder eine Unterstützung von Knockout51 vorgeworfen werden, darunter gegen dem Thüringenchef der „Heimat“-Partei Patrick Wieschke sowie Ringls Schwester und Mutter. Sie alle dürften sich demnächst ebenfalls vor Gericht verantworten.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

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■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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