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Urteil des BundesverfassungsgerichtsSterbehilfe-Verbot ist nichtig

Der Bundestag hat 2015 die geschäftsmäßige Assistenz zur Selbsttötung verboten. Für das Verfassungsgericht ein Verstoß gegen das Grundgesetz.

Er möchte sich mit seinen 83 Jahren die Option zum Suizid offenhalten Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Karlsruhe dpa | Das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz. Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle am Mittwoch bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Der neue Strafrechtsparagraf 217 mache das weitgehend unmöglich. Die Richter erklärten das Verbot nach Klagen von Kranken, Sterbehelfern und Ärzten für nichtig. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)

Hilfe durch Telefonseelsorge

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

Paragraf 217 stellt die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Bei Verstößen drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Nur Angehörige und „Nahestehende“, die beim Suizid unterstützen, bleiben straffrei. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Professionelle Sterbehelfer hatten ihre Aktivitäten in Deutschland seither weitgehend eingestellt, aber in Karlsruhe gegen das Verbot geklagt – genauso wie mehrere schwerkranke Menschen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen möchten. Hinter anderen Verfassungsbeschwerden stehen Ärzte, die befürchten, sich bei der palliativmedizinischen Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen. Manche von ihnen wünschen sich auch die Freiheit, Patienten in bestimmten Fällen ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen zu dürfen.

Sterbehilfe-Vereine lassen sich ihre Dienste meist bezahlen. „Geschäftsmäßig“ im juristischen Sinne bedeutet aber nicht gewerblich, sondern so viel wie „auf Wiederholung angelegt“. Aktive Sterbehilfe – also die Tötung auf Verlangen, zum Beispiel durch eine Spritze – ist und bleibt in Deutschland verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es aber selbst ein.

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17 Kommentare

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  • Wenn es vorher schon kein würdiges Leben gab, soll dann wenigstens dem Suizid Würde angedichtet und natürlich eine kommerzielle Komponente hinzugefügt werden. Super! So passt es optimal ins neoliberale Paradigma unserer Zeit.

    • @Khaled Chaabouté:

      Ein selbstbestimmter Suizid hat mehr Würde als ein ungewollt würdeloses qualvolles Sterben.

      WO haben Sie denn diesen Unsinn, dass "natürlich eine kommerzielle Komponente hinzugefügt werden" solle, her. Niemand fordert dies.

      Wer sterben will, der soll dies fachlich begleitet machen dürfen und nicht auf Laien angewiesen sein, so wie es die "Christen" fordern.

  • Das Grundproblem bleibt bestehen, dass Erben und Sterbehelfer finanziellen Vorteil aus dem Suizid ziehen, und deshalb manche Kranke zu dem Schritt gedrängt würden, oder sich aus Altruismus dazu entscheiden obwohl sie es eigentlich nicht wollen. Wie kann der Gesetzgeber sicherstellen dass ein Recht auf einen würdigen Tod nicht missbraucht wird?

    • @Descartes:

      Erben ziehen nicht nur aus einem Suizid eventuell finanziellen Vorteil, sondern auch aus einem Tod ohne Suizid.

      Natürlich kann man Regelungen treffen, um ein Missbrauch auszuschließen, Der Gesetzgeber hat sich bloß bislang geweigert, sich darum Gedanken zu machen. So kann es z.B. eine Ethik-Kommision geben, die prüft, ob der Wille zu Sterben ernsthaft und endgültig und nicht von außen beeinflusst ist. Diese Kommission darf bloß nicht genauso arbeiten wie die Bundesartneimittelbehörde, die bislang Sterbewillige nur hinhält und intern die Order hat, alles - auch berechtigte Wünsche nach Medikamenten zum Sterben - mit erfundenen Argumenten pauschal abzulehnen und damit alle leidenden Strebewillige in ihrem Leid zynisch verarscht.

      Solch eine Kommission sollte Fachärzte beinhalten, die die Behandlungsaussichten beurteilen (Besteht Aussicht auf Besserung des Leids oder ist eine Verschlimmerung des Leids unausweichlich?), und Psychologen, die prüfen, ob dieser Wille ein Wille des Sterbewilligen oder von anderen beeinflusst ist. Das lässt sich alles prüfen und Missbrauch weitestgehend ausschließen. Die Fachleute dafür gibt es. Man muss nur wollen. Bisher wollte die Regierung den Sterbewilligen einen selbstgewählten Tod nicht zubilligen.

  • Eine sehr gute Entscheidung. Jetzt wünsche ich unserem Gesundheitsminister noch viele Betrugsklagen an den Hals, von den Menschen, die Pentobarbital anforderten, die er zu langwierigen und kostspieligen Gutachten auffordern ließ, welche dann auf seine Anordnung hin pauschal ignoriert wurden. Das war zynisch und grausam.

  • Eines der wichtigsten Menschenrechte, das Recht auf einen würdigen Tod, hat die Mehrheit der Abgeordneten 2015 verweigert und damit gegen das GG gestimmt. Mir war damals klar, dass einem Teil unserer VolksvertreterInnen jeder Bezug zum wahren Leben verloren gegangen ist. Gut, dass es rechtsstaatliche Mittel gibt, das Grundgesetz gegen die Legislative zu schützen, die im Übrigen in den letzten Jahren häufiger durch das BVG korrigiert werden musste.

    • @Rolf B.:

      Wir sind fast einer Meinung. Fast, weil hier die Reißleine von einer Instanz gezogen wurde, die leider nur schwach demokratisch legitimiert ist. Ich denke, die Bevölkerung ist so weit, daß bei Fragen dieser Art etwas mehr Demokratie gewagt werden kann.

      • @jhwh:

        Ich bin strikt dagegen, unsere Verfassung zum Bastelmaterial von Volksabstimmungen zu machen.



        Mehr Demokratie immer - aber parlamentarische.

      • @jhwh:

        Da stimme ich Ihnen zu.



        Leider ist meines Wissens nur die AfD für mehr direkte Demokratie. Warum andere Parteien Angst davor haben, erschließt sich mir nicht. Es sei denn, man unterstellt Ihnen einen prinzipiellen Unwillen, die Demokratie weiter zu entwickeln. Was ich übrigens der AfD hiermit nicht unterstellen will, die hoffen wahrscheinlich auf einen Hebel, den sie bei entsprechender Stimmungslage in ihrem Sinne anwenden können.



        Ansonsten ist die Weigerung, mehr Demokratie zu wagen, ein ernsthaftes Problem.

      • @jhwh:

        Wenn Person A ihr Leben beenden möchte und Person B bereit ist, dabei zu helfen, was genau haben sich Personen C,D und E (Demokratie) in diese freiwillige Entscheidung einzumischen?

        • @Dan Rostenkowski:

          Das werden Sie feststellen , wenn Ihr Kind sich beim nächstbesten Suicideclub die Abnippelpille holen will - wegen Liebeskummer, Prüfungsangst oder sonstigem nichtigem Anlass.

          • @Euromeyer:

            Ihr Beispiel hinkt, weil ihr Beispiel-Kind bei der Prüfung der Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit seiner Todessehnsucht durchfallen würde und deshalb keine Sterbehilfe bekommen würde, anders als die todkranken Sterbewilligen, deren Sterbenswunsch tatsächlich ernstahft und endgültig ist und die deshalb einen Anspruch darauf hat, dass Ihnen bei ihrem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben geholfen wird.

  • Bueno!

  • Da bin ich mal gespannt, ob dieses Urteil von der Politik ebenso ignoriert wird, wie das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgabe von Medikamenten zum Suizid. Dieses Urteil wird ja auf Anweisung des Gesundheitsministers Spahn durch das BfArM in der Form ignoriert, dass alle Anträge abgelehnt werden.

    Ich befürchte, dass die christdemokratischen Lebensschützer auch bei diesem Urteil Wege suchen, es zu ignorieren.

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Und inwiefern ist es relevant, ob die Politik das Urteil ignoriert, wenn Strafurteile durch Strafgerichte gefällt werden?

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Die Politik hat bei der Beachtung keinen Spielraum. Das Gesetz ist nichtig, d.h. es findet ab sofort keine Anwendung mehr, laufende Strafverfahren werden eingestellt, bereits erfolgte strafrechtliche Verurteilungen können im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben werden.